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Warum wir uns beim Trinken so schnell in Kellner verlieben

Illustration: Federico Delfrati

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Die Alkolumne handelt vom Trinken. Von den schönen und schlechten Seiten dieses Zeitvertreibs und den kleinen Beobachtungen und Phänomenen an der Bar. Aber egal, worum es grade geht, lieber Leser – bitte immer dran denken: Ist ungesund und kann gefährlich sein, dieser Alkohol.

Die Kellnerin stellt uns das zweite Bier auf den Tisch, stößt kurz Luft aus und sagt: „So, jetzt endlich“, dazu ein schmerzliches Lächeln. Dann dreht sie sich um, eilt zurück an die Bar und tastet unterwegs ihre Hosentaschen nach ihrem Notizblock ab.

Ich stoße mit J. an, zur zweiten Runde hatten wir einen Whiskey bestellt. Dreimal musste die Kellnerin an den Tisch kommen, bis alles wie bestellt vor uns stand. Und während ich den ersten Schluck Whiskey nehme, sehe ich aus dem Augenwinkel, wie sie sich hastig durch die Haare fährt. Wie sie an der nächsten Bestellung verzweifelt, ach was, wie die Last der Welt auf ihre Schultern drückt.

Zack, da ist es wieder passiert! Wie es immer und immer wieder passiert: Beim Trinken neigt man dazu, allerlei Gefühle auf Kellnerinnen und Kellner zu projizieren. Man denkt allerlei Geschichten in sie hinein, ohne sie zu kennen – und tut das mit jedem Getränk mehr.

Noch nie so einen netten Menschen getroffen – ohne Scheiß jetzt! Noch nen Schnaps?

Da wäre also die sympathisch verschusselte Bardame, der man gerne das Tablett abnehmen möchte, ehe es ihr vor Überforderung auf den Boden kracht. Die man verteidigen möchte, wenn der gleitgelige Brioni-Träger am Nebentisch nach seinem Crémant raunzt, das Wort dabei sehr abenteuerlich aussprechend.

Dann wäre da jenes Barpersonal, das so mühelos und souverän durch den Raum schwebt, dass man mit jedem Drink ein bisschen mehr verzaubert ist. Kellnerinnen, die selbst den klobigsten Bierhumpen über die Tischplatte federn lassen. Kellner, die einen sehr freundlich und zuvorkommend bedienen, vielleicht sogar ein bisschen plaudern, und bei denen man nach der vierten Runde unumstößlich überzeugt ist, noch nie zuvor so einen netten Menschen getroffen zu haben – ohne Scheiß jetzt! Noch nen Schnaps?

Funktioniert natürlich auch umgekehrt. Ist ein Barmann schlecht gelaunt, tauscht man anfangs irritierte Blicke aus, fragt sich gegenseitig, was mit dem wohl los ist. Zeitsprung, drei Drinks später: Plötzlich ist man sicher, es mit einem garstigen alten Krokodil zu tun zu haben, das kurz die Bestellung aufschnappt, wieder abzieht und möglichst schnell hinterm Tresen abtaucht. Ist dann auch noch der Abend schlecht, trägt das Krokodil die Schuld. Wer sonst, bei der schlechten Laune, die es verbreitet? Die Möglichkeit, dass man sich einfach lausig unterhalten hat, dass man selbst schuld ist an der miesen Stimmung – ausgeschlossen! Die Rechnung bitte.

 

Während der Bierdunst die Sicht trübt, stellt er das emotionale Brennglas immer schärfer

 

Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, das so nur in Bars und Kneipen gilt: Während der Bierdunst die Sicht mehr und mehr trübt, stellt er das emotionale Brennglas immer schärfer. Am Ende so scharf, dass man den Menschen hinter der Theke entweder überhöht, oder alles Misslaunige auf ihn ablädt.

 

J. und ich waren neulich die Letzten, die die Kneipe verlassen haben. Weil wir die verschusselte Bardame so sympathisch fanden, haben wir ihr mehr Trinkgeld gegeben, als nötig gewesen wäre. Haben ihr beim Zahlen ein schönes Wochenende gewünscht und beim Rausgehen noch mal. Und während wir auf dem Heimweg darüber gesprochen haben, wie nett es in der Bar doch war, und ach, die Bardame, war sie wohl vor allem eins: froh, endlich zusperren zu können.

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