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Die Eiswürfel sind entscheidend für einen guten Drink

Illustration: Federico Delfrati

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Ich hätte jetzt so gerne Franck Ribérys Mailadresse. Ich würde ihm nämlich wahnsinnig gerne einen Link schicken. Ich glaube, er hätte großen Gefallen an den Angeboten auf der Webseite glaceice.net. Wer vergoldete Steaks cool findet, ist sicher auch empfänglich für ein 1100-Dollar-Eiswürfel-Jahres-Abo.

Ja, richtig. 1100 Dollar für Eiswürfel im Jahr. Und wer jetzt denkt, man bekommt da wöchentlich Lkw-Ladungen Crushed Ice in den Hinterhof gekippt, irrt. Nein, den Abonnenten wird viermal im Jahr eine Kiste mit je 50 Eiswürfeln geliefert. Macht runtergerechnet 2,50 Dollar pro Eiswürfel – und das ist der günstige Abo-Preis. Wer nur eine Packung kauft, zahlt 6,50 Dollar pro Eiswürfel.

Dieses Luxusprodukt ist natürlich ein Extrem. Sozusagen der Gipfel des, höhö, Eisbergs. Darunter bewegt sich aber eine immer breiter werdende Masse von Trinkern, die immer mehr Gewese um Eiswürfel macht.

Der gekonnte Trinker und Alkohol-Genießer macht mit seinem Nerdtum nicht mehr halt bei der Qualität seiner neuen Gin-, Rum- oder Whiskeysorten oder Debatten darum, welcher Tonic zu welchem Gin passt. Er beschäftigt sich auch mit Form, Größe und Qualität seiner Eiswürfel und befasst sich mit fortgeschrittenen Methoden der Eiswürfelherstellung. Einfach die Standard-Eiswürfelform in die Tiefkühltruhe? Vergiss es! Es wird gesägt, gepickelt, „direktional“ gefroren.

Möglichst groß sollen die Eiswürfel sein, klassische Cocktails wie einen Old Fashioned bekommt man manchmal in einem Glas mit nur einer großen Eiskugel von fünf oder mehr Zentimetern Durchmesser serviert.

Ich habe das lange für Show gehalten, für ein optisches Pimpen eines Drinks. Manche Leute beschweren sich sogar, wenn sie viel Eiswürfel im Longdrink haben: Da will der Barkeeper am guten Alkohol sparen und füllt mir deshalb möglichst viel gefrorenes Wasser ins Glas! Schweinerei!

Barkeeper und selbsternannte Eis-Experten sehen das natürlich anders. Man hört Sprüche wie „Eis ist das Gold des Barmanns“, und dass es eine der wichtigsten Komponente eines Drinks ist.

Je größer ein Eiswürfel, desto langsamer schmilzt er

Eis erfüllt zwei Funktionen: Es kühlt und verwässert den Drink. Zum ersten Mal während des Mixens, zum Beispiel im Shaker. Zweitens natürlich, wenn der Drink im Glas vor einem steht. Und je nach ihrer Beschaffenheit kühlen Eiswürfel mehr, beziehungsweise schmelzen langsamer. Je größer ein Eiswürfel, desto kleiner ist seine Außenfläche im Vergleich zu seinem Volumen. Und desto langsamer schmilzt er und desto länger kühlt er. Wer in Physik aufgepasst hat, trinkt besser.

Fangen wir mit dem Verwässern an. Das ist durchaus gewollt. Ein Martini wäre ohne Schmelzwasser nur eine warme Schnapsmischung. Ein Negroni ohne Eis würde schmecken wie bittere Medizin. Die Eisnerds unter den Barkeepern wissen also genau, wie sehr sie einen Drink beim Mixen runterkühlen wollen und wie viel er gleichzeitig verwässern soll. Danach entscheiden sie auch, ob sie einen sehr großen Eiswürfel im Drink haben wollen, der lange hält und wenig Wasser abgibt, oder ob man Caipi-mäßig absichtlich möglichst schnelle Verwässerung per Crushed Eis herbeiführen will.  

Worauf die Eis-Perfektionisten noch Wert legen: klares Eis. Nicht milchig und trübe soll es im Inneren sein, sondern durchsichtig. Um das hinzukriegen, räumen Barkeeper riesige Tiefkühltruhen frei und sogar WGs verbannen die Pizzen aus ihren Tiefkühlfächern, damit sie ihr Eis per „Directional Freezing“ herstellen können. Dazu stellen sie eine isolierte Kühlbox ohne Deckel mit Wasser gefüllt ins Gefrierfach, frieren über Nacht einen großen Block, den sie dann per Hand in Würfel zerschneiden.

Warum die Kühlbox? Wieder vong Physik her: Wasser gefriert in einer normalen Eiswürfelform von allen Seiten des Würfels von außen nach innen. Dabei verdrängt das gefrierende Wasser Lufteinschlüsse und Unreinheiten. Die sammeln sich im Zentrum des Würfels und ergeben die Trübheit. In einer isolierten Box kommt die Kälte aber wegen der isolierten Seitenwände nur von oben. Das Wasser friert nur in eine Richtung –  also „directional“. Bedeutet: keine Einschlüsse, klares Eis. Und das soll laut Experten nicht nur hübsch sein, sondern auch besser. Je mehr Luft eingeschlossen ist, desto geringer ist die Dichte des Eiswürfels, desto schlechter kühlt er und desto schneller schmilzt er.

Alles ganz schön nerdig, nicht wahr? Beziehungsweise was für Profis oder Menschen, die sich als solche inszenieren wollen. Seit die Gin-Auskennerei schon fast nicht mehr als Distinktionsmerkmal taugt, weil jeder einen Gin aus der kleinen Hinterhof-Destillerie im Schrank hat, kann es dem Trink-Angeber nicht schaden, wenn er seine Kumpels mit schicken Eiswürfeln featuring den dazugehörigen Fachsimpelei-Schlagwörtern beeindrucken kann. Für alle anderen aber gilt: Auch nach Lektüre dieser Alkolumne muss niemand ein schlechtes Gewissen haben, wenn er für seine nächste Party daheim die Eiswürfel nicht selber sägt. Und Franck Ribéry kann ja einfach weiter Steaks essen.

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