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Trinkspiele sind die perfekte Rechtfertigung zum Weitertrinken

Federico Delfrati

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Die Alkolumne handelt vom Trinken. Von den schönen und schlechten Seiten dieses Zeitvertreibs und den kleinen Beobachtungen und Phänomenen an der Bar. Aber egal, worum es grade geht, lieber Leser – bitte immer dran denken: Ist ungesund und kann gefährlich sein, dieser Alkohol.

„Auf gehts, Bierpoooong!“ schreit Samuel durch den Flur der WG. Das Licht ist schummrig und verraucht. Es riecht nach billigem Deo, Schweiß und abgestandenem Bier. Es ist heiß, der Boden ist verklebt von verschütteten Wodka-Mate-Mischen. Samuel hat einen Tischtennisball in einem halb leeren Bierkasten gefunden, hält ihn hoch wie eine Trophäe und schreit nochmal ganz laut: „Bierpooooong!“

Samuel ist an diesem Abend auf der WG-Party schon ziemlich besoffen. Trotzdem will er noch besoffener werden, deshalb schlägt er das Trinkspiel vor. Eigentlich könnte er den direkten Weg gehen und sich nochmal zwei Oettinger, drei Pfeffi und zwei Wodka-Mate reinhauen, dann wäre er auch an einem Ziel angelangt. Aus irgendeinem Grund gibt es aber auf jeder Party einen Samuel, der angetrunken ein Trinkspiel vorschlägt, nur um danach volltrunken zu sein.

Historisch gesehen ist Samuel in guter Gesellschaft. Schon die alten Griechen spielten Trinkspiele. Beim sogenannten „Kottabos“ mussten die Spieler den letzten Schluck in ihrem Trinkgefäß in eine Schale schleudern. Wer daneben schleuderte, war unter Zeus Gnaden dazu verdammt, einen neuen Becher Wein auf Ex zu leeren.

Das Grundprinzip der exenden Griechen hat bis heute überlebt: Auf eine Aufgabe folgt bei Nichtbestehen als Strafe das Trinken. Dieser Satz klingt schön, beinhaltet aber bei genauerem Betrachten einen Widerspruch. Man will betrunken werden, darf aber erst trinken, wenn man einen Fehler macht. Man müsste also schlecht spielen, um sein Ziel zu erreichen. Ergibt eigentlich wenig Sinn. Trotzdem werden die Samuels dieser Welt am Bierpong-Tisch zu herumschreienden Thorsten Legats, die unbedingt das Spiel gewinnen wollen. Trinkspiele müssen also mehr sein, als eine Zwischenstation zwischen angetrunken und volltrunken.

Trinkspiele verbinden etwas Schlechtes mit etwas Gutem

Trinkspiele sind für jugendliche Trinker der perfekte Wolf im Schafspelz. Ein Spiel klingt harmlos, nach kindlichem Spaß. Sich einfach so zu besaufen, hat eher den Beigeschmack des mutwilligen Zerstörens von Gehirnzellen (Komasaufen!). Wenn man ein Trinkspiel spielt, hat man am nächsten Tag immer noch die Ausrede vor sich selbst: Ich bin einfach ein schlechter Bierpong-Spieler, deshalb war ich dazu verdammt, mich an einem Dienstag in einer Studenten-WG aus dem Leben zu schießen.

Trinkspiele verbinden etwas Schlechtes mit etwas Gutem. Ähnlich wie ein Sektempfang oder ein Gin-Tasting verbinden sie den Konsum von Alkohol mit etwas vermeintlich Harmlosem und gesellschaftlich weitgehend Akzeptiertem. Außerdem kombinieren sie stumpfes Betrinken mit Zielgenauigkeit, Reaktionsgeschwindigkeit und Schnelligkeit. Man fühlt sich viel besser, wenn man in der Sonne beim Flunkyball drei Bier exen muss, als wenn man das im Sitzen auf der Couch in einem verrauchten WG-Zimmer tut. Das Trinken tritt in den Hintergrund, es ist nur Beiwerk und Konsequenz aus Versagen. Wenn Samuel dazu auffordern würde, dass alle innerhalb einer Viertelstunde drei Bier in sich hineinschütten, würde man ihm den Vogel zeigen. Ein Spiel zu spielen, in dem die drei Bier als Kollateralschaden verbucht werden können, lässt sich viel leichter rechtfertigen.

Apropos rechtfertigen: Trinkspiele basieren auf einem Prinzip, das unsere Gesellschaft entscheidend prägt: Gruppenzwang. Wenn Samuel durch die Wohnung ruft, kann man vielleicht noch „Nein“ sagen. Wenn aber Kati und Jan mit dabei sind und man „sich nicht so anstellen soll, wir brauchen noch einen Spieler, komm schon, du Lusche!“, dann wird wird das mit dem Nein schon schwieriger.

Der Mensch will sich selbst immer in einem guten Licht stehen sehen. Das hält ihn aber nicht davon ab, schlechte Dinge zu tun. Alkohol trinken ist schlecht, es macht aber viel zu viel Spaß, um es einfach sein zu lassen. Und da sind wir wieder bei den Griechen, die ja schließlich auch die Demokratie, den Satz des Pythagoras und andere wichtige Dinge erfunden haben. Der Mensch hat sich einfach einen Grund einfallen lassen, der es rechtfertigt, auch betrunken weiter zu trinken: das Trinkspiel.

Deshalb bekommen neben Samuel auch alle anderen auf dieser Party noch ihren absoluten Vollrausch. Dem Trinkspiel kann man sich nämlich nur sehr schwer entziehen. Keiner will am Rand stehen und zuschauen. Wir wollen mitspielen. Und deshalb folgen wir Samuels Urschrei („Bierpoooong“) brav an den Camping-Tisch im klebrigen WG-Flur, versuchen Tischtennis-Bälle in mit Billigbier gefüllte Plastikbecher zu treffen und verlassen die befreundete WG an diesem Dienstag-Abend mal wieder viel betrunkener, als wir das eigentlich geplant hatten.

Nächste Woche geht es in der Alkolumne übrigens noch mal um Trinkspiele. Genauer: darum, was die verschiedenen Typen über die Menschen aussagen, die sie gerne spielen.

Noch mehr Alkolumnen? Bittesehr!

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