- • Startseite
- • Alkolumne
-
•
Ein Lob aufs Nüchternbleiben
Neulich war ich abends bei einer Freundin, und natürlich hatte ich Wein dabei. Abends Freunde treffen, das heißt immer auch zusammen trinken. Und zwar schon so lange, dass eigentlich nichts anderes mehr denkbar ist. Alkohol ist längst kein verbotenes Abenteuer aus dem Hobbykeller mehr, Alkohol ist selbstverständlich, das Elixier der Sozialkompetenz – auffällig ist höchstens der, der nicht trinkt. Alkohol ist die Starthilfe unserer Abende, er bindet uns aneinander und öffnet unsere Herzen, wenn die Tür grad klemmt. Und das tut sie oft.
Schon allein das Zischen, wenn der Kronkorken des Biers sich löst. Das leichte Fumpen, wenn der Wein sich öffnet. Da zischt und fumpt und ploppt doch auch jedes Mal die Seele! Endlich Druckabfall, endlich sich ergehen in dem, was man am meisten liebt: dem Zusammensein mit geliebten Menschen. Alkohol ist der schnellste Weg zur sorglosen Ekstase. Und die ist das Ziel eines solchen Abends.
Aber meine Freundin trank nun einmal Tee, als ich kam. Als der leer war, setzte sie gleich noch einen auf. Ich dachte: Gut, trinken wir halt noch eine Kanne Tee aus, kann der Wein länger kalt stehen. Aber wir blieben beim Tee, den ganzen Abend. Als ich nachfragte, ob wir nicht mal den Wein, …?, sagte sie nur: Klar, mach ihn auf, aber ich habe heute irgendwie keine Lust auf Alkohol.
Ein Gefühl wie plötzlich frisch gebadet und im Schlafanzug
Und in dem Moment fiel irgendetwas von mir ab und es fühlte sich gut und leicht an, irgendwie aufgehoben und gemütlich, wie plötzlich frisch gebadet und im Schlafanzug. Ich dachte, stimmt, eigentlich habe ich auch keine Lust auf Trinken. Und da fiel mir auf: Ich habe oft keine Lust auf Trinken und tue es dann trotzdem. Dabei ist Trinken ohne richtig Lust drauf zu haben, wahnsinnig frustrierend. Es macht schlechte Laune und einen verklebten Magen und seltsamerweise macht es nicht einmal betrunken. Es führt bloß zu einem dieser anstrengenden, schwerfälligen Rauschzustände, die sich ewig lang viel zu nüchtern anfühlen, und dann schlagartig in Sodbrennen und ein Gefühl von ganzkörperlicher Zellvergiftung übergehen.
An diesem Abend brachen wir mit dem Ritual des Standard-Saufens und es war toll. Wir tranken Tee und Tee und noch mehr Tee und vergaßen bald, dass wir gar keinen Alkohol tranken, und, das war vielleicht die allerschönste Erkenntnis daran, hatten uns trotzdem genauso viel zu erzählen. Irgendwann gegen zwei Uhr nachts ging ich heim und mein Blickfeld war ungewohnt klar und stabil und die Luft noch reiner und kühler und stiller als sonst, und mein Schlaf war später gleichmäßig und erholsam. Am nächsten Tag hatte ich keinen Kater, wachte früh auf und erinnerte mich an alles. Keine quälende Reue über betrunkene Laberattacken oder Taktlosigkeiten, keine Depressionen wegen haltloser Verfeuerung aller Endorphinvorräte. Ich fühlte mich irgendwie angenehm heil und – doppelt erwachsen. Nochmal auf ganz neue Art und Weise emanzipiert. Emanzipiert vom Alkohol, von der absoluten Notwendigkeit des Trinkens in Gesellschaft. Denn wie erschreckend ist es eigentlich, dass in sozialen Kontexten fast immer gesoffen wird?
Wer trinkt, hat etwas zu verbergen
Ich weiß natürlich, warum das so ist. Wenig entspannt mich so effektiv wie ein guter Rausch. Auf das Gefühl, wenn der Alkohol ins Blut gerät und alles leicht und zugleich bedeutsam wird, möchte ich nie im Leben verzichten. Andererseits macht mich auch wenig so schwer depressiv wie der Tag nach dem Saufen. Vielleicht wird Alkohol ja einfach völlig überschätzt? Seit diesem ungewöhnlichen Tee-Abend jedenfalls fällt mir immer wieder auf, wie oft wir trinken, ohne es überhaupt zu merken oder wertzuschätzen. Einfach aus Verlegenheit, ganz so, wie man sich dabei eben auch eine Kippe nach der nächsten ansteckt. Ab einem gewissen Punkt denkt man gar nicht mehr drüber nach, was man da im Glas hat. Eine Flasche nach der nächsten wird geöffnet und gesoffen, bloß, um etwas zu tun zu haben. Bis man plötzlich alles doppelt sieht und sich vorm Schlafengehen noch heimlich ins Klo übergibt, damit sich im Bett nicht alles ganz so furchtbar dreht.
Und in den Momenten, in denen einfach jemand Tee ausschenkt oder die letzte Flasche Wein durch eine Wasserflasche ersetzt, fällt einem plötzlich auf, wie gedankenlos man sich eigentlich jedes Mal besäuft. Und wie selten man unter Freunden mal miteinander nüchtern ist. Und dass das auch etwas Deprimierendes hat.
Viele sagen ja, Leute, die nicht trinken, seien ihnen nicht geheuer. Weil es wirkt, als hätten sie etwas zu verbergen. Manchmal glaube ich, dass es genau andersherum ist: Wer trinkt, hat etwas zu verbergen. Nämlich die Angst, ohne den Alkohol sozial inkompatibel zu sein. Nicht lustig genug, nicht interessant genug, nicht entspannt genug.
Deshalb: Für mehr Tee-Abende. Um ein paar Mal zu erleben, dass Gespräche und ein entspanntes Miteinander auch ohne Alkohol funktionieren. Und dass sie sogar oft besser sind, wenn erst einmal alles in Gang geraten ist, weil es nicht alles so schwindelt und surrt und rauscht und man dauernd vergisst, was man noch sagen wollte.