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Nachgekauft!

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Ich pflege eine ausgeprägte Hassliebe zu Menschen auf der Straße und im Bekanntenkreis, deren Klamotten mir gefallen. Einerseits denke ich: Endlich mal wieder jemand, dessen Kleidung mir gefällt und bei dem ich mir was abschauen kann. Andererseits denke ich: Aber wieso sehe ich nicht so cool aus - beziehungsweise: Wieso fühle ich mich nicht so cool, wie ich diese Person gerade finde?

Die Sache mit dem Klamotten-Neid ist zwischen meinem 13. und meinem 24. Lebensjahr zum Glück kontinuierlich besser geworden. Vielleicht, weil meine Anziehsachen nicht mehr so viel mit meiner Suche nach dem Platz in der Welt zu tun haben und ich nicht mehr so viel Angst habe, jemand könnte mir diesen Platz durch eine ähnliche oder eine vermutet bessere Klamottenwahl streitig machen. Dummes Gezanke und Gezicke, in dessen Verlauf der Satz „Das hast du/hat er/sie mir doch nachgekauft!“ fällt, gibt es in meinem Mode- und Freundekosmos nicht mehr und ich kann kaum zum Ausdruck bringen, wie erleichtert ich darüber bin.



Dass ich andere Frauen und Männer auf der Straße für ihren Stil bewundere und mir bei Geschwistern, Freunden, Kommilitonen oder Kollegen etwas abgucke, kommt allerdings noch immer vor. Und noch immer empfinde ich dabei eine verstohlene und heißbrennende Abguck-Begierde. Das Auftauchen von Streetstyle-Blogs ist diesem Leute-abchecken-Voyeurismus sehr entgegengekommen. Vor allem jene Blogbetreiber, die unter die Bilder schreiben, wo der oder die Trägerin die Mode herhat, taugen dazu, abzugucken ohne, dass es jemand merkt und sagen könnte: Hast du doch alles nur geklaut.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Trotzdem macht Abchecken nur im echten Leben so richtig Spaß, wenn die eine, interessante Stilikone aus dem Nichts auftaucht, neben einem am Kleiderständer zupft oder auf dem Geburtstag eines Freundes den Raum betritt. Die hundertprozentige Attitüde dieser Person ist dann live dabei: Sie bewegt sich auf eine bestimmte Art und Weise, die im besten Fall stimmig und selbstsicher ist (wenn sie das nämlich nicht ist, ist meistens auch der Charme des Outfits fristlos ruiniert). Vielleicht hört man dazu auch noch ihre Stimme und kann ein Stückchen von ihr riechen. Wenn man Glück hat, sieht man, wie sie etwas aus der Tasche zieht, welches Getränk sie trinkt und welche Kaugummis sie kaut. Sie ist dann eine echte, nahbare Person, die man für eine ganz kurze Weile beschatten und von der man sich so eine lebhafte Erinnerung für einfallslose Zeiten stehlen kann. Von „Bohemian Frieda aus Manhattan“ auf streetstyle-xyz.com kann man das nicht so gut. 



Nur was kann man dagegen tun, dass einen solche Stilikonen des Alltags immer ein bisschen traurig und innerlich leicht hysterisch stimmen? Dass man in so einem Moment nicht automatisch denken muss: Die hat bestimmt einen ganzen Schrank voll toller, lange gesammelter Stücke, die sie nie, nicht einmal an Gammeltagen langweilig aussehen lassen. Ich hingegen habe immer bloß meine Lieblingsstücke, die fünf, sechs Teile, die gerade in meinen Klamotten-Monatscharts oben stehen.

Vielleicht muss man sich damit trösten, dass das mit den eigenen Anziehsachen so ist, wie früher mit dem Essen bei den Eltern von Freunden. Bei denen gab es immer spannende, vollmundige Sachen und die Gewürze waren allumfassend gut. Zu Hause aber schmeckte alles immer nach dem gleichen Familienessen aus der gleichen Auflaufform, und der Käse und die Butter immer ein bisschen so wie der Kühlschrank riecht. Auch wenn das bei den Freunden natürlich ganz genauso war, nur dass der Kühlschrank da eben anders roch. Keinesfalls besser. Aber: Aufregender. Eine Tatsache, die vermutlich nicht nur für Essen und die Stadt und das Land gilt, in dem man lebt, sondern auch für Klamotten.

Vielleicht sollte man sich das öfter vor Augen führen, immer dann, wenn man zu einer besonders stilvollen Person herübersieht und sie beneidet. Vielleicht tut sie ja dasselbe, egal ob bei einem selbst oder bei jemand anderem. 
Zweitens ist es vielleicht sowieso viel zu viel verlangt, immer zufrieden mit sich zu sein. Drittens ist es wahrscheinlich ziemlich oft wie beim Friseur: Nur, weil man ein Bild von Natalie Portmans Frisur mitschleppt, sieht man hinterher nicht aus wie Natalie Portman. Die meiste Zeit ist es gar nicht die Frisur oder das Outfit, dem man hinterherneidet, sondern der Typ Frau und wie bei ihr Innen und Außen zusammenzuwirken scheinen. Man sollte sich also vielleicht lieber darauf konzentrieren, was bei einem selbst so eine Harmonie schaffen könnte. Und das ist nicht unbedingt immer das, was in irgendeinem banalen Moment bei jemand anderem gut aussieht.


Text: mercedes-lauenstein - Illustration: Katharina Bitzl

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