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„Ich kann nicht für immer Praktikant bleiben“

Foto: Prajwal Veeresha Sajjan

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Manideep Allu, 25, kam aus Indien für den Master in „Chemical and Energy Engineering“ nach Deutschland. Er ist eine der Fachkräfte, die Deutschland so dringend braucht. Wir protokollieren seinen Alltag und wollen wissen: Klappt Integration?

Im Telefonat für Folge 11 spricht er das erste Mal komplett auf Deutsch, kommt ganz ohne das Englische aus. Er erzählt, wie viele Jobbewerbungen er seit der vorherigen Folge verschickt hat und wie die Liebe zum Sport Indien und Deutschland verbindet.  

Was in den vergangenen Wochen passiert ist:

Ich habe inzwischen 50 Bewerbungen geschrieben. Es gab zwei Vorstellungsgespräche. Bei dem einen haben sie jemanden mit mehr Erfahrung genommen. Und bei dem anderen Job, hätte ich einen deutschen Führerschein gebraucht, um von Baustelle zu Baustelle zu kommen. Den habe ich nicht, und er ist sehr teuer. 

Aber ich verstehe, dass der Führerschein gebraucht wird. Denn hier wird dauernd im öffentlichen Verkehr gestreikt. In den letzten zwei Wochen gab es drei Streiks. Manchmal komme ich in der Kleinstadt an, in der ich arbeite. Und dann fährt kein Bus zu meiner Firma. Ich muss dann ein Taxi nehmen. Teuer! Das ist nur bezahlbar, wenn ich mir mit Fremden eins teile. Im Sommer nehme ich dann einen E-Scooter. Früher konnte ich eine Kollegin anrufen, die mich mit ihrem Auto abholt. Aber inzwischen hat sie die Firma verlassen. So wie ich es bald auch muss.

Ich bewerbe mich weiter und versuche es positiv zu sehen: In jedem Vorstellungsgespräch lerne ich etwas. Und die Fehler, die ich in einem mache, wiederhole ich beim nächsten Mal nicht. Zum Beispiel wenn ich eine Frage auf Deutsch nicht verstehe. 

Meine Masterarbeit läuft sehr gut, ich brauche nicht mehr lange. Aber ich freue mich nur zu 50 Prozent, wenn ich sie abgebe. Denn mit den anderen 50 Prozent weiß ich, dass das bedeutet, dass ich einen Job finden muss. Mein Studium endet in wenigen Monaten. Mein Arbeitsvertrag endet im Juni. Ich kann nicht für immer Praktikant bleiben oder Werkstudent.

Mein Visum läuft im November aus, dann muss ich zur Ausländerbehörde und ein ‚Job-Seeker-Visum‘ beantragen. Damit habe ich ein Jahr Zeit, um einen Job zu finden. Sonst muss ich zurück nach Indien. Die Situation in der

Automobilindustrie, in der ich arbeite, ist aktuell schwierig, die wirtschaftliche Lage nicht gut. Eigentlich sogar katastrophal. Wenn überhaupt neue Leute eingestellt werden, dann mit mehreren Jahren Berufserfahrung. Ich habe bald erst zwei, das reicht nicht.“ 

Mein bestes Erlebnis der vergangenen sechs Wochen:

„Indien hat das Cricket-Finale gegen Neuseeland gewonnen! Ihr fragt euch, wie ich acht Stunden Zeit für dieses Spiel aufbringen konnte? Hier ist mein Tipp: Auf einem Bildschirm gucke ich das Spiel, auf dem anderen schreibe ich an meiner Masterarbeit. Meine Masterarbeit ist nämlich Priorität Eins. Cricket aber auch. Für uns Inder ist Cricket, wie Fußball für die Deutschen, Nationalsport. Wir lieben das! Wenn Cricket läuft, sind alle vor dem Fernseher. Ich fühle mich dann mit der Heimat verbunden. Aber irgendwie auch mit den Deutschen. Weil sie zum Fußball eben die gleiche Leidenschaft haben.“

Meine neueste Entdeckung: 

„Ich gehe einmal in der Woche in den hinduistischen Tempel in Braunschweig. Es gibt da auch so etwas wie Gottesdienst, der dauert nur eine halbe Stunde – die christlichen, in denen ich war, dauerten doppelt so lange. Warum? Wir haben doch viel mehr Götter, über die gesprochen werden muss. Immer geht es nur ein paar Minuten um einen. Außerdem ist es auf Sanskrit, die Sprache ist dichter als Deutsch. Vielleicht liegt es auch an den Mantras, das es so viel schneller bei uns geht: Die sind viel kürzer als die langen Lieder in der Kirche. Am Ende meditiere ich – aber nur zehn Minuten. Danach fühle ich mich immer besser. Ich probiere dann einfach an nichts zu denken, natürlich klappt das nur manchmal. Das passiert allen. Wenn ich mir vornehme: Daran will ich jetzt nicht denken, dann kommt der Gedanke erst recht. Zum Beispiel über meine Zukunft.“

Mein aktuelles Lieblingswort:

„Eigentlich ist es nicht mein Lieblingswort, aber eines, was ich neu gelernt habe: Sorgen. Also übersetzt: Worries. Die habe ich nämlich. Ich warte jeden Tag auf eine E-Mail, auf einen Anruf, auf eine Antwort für einen der Jobs, auf die ich mich beworben habe. Ich mache mir Sorgen. Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt. Das Schöne ist aber: sich sorgen bedeuten nicht nur das gleiche wie „to worry“, sondern auch wie „to  care“, also sich kümmern. Wie man es um die Familie tut, um geliebte Menschen oder etwas, das einem wichtig ist. Also wird dasselbe Wort auch für etwas Positives benutzt. Ich hoffe, ich kann es bald auch mehr mit dieser Bedeutung benutzen – zum Beispiel wenn ich für eine neue Wohnung sorge, weil ich in eine andere Stadt ziehen werde. Für einen neuen Job.“

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