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Hilfe, ich werde unfreiwillig zum Craft Beer-Trottel!

Illustration: Lucia Götz

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Die Alkolumne handelt vom Trinken. Von den schönen und schlechten Seiten dieses Zeitvertreibs und den kleinen Beobachtungen und Phänomenen an der Bar. Aber egal, worum es grade geht, lieber Leser – bitte immer dran denken: Ist ungesund und kann gefährlich sein, dieser Alkohol!

Ich weiß noch sehr gut, wie mein bester Freund mir erzählte, er habe das perfekte Geburtstagsgeschenk für seine Freundin gefunden: ein gemeinsamer Besuch in einem Weinseminar. Zusammen mit anderen Pärchen würden sie an Stehtischen in einer Weinbar von einem gemütlichen Endfünfziger mit dominantem Riechkolben in die interessante Welt der Weinkunde eingeführt werden. Dazu gebe es sieben verschiedene rote und weiße Weine, köstliche Knabbereien und am Ende wüssten die Teilnehmer, welcher Wein zu welchem Anlass passe.

Was habe ich gelacht! Ungefähr eine Stunde lang. Ich wollte meinen Freund wirklich nicht beleidigen, aber ich konnte mir in dem Moment kaum etwas Spießigeres, Idiotischeres und Angeberhaftes vorstellen, als seinen Feierabend auf einem Weinseminar zu verbringen – vielleicht abgesehen von einem Discofox-Tanzkurs. Als überzeugte Biertrinkerin fühlte ich mich schon immer all den Wein-Fuzzis moralisch überlegen, weil ich nicht so wahnsinnig viel Lärm um das alkoholische Getränk meiner Wahl machte. 

Ich erkenne mich selbst kaum wieder

Meiner Überzeugung nach war da nämlich nicht besonders viel zu bequatschen: Bier ist Bier, in normalen Restaurants gibt es in der Regel drei bis vier Sorten im Angebot und Ziel der Übung ist es, sich im Laufe von einem bis X Gläsern die Welt ein wenig schöner zu trinken. Ja und dann schwappte vor ein paar Jahren der Craft Beer-Trend aus Amerika zu uns herüber. Und was soll ich sagen? Ich bin unwillentlich, aber durchaus sehenden Auges zum Craft Beer-Trottel geworden, der, wenn er nicht verdammt gut aufpasst, demnächst in einer Runde von Freunden über verschiedene Hopfensorten und International Bitterness Units (kurz IBU) diskutieren kann. Ich erkenne mich selbst kaum wieder, wie ich da im Getränkemarkt eine halbe Stunde lang vor dem Craft-Beer-Regal stehe und kontempliere, welche Sorten heute zu meiner Stimmung passen.  

Aber was soll ich machen? Es schmeckt nun mal so wahnsinnig gut. Und es gibt eine fast unermessliche Auswahl an Bieren aus den unterschiedlichsten Mikrobrauereien der Welt. Ich habe schon hawaiianisches Craft Beer getrunken, aber auch unheimlich gute Biere von Microbreweries aus Münchner Hinterhöfen gekauft - und ich bin heute soweit, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken für eine 0,33-Liter-Flasche mehr als zwei Euro zu bezahlen. Im Getränkemarkt.    

Heute kann ich kaum mehr ein normales Helles trinken

Ich stamme aus München, einer Stadt, die ihre Existenzgrundlage zu weiten Teilen dem Bier verdankt. Was sind wir hier alle stolz auf unsere Brauereien, das Reinheitsgebot und natürlich das größte "Volksfest" (= Massenbesäufnis) der Welt - das Oktoberfest, auf dem die Münchner Brauereien jedes Jahr eine Leistungsschau der besonderen Art abliefern. Und ich bin in dem festen Glauben groß geworden, dass Münchner Biere die Krönung der Braukunst darstellen und dass Augustiner im Prinzip das einzig trinkbare Bier ist. Allerdings hatte das vor allem Distinktionsgründe - Augustiner galt lange Zeit als cool, lässig und authentisch, weil die Brauerei keine Werbung machte, eine relativ zurückhaltende Expansionspolitik betrieb und tatsächlich im Geschmacksvergleich mit anderen Münchner Brauereien ziemlich gut abschnitt. Wenn norddeutsche Freunde behaupteten, bayrisches und insbesondere Münchner Bier sei lack, fade und viel zu süß, drohte ich schon mal, die Freundschaft auf den Prüfstand zu stellen, so sehr fühlte ich mich in meiner Bayerischen Bier-Ehre angegriffen.

Doch dann kam das Craft-Beer. Und hat alles verändert. Heute kann ich kaum mehr ein normales Helles trinken, ohne dabei traurig mit den Äuglein zu klimpern, weil da so viele Geschmacks-Chancen vertan wurden. Ich hatte ja keine Ahnung, wie gut Bier schmecken kann, wenn man sich ein winziges bisschen mehr Mühe gibt, als bei der industriell gefertigten Konzernplörre, die immer gleich und immer gleich langweilig schmeckt. Der Unterschied zwischen einem Großkonzernbier und einem IPA aus einer kleinen Brauerei in Oberbayern ist wie der zwischen einem Fleischpflanzerl an der Autobahnraststelle und einem bei Muttern. Himmelweit, auch wenn es aus denselben Grundzutaten hergestellt sind. Der Unterschied zwischen Craft Beer und industriell hergestellter Massenware ist nicht besonders groß: bei beiden Arten werden die selben Grundzutaten verwendet, nur legen Craft-Beer-Produzenten großen Wert auf hochwertige und außergewöhnlich aromatische Hopfensorten und spezielle Hefen, wohingegen die Produktion herkömmlicher Biere vor allem darauf ausgerichtet ist, geschmacklich gleichbleibende, preiswerte und mehrheitsfähige Produkte herzustellen. 

Neulich habe ich mich dabei erwischt, wie ich die Getränkekarte einer auf Craft Beer spezialisierten Kneipe studierte. Das Lokal hat den Charme einer Bahnhofshalle und wird in großen Teilen vom Studentenkörper der Maschinenbaufakultät frequentiert. Das entspricht eigentlich nicht meinen Kriterien für eine gute Kneipe. Aber ach, die Bierspezialitäten hätten mich fast hineingetrieben. Und um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, ob ich widerstehen könnte, wenn mir mein Freund zum Geburtstag einen Gutschein für ein Craft-Beer-Seminar schenken würde.

Oh Mann, wie konnte es nur so weit kommen?!

Anm. d. Red.: Dieser Text wurde das erste Mal am 3. März 2017 veröffentlicht. Am 22. August 2020 wurde er erneut publiziert und aktualisiert. 

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