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Das Mischgetränk-Problem
Stellen wir uns mal kurz folgendes Szenario vor: Wir gehen in ein Café und bestellen einen Cappuccino. Und der Barista stellt uns eine Tasse hin, darin eine handelsübliche Menge Espresso. Die für einen vollständigen Cappuccino erforderliche geschäumte Milch serviert er daneben in einem Fläschchen. Vermutlich würden wir diesen Barista sehr verwirrt anschauen und fragen, was das jetzt bitteschön soll.
Jetzt wechseln wir die Szenerie und begeben uns in eine durchschnittliche Bar. Dort bestellen wir einen Long Drink, sagen wir: einen Gin Tonic. Wir bekommen ein Glas mit Gin und ein Fläschchen Tonic. Passiert täglich Millionen Mal, ohne dass sich jemand wundert und Fragen stellt. Und das wiederum wundert mich. Beziehungsweise: Es ärgert mich.
Eigentlich wäre es doch logisch, einen fertigen Gin Tonic zu bekommen, wenn man einen bestellt. Einen Drink, der sofort schmeckt, wenn er einem auf den Tisch gestellt wird. Aber nein, die heutige Barkultur scheint das nicht vorzusehen. Stattdessen lässt man den Gast seinen Drink selbst zusammenschrauben. Was oft unangenehme Nebenwirkungen hat: Manchmal steht vor einem ein Glas mit so viel Alkohol, dass man nur noch zwei Fingerbreit Mischgetränk drüberkippen kann. Man weiß dann schon: Die ersten zwei bis fünf Schlucke werden sich anfühlen wie Knüppel auf den Kopf. Deshalb gießt man so viel Mischgetränk drauf, dass das Glas viel zu voll ist und beim ersten Ansetzen des Drinks garantiert erst mal was über die Finger schwappt. Dann nähert man sich durch kontinuierliches Abtrinken und Nachschütten langsam dem geschmacklichen Idealzustand des Drinks an. Das muss doch nicht sein! Warum soll man sich erst durch die Alk-Hölle saufen müssen, bis man das hat, was man will?!
Etwas später wartet das nächste Problem: Der wohlschmeckende Drink ist irgendwann halb leer. In dem Tonic-Fläschchen ist aber noch ein ordentlicher Schluck drin. Der innere Schwabe meldet sich und sagt: „Nachfüllen bitte! Das hast du bezahlt, das kannst du nicht verschwenden!“ Die Nachgiebigeren unter uns gehorchen dann und verwandeln den Rest ihres Drinks in ein zu süßes Eiswasser, das nur noch im Hintergrund den Geschmack des Schnapses erahnen lässt. Ebenfalls ein sehr suboptimaler Drink-Zustand.
Ich plädiere deshalb dafür, Longdrinks einfach so zu servieren, wie sie sein sollten: Etwa 4cl Schnaps auf viel Eis, Mischgetränk drüber, bis das Glas voll ist. Fertig.
Um auszuschließen, dass ich mit dieser Forderung ein Sonderling bin, habe ich den Barkeeper meines Vertrauens angerufen: Klaus St. Rainer. Er hat lange im „Schumann’s“ gearbeitet, betreibt die „Goldende Bar“ in München und hat uns schon mal einen ziemlich köstlichen Spezidrink erfunden (den man, nebenbei bemerkt, fertig gemischt bekommt und nicht mit einer Extra-Speziflasche). Demnächst wird Klaus mit seiner Geschäftspartnerin Leonie von Carnap einen weiteren Laden aufmachen – und er sagt, dort werde er Longdrinks nur „fertig zusammengebaut“ servieren. Er ist wie ich der Meinung, dass man dem Gast eigentlich gleich „die perfekte Mischung geben“ sollte. Und weist mich noch auf den Nachhaltigkeits-Aspekt an der Sache hin. Denn viele sind nicht so sparsam wie ich: Sie lassen den Rest in ihrem Tonic-Fläschchen einfach stehen. „Im Schnitt“, sagt Klaus, „landet ein Drittel der Flasche im Gulli. Das ist eine Verschwendung von Rohstoffen, die nicht sein muss. Und ich finde, da hat man als Bar auch eine Verantwortung. Deshalb verzichten wir zum Beispiel auf Strohhalme – und eben auch auf die Filler-Flaschen.“ (Filler ist Barkeeper-Fachsprech für Mischgetränk.)
Das Filler-Fläschchen ist auch ein Zugeständnis an die Individualisierung des Trinkers
Aber Klaus weiß auch, dass er mit seinen fertig gemischten Drinks auf Widerstand stoßen wird. Er wird deshalb wahrscheinlich in vorauseilendem Gehorsam eine Ausnahme machen und den Gin Tonic auch in seinem neuen Laden als einzigen Longdrink mit separater Tonic-Flasche anbieten.
Warum das? „Bei Gin Tonic erwartet der Gast das. Das kommt durch den Trend der letzten Jahre. Die Leute wollen rumnerden.“ Man hört Klaus seinen Unmut über das Getue an und während wir reden, überlegt er, ob er sich dem nicht doch widersetzen und auch den Gin Tonic als fertigen Drink servieren sollte. „Vielleicht muss einer mal damit anfangen“, sagt er. Damit es aufhört, dass die Gäste unbedingt sehen wollen, dass eine ordentliche Portion Gin in ihrem Drink ist. Dass sie erst am Gin riechen wollen, bevor sie den Tonic drauf gießen, weil sie dann eine Fichtennadel- oder Sesam-Note zu entdecken glauben, oder, wie Klaus es ausdrückt, „sagen können, dass der milchgefiltert oder einer Jungfrau übers Knie gelaufen ist oder was für einen Scheiß es da mittlerweile alles gibt.“ Dazu komme die Eitelkeit mancher Gin-Tonic-Trinker, sagt Klaus: „Viele glauben, ihren eigenen Style entwickeln zu müssen. Der eine macht einen auf James Bond und will nur ein paar Spritzer Tonic, der andere würde am liebsten gleich die ganze Flasche reinkippen.“
Mit 18 war uns egal, wie unser Wodka Bull schmeckte
Der mit Filler-Fläschchen servierte Drink ist also auch ein Zugeständnis an die Individualisierung des Trinkers. An das Schnaps-Nerdtum als Distinktionsmerkmal, das uns nicht einfach nur trinken lässt, sondern die ehemalige Freizeitbeschäftigung „Mit Freunden in eine Bar gehen“ zur Pseudo-Wissenschaft und Selbstdarstellungsveranstaltung macht.
Als ich jünger war, war das anders. Da ging es nicht um Selbstdarstellung, sondern um Selbstabfüllung. Mit 18 war uns allen egal, wie unser Wodka Bull schmeckte (sonst hätten wir ja gleich ein anderes Getränk bestellt). Welcher Wodka da drin war, war egal. Und dass es auf der Turnhallen-Party gar kein Red Bull war, das man in den Drink bekam, und schon gar nicht in einem kleinen Filler-Fläschchen? Auch wurscht, der Billig-Energydrink in der 1,5-Liter-Flasche von Norma war auch okay. Hauptsache, es war genug Alk drin.
Apropos genug Alk: Da verbirgt sich der Ursprung des Filler-Servierens. Bars machen das, um dem Gast zu signalisieren: Hier wirst du nicht beschissen. Hier kannst du genau sehen, ob auch wirklich genug Alkohol in deinem Drink ist. Das soll Diskussionen vermeiden und ist für den Gast manchmal auch gut. Jeder von uns hatte schon mal das Gefühl, im Club einen Cuba Libre zu bekommen, der zu 90 Prozent aus Eis und Cola bestand. Wenn man den Filler selbst einschenken kann, passiert das nicht. Aus dieser Warte könnte man das Extra-Fläschchen also als Qualitätsmerkmal betrachten. Wie ein Gütesiegel, das sagt: Wir sind eine vertrauenswürdige Bar.
Andererseits: Was sagt es über das Verhältnis von Bar zu Gast, wenn grundsätzlich erst mal ein Misstrauen herrscht, das abgebaut werden muss, indem der Barkeeper den Beweis liefert, dass er nicht bescheißt? Wäre es nicht viel souveräner zu sagen: In dieser Bar kriegst du einen guten Drink, das müssen wir nicht extra unterstreichen. Ein gutes Steak-Restaurant bringt ja auch keine Waage an den Tisch, mit der man prüfen kann, ob die in der Speisekarte versprochenen 350 Gramm T-Bone auch wirklich auf dem Teller sind.
Manche Bars haben das Beweis-Prinzip außerdem zum Gönner-Prinzip ausgebaut. Sie wollen zeigen, dass sie besonders großzügig einschenken. Der Drink, der gleich für jeden sichtbar nur noch zwei Finger breit Platz für den Filler lässt, zeigt: Hier bekommst du mehr für dein Geld. Der Barkeeper will seinen Gästen damit etwas Gutes tun. Er bemisst „gut“ aber nicht primär am Geschmack, sondern daran, ob der Drink ordentlich reinhaut. Kann man machen, ist halt alles eine Frage der Zielgruppe. Vor allem zu Studentenzeiten, als das Geld knapp und die Feierlaune groß war, bin ich gerne in eine Bar gegangen, wo man jedes Mal sah, dass da viel mehr als die üblichen drei oder vier Zentiliter Schnaps drin waren. Aber damals habe ich auch ohne zu zögern Ja-Salami im Rewe gekauft.