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Was passiert bei der Medizinisch-Psychologischen Untersuchung?
Es war einmal vor einigen Jahren, als ich noch jung und dumm und auch ein bisschen verantwortungslos war, da kam ich auf die brillante Idee, mit dem Fahrrad aufs Oktoberfest zu fahren. Die Hinfahrt war super und ich kam mir sehr schlau vor. Der Abend auf der Wiesn war witzig, was haben wir gelacht, was haben wir getrunken. Als die Zelte um 22:30 geschlossen wurden und wir die obligatorischen Runden auf der Wilden Maus gedreht hatten, setzte ich mich beschwingt aufs Radl – und schlingerte direktemang in die nächste Polizeistreife, die ein paar hundert Meter weiter eine Routine-Kontrollstation aufgemacht hatten. Weil: Doof sind Polizisten ja nicht.
Auf die Frage, ob ich Alkohol zu mir genommen hätte, antwortete ich mit: „Ja, schon. Aber nur wenig!“ Also im Vergleich zu den meisten anderen Teilnehmern dieser Leistungsschau des deutschen Alkoholismus. Trotzdem wurde ich aufgefordert, in so ein saudummes Röhrchen zu blasen und heureka, beziehungsweise nicht: Ich riss die Marke! Ich hatte 1,6 Promille.
Was mir nicht bewusst war (auch wenn ich es bestimmt irgendwann mal gelernt hatte): Man darf auch nicht mehr radeln, wenn man verkehrsuntüchtig ist. Was für Radfahrer bei einem Promillewert ab 1,6 der Fall ist – bei Autofahrern liegt die Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit bei 1,1 Promille.
Ich also: rein auf die Rückbank des Polizeiautos, rauf auf die Wache. Ein armer Richter wurde telefonisch aus dem Schlaf gerissen, der ordnete die Blutentnahme an und auch die ergab: 1,6. Und dann durfte ich heimeiern, diesmal per Taxi.
Nach ein paar Wochen bekam ich Post. Darin wurde mir mitgeteilt, dass ich mich, um weiterhin am Verkehr teilnehmen zu dürfen, einer MPU, kurz für „Medizinisch-Psychologische Untersuchung“, unterziehen lassen müsste, im Volksmund auch gerne Idioten- oder Depperltest genannt. Genauso fühlte ich mich, wobei der Diminutiv da gar nicht angebracht war, ich fühlte mich nämlich schrecklich, wie der größte Depp der Welt und der größte Alkoholiker zudem.
Die Angaben waren einigermaßen klar: Ich hatte drei Monate Zeit, mich auf den Test vorzubereiten und dann musste ich ihn gegen eine saftige Gebühr an einer vorher festgelegten Stelle ablegen. Ich setzte mich daraufhin bald mit einer verkehrspsychologischen Praxis in Verbindung, weil ich glaubte, das nicht alleine schaffen zu können.
Der Verkehrspsychologe riet mir eindringlich, drei Dinge zu tun:
- Den Test um weitere drei Monate nach hinten zu verschieben.
- Für diese sechs Monate komplett – und zwar wirklich absolut komplett – auf Alkohol zu verzichten. Nicht mal alkoholfreies Bier durfte ich mehr trinken, weil auch da noch Spuren von Alkohol enthalten sind.
- Während dieser Zeit sollte ich mich in einem Kurs auf den Test vorbereiten.
Okay, dachte ich mir, ganz schön übertrieben, aber in meiner Scham sagte ich zu allem ja und Amen. Und ein bisschen Gegoogle zeigte mir: Mit dem Test ist tatsächlich nicht zu spaßen. Es kostet viel Geld und die Durchfallquote ist hoch, ungefähr bei 50 bis 60 Prozent.
Die nachvollziehbare Wandlung vom Saulus zum Paulus
Also entsagte ich dem Bier und wurde sehr, sehr brav: ging zum Kurs, setzte mich mit meiner Alkohol-Biografie auseinander, versuchte, die Spur zu finden, die mich direkt in die Polizeikontrolle geschickt hatte, und übte mich darin, reuige Alkoholsünder-Storys in meiner Biografie zu finden. Wichtigste Übung dieser Stunden war, glaubhaft und nachvollziehbar von meiner Wandlung vom Saulus zum Paulus erzählen zu lernen. Selten ist mir etwas so artifiziell vorgekommen, wie diese auswendig gelernten Geschichten.
Andererseits war es tatsächlich so, dass ich in der Zeit viel trank. Ich ging an drei bis vier Wochentagen aus und hatte, wie man so blöde sagt, Übung im Verzehr alkoholischer Getränke. Was übrigens auch die Tatsache erklärt, warum ich mit 1,6 Promille überhaupt noch in der Lage war, mich auf dem Fahrrad zu halten. Es war nicht dumm, mir einmal anzuschauen, warum der Alkohol so selbstverständlich zu mir und meinem Leben gehörte. Ich musste mir nur überlegen, wie ich die Psychologin oder den Psychologen im MPU-Gespräch davon überzeugen können würde, dass ich von nun an keinen Tropfen mehr anrühren würde. Ich schwankte in diesen sechs Monaten zwischen „Wollt ihr mich verarschen?“ und „Ja krass, stimmt eigentlich, wir machen alle fundamental etwas falsch, wenn wir uns nicht einmal vorstellen können, ohne Alkohol Spaß zu haben“.
So eine MPU ist ziemlich kostspielig
All diese wichtigen Lektionen bekam ich nicht umsonst. Im Gegenteil. So eine MPU ist ziemlich kostspielig. Bei mir waren das mehr als 2000 Euro: Für die Straftat, die ich mit meiner Teilnahme am Straßenverkehr begangen hatte, musste ich 942,64 Euro bezahlen, für die Bestellung des Gutachtens 28,11 Euro, für die verkehrstherapeutische Maßnahme mit einem Vorgespräch 920 Euro, für die MPU selbst 412,22 Euro. Und damit lag ich eher im unteren Mittelfeld. Heute, so erzählte mir ein Verkehrspsychologe, geht fast niemand mehr ohne Beratung in eine MPU, weil man ohne eigentlich gar keine Chance mehr hat zu bestehen. Hat man einen gut bezahlten Job, können sich die Tagessätze schnell summieren und man ist dann schon mal gut 10.000 Euro los. Zudem werden heute eher 12 Monate Abstinenz verlangt und eine ebenfalls recht kostspielige Überwachung dieser Abstinenz durch Blut- oder Haar-Analysen. Ich kam also ziemlich billig davon, wenn es sich auch nicht so anfühlte.
Die Untersuchung selbst fand an einem Frühlingstag statt. Dort musste ich erst einen Reaktionstest machen, der sehr niedlich war. Dann kam eine Ärztin, die offensichtlich absolut überqualifiziert war für diese stupide Tätigkeit. Sie war trotzdem freundlich und sah sich meine gesammelten Leberwerte der vergangenen Monate an. Und dann kam das Königsstück, die gefürchtete Stunde der Wahrheit: das Gespräch mit der Psychologin.
Sie fragte mich genau die Fragen, auf die ich mich vorbereitet hatte. Ich ratterte die Antworten runter, ich war – so kam es mir vor – auf diesen Tag besser vorbereitet, als ich es bei irgendeinem Test sonst gewesen war, Abiturprüfung eingeschlossen. Dann war der Spuk vorbei, ich bekam meine uneingeschränkte Fahrerlaubnis zurück und durfte in meiner Freizeit wieder machen, was ich wollte. Natürlich hatte ich der Psychologin erzählt, dass ich von nun an komplett abstinent leben würde. Aber das habe ich nicht gemacht. Ich habe wieder angefangen, Alkohol zu trinken.
Natürlich habe ich aus dieser Episode meines Lebens trotzdem auch etwas gelernt: Ich fahre nicht mehr Fahrrad, wenn ich weiß, dass der Abend beschwingt werden könnte. Und ich weiß, dass es absolut sinnvoll ist, sich immer wieder mit den eigenen Trinkgewohnheiten auseinanderzusetzen und die eigenen Gewohnheiten zu hinterfragen.
*Die Redaktion kennt den Autor und respektiert seinen Wunsch, diesen Text anonym zu veröffentlichen.