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Mittelmäßige Cocktail-Bars sind großartig!
In der Kleinstadt, in der ich zur Schule gegangen bin, gab es genau eine Kneipe für junge Menschen. In dieser Kneipe wurden stets nackte Frauen mit einem Beamer an die Retro-Tapete gestrahlt, im Sommer schüttete ab und zu mal jemand Sand in den Garten und nannte das „Beach Party“ – der nächste echte Beach war nämlich über 100 Kilometer entfernt und bestand primär aus Schlamm. Bei der Beach Party gab es eine Cocktail-Happy-Hour. Jeden Tag bis 20 Uhr bekam man zwei Drinks zum Preis von einem – von Sex on the Beach (hihi) über Piña Colada (passend zur Beach Party) bis hin zu Long Island Ice Tea (knallte am dollsten). Einen Signature-Cocktail gab es natürlich auch, der wurde in einem Eimer serviert und angezündet. Wir fanden es großartig und gingen jede Woche mindestens zwei Mal in besagte Kneipe – zum Cocktails trinken.
Leider ist die Kunst des Cocktailtrinkens mittlerweile verloren gegangen. Oder besser: die Kunst, mittelmäßige Cocktails zu trinken. Denn wer sich heute auf einen Drink verabredet, der meint meist einen Longdrink – oder einen superfancy Cocktail, der mindestens zwölf Euro kostet und dafür in einer Asia-Nudelbox, einer Blechdose oder einem ausgehöhlten Baumstamm serviert wird und viel zu viel Gestrüpp beinhaltet. Will man sich hingegen einfach zu einem mittelmäßigen, dafür günstigen Cocktail in irgendeiner Kette mit mexikanischem (Enchilada! Sausalitos!) oder spanischem (Bar Celona!) Namen verabreden, wird man angeschaut, als hätte man gerade Dosenravioli beim gemeinsamen Kochabend mit Freunden serviert: entsetzt! Und das ist schade.
Es gibt keinen nostalgischeren Ort als die mittelmäßige Cocktailbar
Es mag ja sein, dass bei Longdrinks der verwendete Gin oder Wodka am Ende das Geschmackserlebnis prägen – bei klassischen Cocktails ist das ziemlich wurscht. Die bestehen hauptsächlich aus Saft und Sirup, schmecken pappsüß und am Ende ist man angenehm beschwipst, obwohl man gefühlt doch den ganzen Abend nur Capri Sonne getrunken hat.
Außerdem gibt es keinen nostalgischeren Ort als die mittelmäßige Cocktail-Bar. Weil eben jeder, der nicht zufällig in Berlin-Kreuzberg aufgewachsen ist (und die meisten Deutschen leben in der Provinz), diese Art von Bar kennt. Jeder erinnert sich an die durchzechten Nächte dort (okay, meist endeten sie mit dem letzten Bus kurz vor Mitternacht), nach denen der ganze Mund nach Hubba Bubba schmeckte. Nach denen der Magen darauf aufmerksam machte, dass Mama recht hatte als sie meinte, von zu viel Softdrinks werde einem schlecht (ja, das gilt auch für Softdrinks mit Wodka).
Zumindest bei mir kommen diese Erinnerungen in jeder mittelmäßigen Cocktailbar sofort wieder hoch und ich bin gut gelaunt – die grellen, unnatürlichen Farben, die bunten Schirmchen und seltsam verdrehten Strohhalme sorgen für den Rest. Auf einmal rede ich wahnsinnig albernes Zeug, balanciere einen Strohhalm auf der Nase und schreibe mal wieder der Schulfreundin, die ich seit Jahren nicht gesehen habe – der alten Zeiten wegen. Habe ich endlich alle Jubeljahre Menschen gefunden, die sich dazu herablassen, mit mir in eine derartige Bar zu gehen, kann ich bei ihnen übrigens einen ähnlichen Effekt beobachten. Nirgends redet es sich besser als vor einem riesigen Glas voller Crushed Ice, undefinierbarer roter Flüssigkeit und mit Abdrücken von Erdnussfingern am Glasrand.
In einer fancy Bar ist sowas nicht möglich. Da würde einen jeder schräg anschauen, wenn man auf einmal hysterisch anfängt zu kichern oder mit dem Strohhalm ins Glas blubbert – wäre ja auch nicht gut für die Geschmacksentfaltung des Tonic Waters.
Die durchschnittliche Cocktailbar ist dagegen der letzte Ort der Freiheit. Und das Allerbeste: Man ist dort quasi anonym. Keiner wird einen später ansprechen, was man sich da mal wieder für einen Totalausfall im Sausalitos geleistet hat – die saßen ja alle schlecht gelaunt vor ihrem Zwölf-Euro-Drink aus der Asiabox.