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Warum ist es verpönt, über Wein zu sprechen?
Die Alkolumne handelt vom Trinken. Von den schönen und schlechten Seiten dieses Zeitvertreibs und den kleinen Beobachtungen und Phänomenen an der Bar. Aber egal, worum es grade geht, lieber Leser – bitte immer dran denken: Ist ungesund und kann gefährlich sein, dieser Alkohol.
Egal ob Kaffee, Gin, Kakao, Schokolade, Fleisch – alles wird inzwischen optimiert und spezialisiert. Der Nerdismus für Genussmittel floriert, sich auszukennen ist in. Oft geht es dabei mindestens genau so um den Look, das Image, das Event wie um den Geschmack selbst. Im Zuge dessen hat auch der Wein, die Mutter aller Distinktionsdrinks, eine Hipsterisierung erfahren. Jungwinzer mit Dreadlocks kleben crazy Etiketten auf ihre Flaschen namens „Pornfelder“ oder „Wilde Susi“, zu kaufen bei „geileweine.de“, und man mag schon ausrufen: Wein ist der neue Wein!
Leider hat diese überfällige Verjüngung nicht dazu geführt, dass an deutschen Esstischen endlich ein entspanntes Verhältnis dazu herrscht. Wein polarisiert immer noch wie kein anderes Lebensmittel. Öffnet man eine Flasche, bleibt nur eine schmale, liberale Mitte an Normalgenießern entspannt. Sie sitzen an der langen Tafel der Gesellschaft zwischen geschwätzigen Experten und totalen Banausen. Beide pflegen das Extrem. Und treiben sich gegenseitig weiter hinein. Das selbstgefällige Schwadronieren der Blasierten – nur möglich, weil sich viele nicht trauen, es als Geschwätz zu entlarven – treibt die Ignoranten in die Schockstarre. Aus Angst, „Cabernet Sauvignon“ falsch auszusprechen, bestellen sie lieber ein Pils. Worüber die Connaisseure wiederum die Nase rümpfen müssen.
Bei Wein droht die Brandmarkung als Besserwisser, sobald man mehr als „lecker“ sagt
Die einen trauen sich also nicht, im Restaurant Wein zu bestellen, weil sie nicht einmal wissen, ob sie einen Roten oder Weißen wollen. Die anderen können keinen Schluck trinken, ohne sich zum Hohepriester der Rebe aufzuschwingen. Der schmale Grat zwischen Auskennen und Angeben scheint noch viel schmaler als bei anderen Hobbys. Die Ignoranz noch bodenloser. Beides ist unwürdig. Warum können wir Wein nicht behandeln wie – nur als Beispiel – Essen?
Schmeckt der Kartoffelauflauf super, sage ich: „Der schmeckt super. Irgendwie würziger als sonst. Ist da Muskatnuss dran?“ Niemand verurteilt mich, weil ich einen Geschmack assoziiert habe. Bei Wein droht die Brandmarkung als Besserwisser, sobald man mehr zu sagen wagt als „lecker“ oder „zu sauer“. Wer gar Pfeffer riecht oder Schiefer schmeckt, macht sich verdächtig. Von Reizwörtern wie „Abgang“ oder „Bouquet“ ganz zu schweigen. Dabei will ich doch nur wissen, was mir warum schmeckt. Und wie soll ich es rausfinden, ohne darüber zu reden?
Dosiert eingesetzt – wie der Wein selbst – taugt das Vokabular zur Genussmaximierung. Und auf die können wir uns seltsamerweise viel besser einigen, wenn es um Kaffee oder eben Essen geht. Über Rezepte wird sich auch viertelstundenlang und sehr detailliert ausgetauscht. Wer toll kochen kann und will, gilt als kultiviert. Wer ambitioniert Wein trinkt, wirkt auf andere, als wäre er es gerne.
Wenn man umgekehrt Sätze, wie sie über Wein gesagt werden, mal aufs Essen münzt, merkt man, wie übertrieben sie sind. „Dieses Filet ist am Südhang gewachsen, ganz sicher. Der Metzger hat gerade in diesem Jahrgang echt tolle Fortschritte in der Schlachtung gemacht.“ Außerhalb einer Sondersitzung der Metzgerinnung, in diesem Fall eines Sommelier-Lehrganges, undenkbar. Genau so undenkbar, wie Pommes zu bestellen, weil man „Entrecôte“ nicht aussprechen kann.
Die Antipathen sollten sich entspannen, die Enthusiasten auch mal die Klappe halten
Es ist höchste Zeit, Wein durch ein wenig Entspannung wieder dahin zu bringen, wo er hingehört: neben den Teller, ins Herz unserer Tischkultur. Sonst stirbt den deutschen Winzern die Kundschaft weg. 2017 sank der Absatz deutscher Weine in Deutschland um drei Prozent. Junge Leute trinken einfach weniger als ihre Großeltern. Auch, weil sie nicht wissen, wie. Und weil es ihnen peinlich ist, darüber zu reden.
Vielleicht hilft dabei, festzustellen, was den Wein unterscheidet von den eingangs aufgezählten Produkten (auch auf die Gefahr hin, zu klingen wie ein Weinkatalog). Er ist abhängig von unzähligen Faktoren, nicht zuletzt vom Wetter. Seine natürlichen Feinde sind viele und fies: Hagel, Klimaerwärmung, Rebläuse. Er hat nur eine Saison, was den Winzer zu einem Läufer gegen die Zeit macht, weil er genau so viele Chancen hat, einen guten Wein zu machen, wie er noch Jahre alt wird. Jeder Wein ist deshalb auf eine Art kostbar und anders. Aus Respekt vor dieser Vielfältigkeit und Hingabe könnten sich die ewig gereizten Antipathen entspannen, wenn jemand kurz drüber reden will, was er oder sie da eigentlich im Mund hat. Und die Enthusiasten könnten ihnen und dem Wein den Gefallen tun, auch mal die Klappe zu halten. Am besten, wenn Wein drin ist.