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Der Niedergang der Umkleidekabine
Die Umkleide ist kein Minilädchen, vorm Eingang steht nicht Marijke Amado. Es verschluckt einen keine Zauberkugel, dafür werden die Stretchbewegungen beim Jeanskauf, aufgrund viel zu schmaler Vorhänge, zur öffentlichen Veranstaltung. Der Spiegel fängt den amüsierten Blick vom Partner der Kabinennachbarin ein: „Ja, Schatz?“, ruft er nach nebenan. „Was zur Hölle macht die da?“, sagt sein Spiegelgesicht. Und statt blauem Nebel umspielen Staubmäuse die Füße.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Die meisten Umkleidekabinen sind Folterkammern. Spiegelkabinette, konzipiert, nicht um den Menschen in der Mode, sondern die Kleidung an sich besonders vorteilhaft aussehen zu lassen. Doch was nützt ein gut ausgeleuchteter Faltenwurf, wenn die Beine aussehen wie die Illustrationen aus dem Medizinlehrbuch „Die feinsten Blutgefäße des Menschen in gesunden und kranken Tagen“?
Dabei muss sich seit Onlineshopping und großzügigen Umtauschrechten niemand mehr der Umkleide stellen. Kein Anstehen mit lahmen Gliedmaßen, weil man zwölf anstatt sechs Teile, plus einem Paar Schuhe, balanciert. Keine Leuchtkonzepte, die einen eher motivieren zum Dermatologen, als zur Kasse zu gehen. Aber ist die eigene Wohnung die bessere Umkleide? Viele meiner Freundinnen bestellen mittlerweile online. Nonstop. Hier zwei Kleidchen, da vier Bikinis, und ach, dann mal schauen: wenn’s nicht passt, geht’s halt zurück. Vorm eigenen Spiegel darf man sich krümmen und recken wie man will, keiner glotzt ungefragt durch den Türspalt, und der Kleiderschrank präsentiert vorhandene Kombinationsmöglichkeiten. Wen stört dann noch die Zettelwirtschaft aus Lieferscheinen?
Hat die Umkleide also ausgedient? Schade wäre es schon. Folterkammer hin oder her, trotz Neonröhren und Fusselfüße, hat sie irgendwie auch Spaß gebracht. Damals als ich in der Kinderumkleide mit meiner Mutter über meine erste Schlaghose verhandelt habe. Der Deal: die Schlaghose gibt’s nur, wenn ich die grünkarierte Karottenhose zum nächsten Familienfest trage. Oder als wir zu Dritt in einer Kabine heimlich unsere ersten Bustiers anprobierten. Schnell schnell, bevor der Schulbus kommt.
Die Umkleide war auch immer ein sozialer Ort, ein Raum nicht nur zum Umkleiden, sondern auch zum Verkleiden, den man mit der richtigen Einkaufsbegleitung sogar mit mehr und nicht mit weniger Selbstbewusstsein verließ. Denn egal wie oft man sich Zuhause, weit weg von Energiesparlampen und stauchenden Spiegeln, in seinem neuen Outfit dreht und wendet, manchmal braucht man eine Meinung. Früher lud man noch Freundinnen ein, zum Fertigmachen, bevors zur Party oder zum Sportfreunde-Stiller-Konzert ging. Mittlerweile tüdelt jeder für sich und auch das Shopping besorgen die meisten Freunde allein. Doch wer sagt einem dann noch, was geht und was nicht? Dann hilft der Mikrokosmos Umkleide. Hier werden zwar aus Fremden keine Freunde, aber gelegentlich Berater. Man kommt raus in den Lichtkegel vor den großen Spiegel, stellt sich auf Zehenspitzen und manchmal treffen sich dann die Blicke. „Mh, die Farbe, naja, zu deinen Haaren das Kleid vielleicht in Farbe?“ Oder, „wow, das sieht super aus! Das musst Du unbedingt kaufen.“ Wer braucht dann noch eine Zauberkugel?
Text: mareike-nieberding - Illustration: katharina-bitzl