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Der erste Drink nach der Schwangerschaft

Illustration: Federico Delfrati

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Die Alkolumne handelt vom Trinken. Von den schönen und schlechten Seiten dieses Zeitvertreibs und den kleinen Beobachtungen und Phänomenen an der Bar. Aber egal, worum es grade geht, lieber Leser – bitte immer dran denken: Ist ungesund und kann gefährlich sein, dieser Alkohol.

Salamibrötchen, blutiges Steak, Alkohol. Diese drei Dinge würde ich in dieser Reihenfolge direkt nach der Entbindung im Kreißsaal zu mir nehmen. So hatte ich mir das zumindest die neun Monate meiner Schwangerschaft über vorgestellt. Sie waren mein Rettungsring, wenn ich eigentlich nicht mehr konnte. Wenn ich unter Augenverdrehen meiner Mitmenschen mit meinen Wabbelfingern die luftgetrocknete Salami vom Frühstücksteller runterpuhlte – rohes Fleisch kann nämlich unaussprechliche Krankheiten beim Baby verursachen. Wenn mir in der Kantine schon fast die Luft fehlte, um dem Burgerbrater den Befehl „bitte das Fleisch schuhsohlenartig durch“ zu erteilen. Und wenn ich nüchtern zwischen zehn völlig besoffenen Kollegen auf dem Oktoberfest stand. Da dachte ich besonders intensiv an das Bier, das ich bald wieder trinken würde. In einem Arm das Baby, im anderen die Pulle.

Ich naives Ding hatte die Rechnung ohne die anderen Mütter gemacht.

Denn während in dem hundert Jahre alten Stillbuch meiner Mutter tatsächlich noch ein Sekt direkt nach der Entbindung zur „Anregung des Milchflusses“ empfohlen wird, sind stillende Mütter heutzutage mit Alkohol asketischer als Heidi Klum mit Kohlenhydraten. Steht also definitiv nicht auf dem Speiseplan. Wer sich mal richtig schlecht fühlen möchte, sollte das Thema googlen. Tenor aller Forumsbeiträge: Alkohol trinkenden Müttern gehört das Sorgerecht entzogen. Kann man auch direkt kleine Welpen töten. Zitat: „ALSO ICH WÜRDE MEINEM ENGEL/ KLEINEN WUNDER/ MEINER ZAUBERMAUS SO ETWAS JA NICHT ANTUN, ABER WENN DU MEINST ALKOHOL IST WICHTIGER ALS DEIN BABY...“

Fencheltee statt Bier

Dabei schließen sich Stillen und Alkohol eigentlich nicht aus – wenn man es richtig anstellt. Der Alkohol baut sich in der Muttermilch ähnlich schnell ab, wie im Blut. Bedeutet: Drei Stunden nach dem Trinken eines Bieres kann man guten Gewissens wieder Stillen. Oder man pumpt ab und füttert das Baby mit unverseuchter Milch aus einer Flasche, während man sich selbst gerade einen reinstellt. In einer offiziellen Broschüre des Deutschen Hebammenverbandes steht zu dem Thema sogar der schöne Satz: „Muttermilch mit einer Restmenge Alkohol darin ist immer noch besser für Babys als Flaschennahrung.“ Klingt erstmal wie ein Freifahrtschein.

In der Realität saß ich nun allerdings frustriert auf meinem Bett, in einem Arm das schreiende Baby, im anderen einen sehr gesund schmeckenden Fencheltee. Und ich fragte mich, ob ich eigentlich eine schlimme Alkoholikerin bin, die Saufen wichtiger findet als ihr Baby. Und das nach neun Monaten totaler Abstinenz. Irre.

Tatsächlich wollte ich doch einfach nur eine Belohnung. Belohnung für die neun Monate alkoholfreies Bier, das einfach immer nach Seife schmeckt. Belohnung dafür, dass sich seit der Geburt ständig wildfremde Menschen über den Zustand meiner Intimregion informierten. Ja, auch eine Belohnung dafür, dass ich mit meinem Kind die verdammte Rente dieses Landes sichere!!! Und was bekam ich? Keinen Drink. Nicht mal eine Perlenkette als „Wurfprämie“, wie es in der Generation meiner Mutter noch üblich gewesen war. Ich bekam Fencheltee und ein schlechtes Gewissen.

Das Ganze wurde nicht besser, als ich mich in meinem Bekanntenkreis umschaute und feststellte, dass die meisten Mütter tatsächlich bis zum ersten Geburtstag ihres Kindes abstinent geblieben waren. Und diese in meinen Augen übermenschliche Leistung nur lächelnd mit einem „ach, mir hat es eigentlich nicht gefehlt“ abtaten. Der andere Teil meines Freundeskreises war währenddessen damit beschäftigt, sich ohne mich „auf das Baby“ zu betrinken und mir SMS mit Sektkorken-Emojis zu schicken. Muss ja gefeiert werden, so ein Ereignis. Nur halt ohne mich, immerhin die Leistungsträgerin dieser ganzen Geschichte.

Ist dieser Drink nur der Anfang einer langen Talfahrt?

Die Frage nach dem ersten Drink nach der Schwangerschaft entwickelte sich zu einem Grundsatzdilemma. War das vielleicht nur der Anfang? Würde ich, wenn ich jetzt schon beim Saufen einknickte, mein Kind später auch verwahrlost stundenlang vor der Playstation sitzen und Gut-und-günstig-Chips zum Abendbrot essen lassen? Würde es Drogen nehmen, weil es bereits in seiner frühesten Kindheit Spuren von Bier in der Milch hatte? Und später dann in einer RTL-II-Dokumentation in der Bauchbinde stehen haben: „Seine Mutter trank bereits, als er einen Monat alt war“? Während ich das Salamibrötchen also noch direkt im Kreißsaal und das blutige Steak einige Tage später serviert bekam, blieb das mit dem Alkohol weiterhin eine schmutzige Fantasie.

Dann kam Silvester. Die Flasche Schampus, die seit einem Jahr bei uns unberührt in der Speisekammer stand, lächelte mich stärker an denn je. Ich pumpte also ab und trank um Mitternacht das erste Glas. Was soll ich sagen? Es schmeckte köstlich. Nach dem zweiten empfand ich die Achtzigerjahre-Chartshow, die zu diesem Zeitpunkt im Fernsehen lief, als das Lustigste der Welt und lag kichernd auf dem Sofa. Nach dem dritten war ich todmüde und fiel ins Bett – das Baby war da bereits völlig geflasht von seiner Flasche ins Milchkoma gefallen.

Am nächsten Morgen fühlte ich mich ähnlich verwegen, wie nach meinem ersten Rausch mit 13 auf dem Schützenfest – und so lebendig wie lange nicht mehr. Tatsächlich war danach der Verzicht auf Alkohol auch wieder um einiges leichter, weil ich ja weiß, dass ich auch mal trinken kann, wenn ich möchte.

Die meisten Muttis, denen ich danach verstohlen von meinem Erlebnis erzählte, schauten mich übrigens verschwörerisch an und sagten dann: „Also ich hab auch schon mal einen Wein getrunken. Ich hab mich nur nicht getraut, es zu erzählen. Ich wusste ja nicht, wie du da drauf bist.“

   

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