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Wie ging noch mal Sommergarderobe?

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Mein Kaffeebecher ist leer, meine Haare nach der Dusche längst getrocknet, von draussen scheint die warme Morgensonne in meine Fenster. Ich wollte schon längst das Haus verlassen haben und munter einem der ersten warmen Tage des Jahres entgegen radeln. Stattdessen stehe ich noch immer in Unterhose vor meinem Kleiderschrank und weiß nichts anzuziehen. „Ich steh schon eine halbe Stunde lang / vor diesem gefüllten Kleiderschrank:/ das nackteste Mädchen in ganz Berlin / wie man sieht / ich hab‘ nichts anzuziehn.“ Man ersetze Berlin durch München, dann trifft auf mich zu, was Kurt Tucholsky alias Theobald Tiger sich bereits 1926 in einem Vers seines Gedichts „Nichts anzuziehen“ zusammengedichtet hat.

Dass angeblich vor allem Frauen oft glauben, ihr Kleiderschrank sei leer, obwohl er in Wahrheit zerbirst, ist Quatsch. Unterscheiden muss man vielmehr zwischen den Eigenschaften eitel und nicht-eitel. Als eitler Mensch jedenfalls ist der Inhalt des eigenen Kleiderschranks immer eine unfertige, stets zu verbessernde Angelegenheit, und Momente, in denen man nackt und ratlos vor dieser steht, gibt es regelmäßig. Würde man sie jedoch über das Jahr verteilt in einer Kurve aufmalen, könnte man vermutlich feststellen, dass sie vor allem zum Wechsel der Jahreszeiten zuverlässig nach oben schnellt: Neue Temperaturen brauchen neue Kombinationen und die muss man sich erstmal wieder angewöhnen. Es gibt Menschen, die haben für die leichte Anzieh-Depression zum Jahreszeitenwechseln sogar einen Namen erfunden: „Trans-Seasonal Clothing Disorder“.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Schuld ist also der Frühling. Bei acht Grad wüsste ich genau, welche Kombinationen ich für diese Sorte Temperatur vorrätig habe und welche ich davon heute anhaben mag, ich habe es monatelang geübt. Der Suchbegriff „Winter“ führt in der Kleiderschranksoftware meines Hirns mittlerweile in Sekundenschnelle zu stilsicheren Ergebnissen. Für „Sommer“ aber gibt es noch keine neue Version, alles steht noch auf August 2011 und stürzt nach ewigem Streamen einfach ab. Der Sommer macht es einem aber auch nicht leicht: Im Sommer ist der Himmel weiter, die Welt größer und die Menschen sind schöner. Sie springen in Seen, küssen sich wilder, sie tragen tagsüber Leichtes und nachts gar nichts, weil es zu heiß dafür ist. Im Sommer sollte alles mit einer gewissen gedankenlosen Eleganz von der Hand gehen - und für immer in Erinnerung bleiben. Im Winter kann man die Anziehnerverei auf die Winternerverei im Allgemeinen schieben, im Sommer gibt es keine Ausreden. Im Sommer muss diese gedankenlose Eleganz sitzen. Ein widersprüchliches Unterfangen.

Ich habe mir fest vorgenommen, diesen Frühling nicht über der spontanen Einbildung, mein Kleiderschrank sei ein Sammelsurium nichtkombinierbarer Geschmacksverirrungen, zu verzweifeln. Ich wollte die schönen Menschen auf der Straße nicht um ihre perfekte Von-einem-Tag-auf-den-anderen-Sommerlichkeit beneiden müssen. Ich wollte selbst aussehen als lebte ich seit Jahrzehnten in einem Land ohne Herbst und Winter und hüllte mich daher so selbstverständlich ins passende Gewand wie nach der Dusche in meinen Bademantel. Ich habe in den letzten Monaten prophylaktisch altes Sommerzeug ausgemistet und neues Sommerzeug eingekauft. Alle Bügel meines Schrankes sind demnach vollbesetzt, einige gleich doppelt, auf den Regalböden stapeln sich zusammengelegte und zusammengeknäuelte Oberteile, kistenweise Tücher, Gürtel, Taschen, Hosen. Mein Schrank sieht gut aus.

Trotzdem komme ich mir in allem komisch vor. Meine freigelegten Gliedmaßen erscheinen mir ein bisschen obszön, irgendwie dick und dellig, außerdem erinnert das Winterblass meiner Haut in meinen Augen eher an die rohe Haut gerupften Geflügels als an das einer weltgewandten Supersommerfrau. Woher kommen eigentlich die blauen Flecken, Kratzer und Schrammen überall?

Was mir langsam dämmert ist: Es geht hier gar nicht um die Klamotten. Mein Schrank ist wirklich okay gerüstet - vermutlich wäre er das irgendwie auch ohne die zahlreichen Neuzugänge. Worum es wirklich geht, ist, dass ich anscheinend jedes Jahr eine gewisse Zeit brauche, bis ich wieder ein gesundes Verhältnis zur öffentlichen Nacktheit gefunden habe. Bis ich meine abgeschnittene 501 wieder tragen kann, ohne mich plump-beinig zu fühlen. Bis ich mir nicht beim vom Handtuch zum See laufen die Hand vor den Bauch halte, dabei stakse wie ein Storch, weil ich mich noch nicht wieder in meinen Bikinikörper eingelebt habe.

Dieses Reingrooven in das Dasein eines Sommermenschen ist wie die ersten Tage in einem Ferienhaus: die Matratzen sind noch ein bisschen klamm, die Leinenbezüge hart und der Strandsand auf den Dielen kommt einem irgendwie schmutzig vor. Die Dusche spuckt so komisch, die Tür schließt nicht richtig. Es braucht eine Weile, bis man das alles wieder kennt und mag, bis man die Dusche wieder wie leichten Sommerregen empfindet und die Tür nachts einfach offen stehen lässt. Bis es soweit ist, sollte man vielleicht einfach tun als sei man nie weggewesen. Oder um bei den Klamotten zu bleiben: Als hätte man nie etwas anderes getragen. Die Sonne wird es richten.

Text: mercedes-lauenstein - Illustration: Katharina Bitzl

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