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Hätte es ohne Facebook und Twitter diese Panik in München gegeben?

Foto: Johannes Simon/Getty Images

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Die meisten Abende verbringen meine Eltern zu Hause. Sitzen im Garten oder vor dem Fernseher. Ausgerechnet am Freitagabend nicht. Da waren sie in München unterwegs. Im Brunnenhof der Residenz, Münchner Innenstadt. Auf einem klassischen Konzert. Also an einem Ort, wo man laut Polizei bitte im Moment nicht sein sollte.

Ich bin nur wenige Kilometer entfernt, zu Hause, ebenfalls noch Innenstadt. Im Laufe des Abends merke ich: Meine Eltern und ich nehmen die Situation völlig anders wahr

Etwa eine Dreiviertelstunde lang erreiche ich sie nicht. Mein Vater ist Handyverweigerer, meine Mutter hört ihres wohl nicht. Bis sie rangeht, fühlt sich mein Wohnzimmer längst wie ein Krisenzentrum an: Der Fernseher läuft, auf unseren Laptops sind Twitter, Facebook und alle verfügbaren Liveticker von Nachrichtenmedien geöffnet, unsere Handys piepsen, Austausch mit Freunden, sind alle in Sicherheit, hast du auch gehört, am Tollwood soll es auch Schüsse gegeben haben. Meine Mutter sagt am Telefon dann als erstes: „Wir sind jetzt doch in den Herkulessaal gegangen, wegen Regen. Die haben das Konzert nach drinnen verlegen müssen.“ Sie klingt hörbar enttäuscht.

Was? Regen? Konzert nach drinnen verlegt? Ihr müsst nach Hause! Raus aus der Innenstadt! Die Polizei rät, Menschenansammlungen zu meiden. Habt ihr denn gar nichts mitbekommen?

Doch. „Die haben hier gesagt, was los ist. Aber auch, dass das Konzert stattfindet. Dass wir uns die Laune nicht verderben lassen sollen.“ Meine Mutter klingt, als gelinge ihr das. Meine Laune ist da schon längst im Terrormodus. Auch wenn man zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht weiß, ob es Terror ist. Die Frage ist: Was ist besser?

Terror kann nur wirken, wenn er die Menschen erreicht. Mich erreicht er gerade auf allen Kanälen. Ich kriege jede neue Meldung mit, wahre wie falsche. Meine Eltern haben keine Pushmitteilungen, sie sind offline, sie wissen nur das, was ihnen jemand sagt. In einem Konzert ist das eher wenig. Bei mir hingegen: Polizeieinsatz auf dem Tollwood. Videos vom Schützen vor dem McDonalds. Schüsse am Stachus. Schüsse am Isartor. Das ist die S-Bahn-Station, zu der ich morgens immer gehe. Mit diesen Tweets im Hinterkopf wirkt der Polizeihubschrauber, der nicht weit entfernt in nur knapp 100 Meter Höhe in der Luft steht, doppelt bedrohlich. Ich habe Angst, dass dieser Abend eine Wiederholung der Ereignisse in Paris im November werden könnte, mit Angriffen an mehreren Stellen. Ich überlege, ob ich meine Eltern nicht sofort abholen sollte.

Die aber hören das Konzert. Ich gebe ihnen Neuigkeiten per SMS durch: Täter immer noch nicht gefasst, keine Entwarnung. Ich recherchiere, ob die Straßen frei sind, damit sie später nach Hause fahren können, es gibt ja Gerüchte von gesperrten Straßen. Als ich ihnen später meine Ergebnisse am Telefon durchgeben will, sagt meine Mutter, sie würden überlegen, jetzt noch was essen zu gehen. Sie klingt immer noch ziemlich entspannt.

Etwas später, als meine Eltern auf dem Heimweg sind, beschließe ich, die Leitungen zu kappen. Keine Updates mehr, keine Pushmeldungen, Smartphone auf Flugzeugmodus. Elternmodus sozusagen. Vielleicht, denke ich, ist der in solchen Situationen der Bessere. Vielleicht ist es besser, die vielen Gerüchte einfach verpuffen zu lassen. Sie nicht an sich ranzulassen. Nicht immer alle neuesten Infos über Twitter zu lesen. Weil viele davon falsch sind, man sie in diesem Moment der Alarmiertheit aber trotzdem für wahr oder wahrscheinlich hält. Hätte es ohne Twitter und Facebook diese Panik am Stachus gegeben, wo Menschen rannten, flüchteten, Angst haben? Hätten die Meldungen von Schüssen am Isartor die Stadt weiter verunsichert? Hätte sie sich überhaupt weiter verbreitet als bis zu dem Menschen, der sie gehört zu haben glaubt oder seinem direkten Nachbarn, mit dem er dann kurz drüber redet?

Andererseits: Alle Infos ausblenden, um den Schwachsinn nicht lesen zu müssen, ist auch keine Lösung. Vermutlich hilft also nur eins: Wenn alle mal aufhören, aus Sensationsgeilheit oder Geltungsdrang oder Panik oder was auch immer völlig ungesicherte Informationen rauszuballern und weiterzuleiten. Vielleicht müssen wir uns alle an solchen Abenden öfter mal selbst ermahnen, einfach mal still zu sein. 

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