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Ich bin Hundebesitzer, kein Hundepapa

Illustration: FDE

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Seit knapp drei Monaten haben meine Freundin und ich einen Cockapoo-Welpen. Seitdem hat sich bei uns Zuhause einiges verändert. Zum Beispiel kommunizieren wir wieder mehr, weil wir jetzt abends in der Küche am Esstisch essen und nicht mehr vor dem Fernseher. Da kommt Sissi nämlich an die Teller. Und Instagram schlägt uns nun hauptsächlich Hunde-Content vor. Beides hat nicht nur Vorteile.  

  

Neulich schob Theresa ihr Handy über den Tisch und zeigte mir ein Video. Darauf zu sehen: ein Mann, der bis zu den Knien in einem Tümpel steht und mit einem Krokodil kämpft, das einen Chihuahua im Maul hat. „Würdest du das für Sissi auch tun?“, wollte Theresa von mir wissen.  

„Auf keinen Fall“, sagte ich. 

Als könnten wir kein Kind kriegen und nun soll der Hund diese Lücke schließen

Theresa blickte mich entsetzt an. „Ich wäre ihr bestimmt keine Hilfe“, verteidigte ich mich. „Sissi hat messerscharfe Reißzähne und blitzschnelle Reflexe. Ich hingegen hab mir mal beim Zähneputzen den Rücken verrenkt“, schob ich schnell hinterher. „Das ist wie wenn der Backofen in Flammen steht und die kleine Tochter will beim Löschen helfen. Nett gemeint, aber eigentlich wäre dir lieber, das Kind bleibt weg und lässt dich das Feuer allein löschen.“ 

Ich stand auf und räumte die Teller ab. „Apropos, ich glaub der Hund muss bald mal wieder raus. Alexa, wie spät ist es?“ „Es ist jetzt 19:32 Uhr“, dröhnte es aus dem Lautsprecher im Wohnzimmer. „Du würdest also einfach zugucken, wie unser Baby gefressen wird?“ fragte Theresa. „Naja, ich würde schon Steine werfen und Kusch Kusch rufen oder so“, antwortete ich. „Aber ich würde nicht mein Leben riskieren. Weil Sissi eben nicht unser Baby ist, sondern unser Haustier.“ Theresa hob Sissi vom Boden auf und drückte sie liebevoll an sich. „Doch, du bist unser Baby, gell?“ „Neeein, sie ist unser Cockapoo. Und wir sind auch keine Hundeeltern, sondern Hundebesitzer.“

„Wo ist der Unterschied?“ „Das wirkt so traurig. Als könnten wir kein Kind kriegen und nun soll der Hund diese Lücke schließen.“ „Interpretierst du da nicht etwas viel in einen Kosenamen?“ „Finde ich nicht. Indem du für beide denselben Begriff verwendest, hebst du Hund und Kind doch schon auf dieselbe Ebene“, erwiderte ich und fügte hinzu: „Guck mal, in dem Film ‚Lars und die Frauen‘ betrachtet Ryan Gosling eine Gummipuppe als seine Freundin. Ist das okay? Wo ist der Unterschied, welcher Grat an Personifizierung ist noch in Ordnung und wann ist man ein Fall für den Psychotherapeuten?“, fragte ich, während ich rüber ins Ankleidezimmer ging, um mir Schuhe und Jacke für die Gassi-Runde anzuziehen.

„Alexa, wie warm ist es draußen?“ „Heute wird eine Höchsttemperatur von 8 Grad Celsius erwartet.“ „Alexa, du bist die Beste.“ 

„Das kann ich nur zurückgeben. Zusammen sind wir ein unschlagbares Team“, lobte der Echo-Dot. Theresa hob eine Augenbraue. „So viel zum Thema Vermenschlichung. Und übrigens bin ich Psychotherapeutin und ich finde es völlig in Ordnung, sich als Hunde-Mama zu bezeichnen“, sagte sie, zog die Wohnungstür auf und klemmte sich den Hund unter den Arm. „Komm, … BABY!“ 

Meine Grenze ist das Wort „Baby“ – dachte ich 

Ich gebe ja zu, dass Welpen und Menschenbabys in einigen Punkten durchaus Ähnlichkeiten aufweisen. Beide sind süß, anhänglich und unselbständig, man muss ihnen viele Dinge erst noch beibringen und alles ist neu und aufregend für sie. Das ändert aber nichts daran, dass ein Hund ein Hund ist und ein Mensch ein Mensch und dementsprechend behandle ich beide auch unterschiedlich. Menschen dürfen in mein Bett, Hunde nicht. Dafür bin ich bei Vierbeinern nachsichtiger, wenn sie mir auf den Fußboden pinkeln.  

Die Vermenschlichung von Tieren hat in unserer Gesellschaft völlig absurde Züge angenommen, wie ich finde. Dass manche Frauchen ihren Hunden im Winter Jacken anziehen, kann ich ja noch nachvollziehen. So wild wie der Mensch in den vergangenen Hundert Jahren die Tierwelt auf links gedreht hat, kann bei der einen oder anderen Rasse der natürliche Kälteschutz schon mal flöten gehen. Du kannst ja auch keine Giraffe mit einem Igel kreuzen und dann vom Endergebnis erwarten, dass es ohne Hilfe immer noch die Blätter oben an der Baumkrone erreicht. Manche Rassen hätte man auch einfach lieber in ihren ursprünglichen Gefilden lassen sollen. So ein mexikanischer Chihuahua ist halt nun mal nicht gemacht für das niederbayerische Nieselwetter. Aber was bitteschön ist die Erklärung für Hundebuggys, in denen manche Herrchen ihre Vierbeiner durch die Stadt schieben? Oder für die Dame, die 2021 an Bord eines Delta-Flugs nach Atlanta ihre Katze an der Brust stillte? Irgendwo muss einfach eine Grenze sein. Bei mir ist es das Wort „Baby“. Naja, dachte ich jedenfalls am Anfang.

Ein paar Tage nach unserer Diskussion saß ich spätabends noch am Küchentisch und arbeitete, während Theresa bereits schlief. Als ich aufstehen wollte, um ebenfalls zu Bett zu gehen, rutschte ich mit meinem Stuhl ein Stück nach hinten, und hörte plötzlich ein lautes Fiepen. Irgendwie muss ich mit dem Stuhl eine Pfote von Sissi erwischt haben, die sich unbemerkt hinter mich gelegt hatte. Einem kleinen Hund aus Versehen weh zu tun, ist ein schreckliches Gefühl. Man fühlt sich wie der brutalste Mensch der Welt und betet zu Gott, dass dieser kleine Hund jetzt nicht gleich alles Vertrauen in dich verloren hat. Minutenlang trug ich Sissi durch die Wohnung, streichelte sie, küsste sie und entschuldigte mich. Dann, nach einer Weile, setzte ich sie in ihrem Körbchen im Schlafzimmer ab, gab ihr noch einen letzten Kuss auf den Kopf und flüsterte: „Jetzt gehen wir ins Bett, ja? Schlaf schön, mein Baby. Ich lieb dich!“ 

„HA!“ schallte Theresas Stimme aus der Dunkelheit. „Ich hab's genau gehört.“ 

Verdammt.  

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