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Dates ohne Alkohol sind die ehrlicheren Dates

Illustration: Federico Delfrati

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Die Alkolumne handelt vom Trinken. Von den schönen und schlechten Seiten dieses Zeitvertreibs und den kleinen Beobachtungen und Phänomenen an der Bar. Aber egal, worum es grade geht, lieber Leser – bitte immer dran denken: Ist ungesund und kann gefährlich sein, dieser Alkohol.

Es gibt Menschen, die behaupten, Dates und Alkohol gehörten zusammen wie Bonnie und Clyde – eine klassisch-bewährte Mischung, die die Wahrscheinlichkeit eines lauten PENGs eklatant erhöht. Eigentlich behaupten das alle Menschen, die ich kenne. Sogar Wissenschaftler tun das neuerdings. Will man seine Chancen auf weitere Dates maximieren, treffe man sich abends in einer Bar und trinke Alkohol, so die Sozialanthropologin Helen Fisher. Und die muss es wissen, immerhin war sie als Expertin an der Studie „Singles in America“ für die US-amerikanische Dating-Plattform match.com beteiligt.

Man solle allerdings nicht zu viel trinken, maximal zwei Drinks nämlich, denn sonst verzapft man nur noch Blödsinn und rafft irgendwann nicht mehr allzu viel. Das ist der wissenschaftliche Beweis für etwas, was wir schon immer geahnt haben: Alkohol ist unser Freund. Er macht uns locker, er macht uns witzig, er öffnet unsere Herzen.

Das Problem dabei: Er verzerrt die Realität. Weil wir in Wirklichkeit vielleicht einfach nicht locker und witzig sind und auch keine offenen Herzen haben. Sonst bräuchten wir keine zwei oder mehr Drinks, um dieses Stadium zu erreichen. Angetrunken gaukeln wir also nicht nur uns selbst etwas vor, sondern auch unserem Gegenüber. Und unser Gegenüber macht das Gleiche. Da sitzen dann also zwei Menschen zusammen, die sich eigentlich kennenlernen wollen, stattdessen aber demonstrieren sie sich gegenseitig, was für coole Checker sie werden, wenn sie was intus haben. Die Schüchternheit ist weggesoffen und die Verklemmtheit gleich mit. Das ist ein bisschen so, als würde man den anderen mit fünf Jahre alten Tinder-Fotos oder mit einem Push-up-BH heißmachen.

Das Schöntrinken fängt nicht erst mit dem Vollsuff an – unsere Wahrnehmung flimmert schon nach zwei Drinks

Den Moment der unangenehmen Wahrheit schiebt man damit erst mal von sich weg. Weil man sich nicht traut, sich so zu zeigen, wie man ist. Auch unser Gegenüber gewinnt auf den ersten Blick. Die seichten Nebelschwaden des Alkohols machen ihn attraktiver, witziger, eloquenter als er eigentlich ist. Und nein, das Schöntrinken fängt nicht erst mit dem Vollsuff an. Unsere Wahrnehmung flimmert garantiert schon nach zwei Drinks.

„A lie is sweet in the beginning and bitter in the end, and truth ist bitter in the beginning and sweet in the end“, heißt es in DJ Kozes XTC, und ich finde, besser hat es noch niemand gesagt. Ich fange lieber gleich mit der Wahrheit an und bestelle mir, wenn ich jemanden zum ersten Mal treffe, ein alkoholfreies Bier. Oder, noch besser, ich treffe ihn tagsüber zum Mittagessen oder Kaffeetrinken. Tageslicht verhält sich nämlich zur schummrigen Barbeleuchtung genau wie Nüchtern- zum Angetrunken-Sein. Das eine zeigt schonungslos, was das andere zu kaschieren sucht. 

Alterserscheinungen, Nachlässigkeiten bei der Kleiderwahl, ungewaschene Ohren – all das will ich lieber früher als später gesehen und für gut oder schlecht befunden haben. Nicht erst, wenn ich am nächsten Morgen in seiner Kiste aufwache. Das Gleiche gilt übrigens für mich. Auch ich will als die gesehen werden, die ich bin. Mit meinen ungeputzten Schuhen, vielleicht nicht ganz sauber aufgetragenem Nagellack und diesen ersten Falten, die mir zunehmend Sorgen bereiten.

Den Menschen, dessen Witze wirklich einen Lachkrampf wert sind, erkenne ich nur nüchtern

Zugegeben, nüchternes Dating erfordert Mut. Schließlich muss man all die Aufregung aushalten, die es mit sich bringt, einem fremden Menschen gegenüber zu sitzen. Immerhin knallt man sich mit all seinen Schwächen auf den Tisch und hofft, dass das Gegenüber das alles schon irgendwie okay finden wird. Aber Mut zahlt sich bekanntlich aus. Langweiler und andere Vollpfosten nämlich, die es irgendwie geschafft haben, durch mein Raster zu kommen, erkenne ich mit dieser Methode quasi sofort. Wo mit Schwips nämlich mittelmäßige Gesellschaft irgendwie noch als halbwegs unterhaltsam empfunden werden kann, ist sie nüchtern einfach nur mittelmäßig. Darum schnell Kaffee ausgetrunken und weitermarschiert!

Natürlich verschlechtert das meine Bilanz, was Zweit- und Drittdates angeht. Helen Fisher von match.com wäre ganz und gar nicht zufrieden mit mir. Macht aber nix. Was sie nämlich nicht weiß, ist: Die Strategie, die sie vorschlägt, ist völlig random. Sie verhilft vielleicht zu einem Widerholungsdate, aber wen ich da eigentlich treffe, weiß ich da noch immer nicht. Denn den Menschen, dessen Witze wirklich einen Lachkrampf wert sind und mit dem ich mich so entspannt fühle, dass ich keine Anstrengung wegtrinken muss, den erkenne ich mit Sicherheit nur nüchtern. Schöntrinken können wir uns dann immer noch, wenn's sein muss. Später, wenn die ungewaschenen Ohren und ungeputzten Schuhe anfangen zu nerven. Aber das ist eine andere Geschichte.

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