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Alltag mit Hund: Gassi gehen in der Nacht
Keine Ahnung wer sich ausgedacht hat, dass man schlafende Hunde nicht wecken solle. Aber die Person dürfte nachts im Halbdunkeln auf dem Weg ins Bad ziemlich oft in Pipi-Lachen getreten sein. Zumindest ist uns das mit unserem drei Monate alten Cockapoo schon passiert.
Welpen können nämlich ihren Schließmuskel noch nicht kontrollieren. Wenn die Blase voll ist, entleert sie sich schneller als man „hochempfindliches Fischgrätparkett“ sagen kann. Das passiert alle zwei Stunden, nachts natürlich auch. Und weil ein Hund leider nicht Bescheid gibt, wenn's mal wieder so weit ist, müssen wir Sissi eben mehrmals pro Nacht wecken und hoffen, dass die Blase gerade halbwegs voll ist.
Und so stehe ich nun jede Nacht im Pyjama vorm Haus und warte darauf, dass Sissi ihr Geschäft macht. Die Beseitigung ist übrigens nicht so eklig wie man sich das vorstellt. Ein kurzer Griff mit dem Plastiksack und das Häufchen Elend ist verschwunden (Jedenfalls alles von Typ 1 bis 4 auf der Bristol-Stuhlform-Skala). Da ich meistens spät ins Bett gehe, übernehme ich die Schichten um Mitternacht und um vier Uhr, Theresa geht um zwei und um sechs Uhr mit Sissi raus, weil sie einer dieser verrückten Morgenmenschen ist, die sowieso immer früh aufstehen.
Wenn ich Freunden von unserem Schlafrhythmus erzähle, gucken die ganz mitleidig. Dabei stören mich die nächtlichen Klo-Ausflüge nicht. Es muss halt gemacht werden. Das ist wie mit dem Zähneputzen. Da hadere ich jetzt auch nicht jeden Morgen vorm Badezimmerspiegel mit meinem Schicksal. Eine Lektion, die ich von meinem Opa gelernt habe: Wenn etwas getan werden muss, hält man die Klappe und macht es einfach. Aus, Punkt, Ende.
Schlimmer als Gassi nachts gehen zu müssen, sind die anderen Menschen mit Hund
Wirklich nervig ist bloß der Acht-Uhr-Pipi-Slot, da trifft man die anderen Hundebesitzer auf ihrer morgendlichen Gassi-Runde. Und die sind leider schrecklich kontaktfreudig. Nach der ersten Woche kannte ich sämtliche Herrchen und Frauchen im Viertel: Die Weltverbesserin mit ihrem Pointer „Pauli“, den sie verwahrlost auf den Philippinen gefunden hat, und die mich dafür verachtet, dass ich einen Zucht-Hand habe. Wobei ich natürlich verstehe, dass fünf Millionen Hunde in Deutschland viel zu viele sind, und ich ein Teil des Problems bin, wenn ich die Zucht unterstütze. Am Ende war unser Wunsch nach einem Welpen größer als das Verantwortungsbewusstsein, und dafür kann man uns zu Recht kritisieren.
Dann gibt es noch das Survival-Herrchen, mit seinem Schäferhund „Rocko“, der vom GPS-Tracker über die Stirnlampe bis zur Brusttasche für Gassibeutel stehts perfekt ausgestattet ist, das Influencer-Pärchen, deren Dackel-Dame „Hermine“ einen Mantel im Burberry-Muster trägt, und die Witwe mit ihrem Mops Bruno, die mir jedes Mal erklärt, was ich im Umgang mit Sissi alles falsch mache. „Machen Sie die Leine ab, so lernt sie nie sich an Ihnen zu orientieren.“ Eine Sache, die Hundebesitzer und Eltern gemeinsam haben: Jeder redet dir in die Erziehung rein.
Nach der Acht-Uhr-Runde fährt Theresa in die Arbeit und ich bleibe mit Sissi allein Zuhause. Natürlich hatten wir im Vorfeld darüber gesprochen, ob wir Hund und Arbeit unter einen Hut kriegen. „Kein Problem, Schatz“, hatte ich angekündigt. „Sissi sitzt einfach bei mir im Arbeitszimmer unterm Schreibtisch.“ Von wegen! Alle paar Sekunden muss ich Sissi einen Magneten aus dem Maul nehmen, der vom Whiteboard gefallen ist, mit ihr um Papier aus dem Drucker kämpfen oder sie von irgendeinem Stromkabel wegholen. Jetzt gerade während ich diese Zeile tippe, bohrt sie ihre spitzen Milchzähne in meinen Zeh. Das klingt witzig, bringt mich aber regelmäßig an den Rande des Nervenzusammenbruchs, wenn gleichzeitig Emails von der Redaktion aufpoppen: „Wo bleibt der Text?“
Ein Hund hat Gefühle und verdient Liebe und Respekt
Um 18 Uhr kommt Theresa nach Hause. Ich brauche dann erstmal etwas Zeit für mich, mache einen kleinen Spaziergang, höre Musik und versuche, die Nerven zu beruhigen, bevor ich mich wieder ins Chaos stürze. Theresa bereitet in der Zwischenzeit das Abendessen vor.
Früher haben wir nach dem Essen auf dem Sofa gekuschelt und einen Film geguckt oder haben am Tisch ein Glas Wein getrunken und uns unterhalten. Heute sitzen wir schweigend mit unseren Handys da, die eine guckt nach Hundeschulen und der andere googelt „Was tun Welpe Durchfall“ und zwischendurch guckt einer von uns mal auf und schreit: „SISSI! PFUI! Da pinkeln wir nicht hin.“ Alles dreht sich nur noch um den Hund. Natürlich ist das eine Belastung für eine Beziehung, unter der wir beide leiden. Aber in zwei Wochen startet die Hundeschule, und je selbständiger Sissi wird, desto mehr Zeit haben Theresa und ich wieder für uns. Hoffentlich.
Manchmal werde ich gefragt, ob ich es bereue, Sissi geholt zu haben. Das ist eine Frage, die mich ärgert, weil sie den Respekt vor dem Lebewesen vermissen lässt. Eltern würde man so eine Frage nicht stellen. Also warum dann Hundebesitzern? Ein Hund ist kein Neuwagen, wo man sich nach zwei Wochen mal beim Nachbarn erkundigt: „Und? Zufrieden mit dem Kauf?“ Wenn man sieht, wie Sissi in der U-Bahn vor Angst zittert, oder hört, wie sie weint, wenn ich mal kurz allein runter gehe zum Briefkasten, oder wie sie sich freut, wenn Kinder vorbeilaufen, dann wird wohl jedem klar: Ein Hund hat Gefühle und verdient Liebe und Respekt.
Völlig egal, wie oft ich sie also heute schon geschimpft habe und wie genervt ich von ihr war. Gleich habe ich Feierabend, dann beuge ich mich zu ihr runter und sie wird mich ablecken und lieben, als wäre ich der wundervollste Mensch der Welt. Das ist das schönste Gefühl der Welt. Und auch wenn ich meine Wohnungskaution wohl abschreiben kann und meine Unterarme aussehen als hätte ich Händchen gehalten mit Edward mit den Scherenhänden, würde ich Sissi für kein Geld der Welt hergeben. Aber wer sie mal am Nachmittag für ein paar Stunden haben möchte: einfach melden. …. BITTE!
Hinweis: In einer früheren Version dieses Textes stand, der Autor stehe jede Nacht um zwei Uhr nachts draußen und warte auf den Hund. Das war ein Fehler. Wir bitten dies zu entschuldigen.