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Das betrunkene Ich ist eine Lüge

Illustration: Federico Delfrati

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Die Alkolumne handelt vom Trinken. Von den schönen und schlechten Seiten dieses Zeitvertreibs und den kleinen Beobachtungen und Phänomenen an der Bar. Aber egal, worum es grade geht, lieber Leser – bitte immer dran denken: Ist ungesund und kann gefährlich sein, dieser Alkohol.

Die meisten Menschen denken von sich selbst, dass es neben dem normalen Ich auch noch ein betrunkenes Ich gibt, das erst der Alkohol zum Vorschein bringt. Wenn mich jemand fragen würde, dann würde ich meine betrunkene Persönlichkeit sicherlich als ziemlich witzig beschreiben. Denn mit genügend Tequiiila  (ja, die vielen i müssen definitiv sein) lockert sich eben bei jeder Party die Stimmung und damit auch der Bedarf an Witzen und unaufhaltsamen Lachanfällen. Wenn ich allerdings darüber nachdenke, wie ich mich selbst im normalen Alltag beschreiben würde, dann steht das Adjektiv witzig nicht ganz so weit oben auf der Liste – vor allem, weil ich mich nüchtern meist ein wenig ruhiger verhalte und nicht in jeder Situation den passenden Witz auf den Lippen habe. 

Ganz gleich, ob man sich selbst im betrunkenen Zustand als besonders laut, extrovertiert oder auch ein klein wenig zickig beschreiben würde – jeder Mensch, der gerne beim Feiern etwas trinkt, kennt diese feine Veränderung der eigenen Persönlichkeit unter Alkoholeinfluss. Da gibt es die Streitlustigen, die sich gerne mal zu lauten Diskussionen hinreißen lassen, besonders Sentimentale, die ihren besten Freunden weinend in den Armen liegen oder echte Partytiere, die nach ein paar Kurzen die verrückteste Danceshow aller Zeiten aufs Parkett legen. All diese Personen schieben es auf den Alkohol, wenn sie am nächsten Tag hören, was bei der Party oder auf der Tanzfläche alles passiert ist. Das betrunkene Ich ist ihre Entschuldigung, um die Zwischenfälle bei der letzten Party zu rechtfertigen, an die man sich nicht so gerne erinnern möchte.

Sentimental, ängstlich oder laut – bist du das wirklich?

                                                      

Aber eigentlich existiert dieses betrunkene Ich nur in unseren Köpfen. Unsere Umwelt nimmt es jedenfalls nicht so stark wahr wie wir selbst. Das wollen Wissenschaftler an der amerikanischen University of Missouri herausgefunden haben, die im Rahmen einer Studie zu Alkoholkonsum untersuchten, wie sich Menschen im nüchternen und betrunkenen Zustand selbst wahrnehmen. Bei dem Experiment wurden 156 Teilnehmer dazu aufgefordert, ihre Persönlichkeit einzuschätzen, dabei sollten sie im Verlauf des Experiments zum einen ihr normales und zum anderen ihr betrunkenes Ich einschätzen. 

Danach wurde die Gruppe aufgeteilt und mit Getränken versorgt – der eine Teil trank Wodka-Sprite, der andere nur Sprite. Bei Spielen, Diskussionen und anderen Aufgaben wurden die Persönlichkeiten der Teilnehmer und deren Verhalten von unabhängigen Beobachtern eingeschätzt. Dabei sollten die Beobachter bewerten, wie offen, gesellig, rücksichtsvoll, gewissenhaft und emotional die Teilnehmer während des Experiments waren. Außerdem sollten die betrunkenen Teilnehmer noch einmal ihre Persönlichkeit beurteilen.

Bei der Befragung zeigte sich ein signifikanter Unterschied zwischen der eigenen Wahrnehmung und der von Außenstehenden. Während die Trinkenden in allen fünf Persönlichkeitsbereichen einen großen Unterschied beschrieben und sich offener, extrovertierter und emotional stabiler fühlten, nahmen die Beobachter außer der gesteigerten Extrovertiertheit keine Veränderungen im Vergleich zum nüchternen Zustand der Teilnehmer wahr. Das Ergebnis der Studie überrascht nicht nur diejenigen, die sich häufig mal mit dem betrunkenen Ich herausreden, wenn sie sich auf einer Party danebenbenommen haben, sondern auch Rachel Winograd von der University of Missouri, die das Projekt als Psychologin mit Schwerpunkt auf Alkohol- und Drogenkonsum leitete. "Wir waren erstaunt, solche Unterschiede zwischen der Wahrnehmung von Trinkenden und Beobachtern festzustellen", erklärte Winograd im Anschluss an die Publikation im Wissenschaftsjournal "Clinical Psychological Science".

Das Verhalten ändert sich, nicht die Persönlichkeit

Also fällt unseren Mitmenschen vor allem auf, dass wir extrovertierter sind, wenn wir zu tief ins Glas geschaut haben. Dies verändert aber noch lange nicht unsere Persönlichkeit. Wir bleiben noch immer die gleiche Person und die Unterscheidung zwischen normalem und betrunkenem Ich ist im Grunde genommen sehr weit hergeholt. Das findet auch Stephan Hinz, der als Barkeeper täglich mit Feiernden im Kontakt ist: "Als Beobachter würde ich sagen, dass sich nicht die Persönlichkeit, sondern vielmehr das Verhalten der Menschen verändert." 

Ein paar Bierchen, der Tequila Sunrise und die Weinschorle tragen nur dazu bei, dass bestimmte Teile deiner Persönlichkeit, die sowieso vorhanden sind, stärker zu Tage treten und das spiegelt sich in deinem Verhalten wieder. Das betrunkene Alter Ago ist also schlichtweg niemand anderes als du selbst. Da ist keine zweite Identität, die nachts noch ein Kilo Nudeln kocht und dramatisch Whatsapp-Nachrichten schreibt. Das bist einfach nur du –  nur ein wenig enthemmter, redseliger und abenteuerlustiger als sonst. 

 

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