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Hutbürger vor
Ich hätte gerne so viele Hüte, wie ich Tücher und Schals besitze. Für jeden Anlass und jedes Outfit einen. Ich könnte mich mit ihnen vor der Sonne schützen, könnte an einem verkommenen Tag meine ungewaschenen Haare verbergen und trotzdem Eleganz ausstrahlen. Ich könnte, wenn es mir irgendwo reicht, meinen Hut nehmen und nach Hause gehen, wie mit einem Freund, der mir auch dann schützend beiseite steht, wenn alles nervt.
Leider ist die große Zeit der Hüte seit mindestens zwanzig oder dreißig Jahren vorbei und bisher nicht würdig zurückgekehrt. Ein junger Mensch mit Hut kommt immer größenwahnsinnig rüber. So als ernenne er sich gerade zum großen Individuellen, zum Querdenker oder Rockstarmenschen - der er leider nicht ist. In Wahrheit ist er meist nämlich einfach nur jemand, der zuviel Mad Men geguckt hat oder eine, die das Outfit der „Rockgöre“ einer Mädchenzeitschrift nachgestylt hat. Viel zu oft tragen jene Leute einen Hut, die denken, er würde sie zu einem interessanteren Menschen machen. Meistens sind das Menschen, die es cool finden, ein "Markenzeichen" zu haben. Und ganz oben auf der Liste von möglichen Markenzeichen stehen neben Narben und Pfeifen eben auch Hüte. Und genau deshalb können sie nie unauffällig oder einfach so getragen werden.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Das Schlimmste daran ist aber, dass es sachlich betrachtet überhaupt keinen Grund gibt, den Hut ins Lächerliche zu ziehen. Denn Hüte haben nie, nie, nie ihre Funktionalität eingebüßt. Menschen mit Armbanduhren zum Beispiel müsste man eigentlich sehr viel alberner finden als Menschen mit Hut. Trotzdem können heute nur noch alte Menschen ernsthaft Hut tragen. Weil man sagt: Die haben das ja schon immer gemacht. Oder Prominente, denen man glaubt, dass sie den Hut nicht nötig haben. Man nimmt ihnen ihre Verruchtheit und Scheiß-egal-was-du-denkst-Haltung irgendwie ab. Kate Moss darf, Johnny Depp sowieso. Und Jemima Kirke erst, die in der Serie „Girls“ die verruchte Jessa spielt. Asiatische Moderatorinnen oder Bond-Girls dürfen auch, ach, eigentlich dürfen sogar Drew Barrymore und Cameron Diaz. Bei ihnen ist der Hut tatsächlich noch eine beiläufige Klamotte - und selbst wenn nicht: In einem Star-Umfeld, in dem sowieso alles too-much ist, fällt ein Hut auch nicht mehr aus dem Rahmen.
Aber wie kann es gehen, dass der Hut für Menschen ohne dauer-too-much in ihrer täglichen Grundexistenz wieder so etwas wird wie die Mütze im Winter, die Handschuhe in der Kälte und der Regenschirm bei Regen? Dass man jedes Mal kurz bevor man einen Hut zur Kasse tragen will, es dann aus Angst vor Möchte-gern-Stempeln doch sein lässt, hilft der Selbstverständlichkeit des Hutes auch nicht wieder auf die Beine. Der Hut muss aufhören als „Trend-Kopfbedeckung“ zu gelten. Irgendjemand müsste damit anfangen, ihn gelassen und normal zu tragen, und alle müssten es nachmachen. Vielleicht müsste man viel eindringlicher die Kunde verteilen, dass es heutzutage ohne Hut beinahe lebensgefährlich ist. Wo wären wir ohne Sonnencreme und ohne Sonnenbrillen bei diesen UV-Werten? Warum denkt denn da keiner an den Hut? Wenn schon in diesem Sommer das Käppi als ernsthafte Kopfbedeckung auch für Nicht-Sportler und Anti-„Van Dutch“-Fans zurück kommt und seinen Proletengeschmack ablegt, kann dann der Hut nicht sein Gatsby-Getue hinter sich lassen und einfach nur wieder eine Kopfbedeckung unter vielen werden?
Text: mercedes-lauenstein - Illustration: Katharina Bitzl