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„Dein Vater hat ja dieses Talent, für eine lange Reise nur eine winzige Tasche über den Rücken zu werfen und trotzdem zu jedem Anlass elegant gekleidet zu sein“, sagt meine Mutter einmal, als ich von irgendwo anrief und klagte, dass ich wieder völlig falsch gepackt hatte. Sie tat so, als könne man das richtige Kofferpacken nicht lernen, sondern habe es entweder im Blut oder nicht. Dass ich ihr Chaos geerbt hatte, wollte ich nicht glauben. Als ich meinen Vater nach seinem Packgeheimnis fragte, sagte er: „Zwei weiße Hemden.“

Seither bin ich auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage: Was bedeutet „zwei weiße Hemden“ in der Sprache meiner Garderobe? Zwei weiße Blusen schon mal nicht, ich bin kein Blusenmädchen. Ein schwarzes Kleid? Schon eher, für abends jedenfalls, oder an einem heißen Sommertag, aber bei Temperaturen dazwischen bin ich dann doch zu sehr... ja was denn? Jeans und T-Shirt? Auch nicht, zu langweilig. Unterteil und Oberteil? Schon eher, nur ist das auch ungefähr der Nenner, auf den sich jeder Fußgänger in der Einkaufsstraße mit mir einigen würde.

Das Problem ist: Ich will auf einer Reise alle meine Lieblingsanziehsachen dabei haben, und zwar wenn möglich aus allen Kategorien etwas: von „kaltwindigem Regen“ bis zu „warmwindigem Regen“, „Gewitterregen“, „frisch aber sonnig“ und „Sommerausbruch mit Sprung in den See“. Einfach!, denke ich dann: Ich werde zwei Abende vorher für jede Situation ein Outfit zurecht legen. Das letzte Mal ein Outfit im Voraus rausgelegt habe ich am Tag meiner Einschulung – aber ich gebe mich vor jeder Reise wieder der Illusion hin, dass ich doch nun wieder damit beginnen könnte. Dass ich durch diese Aktion überhaupt erst feststellen würde, zu welcher alles umwerfenden Strahlkraft meine Klamotten fähig sind. Ich könnte durch dieses Ritual meinen Kleiderschrank neu kennenlernen und dann, ja dann wäre ich vielleicht ein neuer Mensch.

In Wahrheit sieht es so aus: Am Abend vor der Abreise reiße ich alles aus dem Schrank und mir meine Sachen vom Leib, schlüpfe in die erste Hose und halbherzig in ein Oberteil, drehe mich zum Spiegel und fühle mich plötzlich müde und lustlos: ich kann mich im nächtlichen Zimmerlicht nicht in irgendeine ferne Sommerschwüle versetzen und erst recht keine Entscheidung fällen, ob ich dann eine Seidenhose, einen Rock oder Shorts tragen möchte. Ich brauche die 400 Milliarden verschiedenen Faktoren des entscheidenden Moments, um einigermaßen angemessen reagieren zu können – oder auch nicht. Ich bin ein Improvisier-Mensch und kein Plan-Mensch, genauso wenig wie ich Referate oder tolle Sätze vor einem wichtigen Gespräch üben kann, kann ich Outfits planen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Denn wenn man richtig plant, dann muss man genau sein, und wenn man genau ist, muss man noch ein anderes Paar Sandalen einpacken, weil die, die zur Shorts passen, zum Rock doof aussehen. Mehr als zwei Paar gehen aber nicht, weil ja noch die Chelsea Boots mit müssen. Obwohl – das ist überhaupt die Frage: Warum nehme ich immer die mit? Vielleicht sollte ich einfach mal die roten Schuhe zu meinen Basic-Schuhen machen? Immer schwarz ist doch irgendwie feige.

Wäre nicht das Wegfahren sowieso mal ein Anlass, ein paar neue Kombinationen auszuprobieren? Es gibt ein Video, in dem Tavi Gevinson erklärt, wie sie für die Fashionweek packt. In einer Einstellung steht sie vor dem Kleiderschrank und sagt den schönen Satz: „None of these fun clothes get enough wear“. Es ist so treffend und rührend, wie sie ihre Kleider mit diesem Satz zu lebendigen Wesen erklärt, die ein Recht auf Auslauf haben.

Weil mein Koffer aber keinen Platz für alle Eventualitäten hat, erst Recht nicht für Experimente mit Exzentrik, bringt mich dieser Gedanke noch viel mehr durcheinander und es endet damit, dass ich hektisch alles in den Koffer stopfe, was ich in letzter Zeit oft getragen habe. Einige Sachen rubbele ich noch im Waschbecken sauber, weil ich natürlich nicht wie geplant noch gewaschen habe. Wenn ich denke, dass ich fertig bin, ist der Koffer natürlich zu voll. Dann erwacht mein innerer Smartass und sagt: Schmeiß alles, was doppelt ist, aus dem Koffer raus! Du wirst nicht zwei Strickjacken anziehen, eine reicht, wir kennen das schon. Das Geheimnis lautet: Was du nicht dabei hast, kannst du nicht vermissen. Zur Not kaufst du eben was!

Das letzte Argument kriegt mich immer. Ich denke: „Genau! Ich nehme einfach fast gar nichts mit, in anderen Städten gibt es sowieso die schönsten Sachen!“ Ich fahre also letzten Endes immer viel zu leichten Koffers und stolzen Entsagen-Mutes los. Was ich nie bedenke: Dass man immer dann, wenn man sucht, nicht findet. Generell und überhaupt im Leben, aber erst recht, wenn es um Klamotten geht. Und nichts ist trauriger, als nichts Schönes anzuziehen zu haben, wenn sonst alles und jeder so urlaubsschön ist. Und sich dann bei irgendeinem H&M in Lissabon irgendein Geht-immer-ist-aber-deshalb-auch-nur-geht-so-Teil für 19,99 zu kaufen, während man auf das azurblaue Windflatterkleid gehofft hatte, von dem man noch seinen Enkelkindern erzählt, es sei „das Lissabonkleid“.

Vielleicht liegt die Antwort darauf, was "zwei weiße Hemden" für mich sind, in einer letzten Furcht begraben, die jedes Kofferpacken aufs Neue begleitet: So lange ich keine wahnsinnig reiche Dame bin, die sich vor Ankleidezimmern nicht retten kann, wird es immer so sein, dass ich meine liebsten, lange angesammelten und angesparten Lieblingsklamotten in den Koffer stecke – und zu Hause dann die eher langweiligeren übrig bleiben. "Zwei Hemden", das sind deshalb vielleicht einfach nur die drei Outfits, die ich in den letzten zwei Monaten am häufigsten getragen habe. Die Sachen, die mir so lieb sind, dass ich mich frage: Was geschieht, wenn mein Koffer abhanden kommt?

Das ist ein bisschen so eine Haus-brennt-ab-Furcht. Ist dann nicht mein gesamtes Stilkonzept hin, all meine Erinnerungen an das, was war? Finde ich dann den Weg zurück zu dem, was mir gefällt und mir steht? Dramatisch formuliert: Bin ich dann überhaupt noch dieselbe Person?




Text: mercedes-lauenstein - Illustration: Katharina Bitzl

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