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Alkolumne: Der Mythos vom Durcheinandertrinken
Die Alkolumne handelt vom Trinken. Von den schönen und schlechten Seiten dieses Zeitvertreibs und den kleinen Beobachtungen und Phänomenen an der Bar. Aber egal, worum es grade geht, lieber Leser – bitte immer dran denken: Ist ungesund und kann gefährlich sein, dieser Alkohol.
Hilflos liege ich auf meinem Bett und starre an die Decke meines dunklen Zimmers. Mein Mund eine Wüste. Das Atmen fällt mir schwer, alles tut weh. Ein Gefühl von Scham. Die Sache ist klar: Medizinisch gesehen leide ich an den Folgen einer leichten Alkoholvergiftung. Besser gesagt: Ich habe einen Kater.
Ich öffne die Fenster. Da draußen rollen Autos über die Straße, Menschen laufen auf dem Bürgersteig, die Sonne strahlt unbarmherzig in mein fahles Gesicht. Das ist sie also – die Welt. Das Bereuen danach. Was am Abend davor geschehen ist, scheint jetzt wie eine Illusion zu sein.
Ich schreibe einem Freund, ich will wissen, ob er auch leidet. „Liege hier mit einem behaglichen Kater“, ist seine Antwort. Was an einem Kater behaglich sein soll, erschließt sich mir nicht. „Haben wieder alles Mögliche getrunken. War wohl nicht so schlau...“, fügt er an und gedanklich stimme ich ihm zu.
Wir haben durcheinander getrunken, jede Vernunft vermissen lassen. Dabei weiß man doch, dass zu viele verschiedene Drinks den Kater stark machen, ihn groß werden lassen. Als Teenager erzählen es einem die älteren, erfahrenen Partygäste, selbst die Eltern warnen einen davor. Sprüche wie „Bier auf Wein, das lass sein“ legen auch nahe, dass man lieber bei einer Sorte bleiben soll, wenn man Leiden vermeiden will. Abwechslung beim Trinken bereichert das Leben nicht, sondern macht den Überlebenskampf am nächsten Morgen härter.
Aber stimmt das wirklich? Elternweisheiten und über Jahrhunderte überlieferte Trink-Sprichwörter sind ja nicht immer der beste Ratgeber. Und wirklich: Wenn man ein bisschen herumgoogelt, findet man viele Einträge, die glaubhaft versichern: Eigentlich sind weder die Auswahl noch die Reihenfolge der Drinks das Problem. Es ist die Menge. Zu meinen, die Getränke zu mischen, sei allein der Fehler, ist ein Irrglaube. Das Durcheinandertrinken führt einfach nur dazu, dass wir mehr trinken. Dass es nicht langweilig wird und geschmackliche Abwechslung einen zum Weitersaufen motiviert. Trinken wir gemischt, dann trinken wir mehr. Die Menge macht den Rausch – und später den Kater.
Als ich den Abend gedanklich Revue passieren lasse, muss ich mir eingestehen: Da ist wohl was dran.
Ich war auf die Geburtstagsparty eines Freundes eingeladen und wurde dort mit einem Bierchen begrüßt. Bier wirkt harmlos, es ist Lagerfeuer, Wegbegleiter, Friedenspfeife – wir unterhielten uns, wir lachten, wir stießen an. Aus einem Bier wurden schnell vier. Aber es blieb nicht beim Bier, ich bekam bald schon Lust auf die erste Abwechslung. Beim Feiern darf keine Langeweile aufkommen.
Der Rausch lässt einen groß werden, übermütig, leichtsinnig
Ein Gast, den ich nicht kannte, bot Weißwein an. „Wein auf Bier, das rat’ ich dir“ – ein Satz, der schon so lange existiert, kann nicht falsch sein, dachte ich mir und nahm dankend an. Wenn ich Wein trinke, komme ich mir kultiviert vor, intellektuell, erwachsen, auch wenn ich keine Ahnung habe von Wein. Nach dem ersten Glas spürte ich, wie der Alkohol anschlug. Es war ein wohliges Gefühl. Mein bester Freund stand mit mir am Stehtisch und war sehr durstig. Oder war ich sehr durstig? Wir tranken ein zweites Glas. Der sich anbahnende Rausch lässt einen groß werden, übermütig, leichtsinnig. Ich bekam schon bald Lust zu rauchen. Dann kam der Schnaps.
Ein Freund, und seltsamerweise ist es immer der selbe, kam und sagte den Satz, den er ab einer gewissen Uhrzeit immer auf Partys sagt: „Komm, wir trinken Kurze!“ Schnaps ist immer eine Steigerung, der nächste Schritt. Wer Schnaps trinkt, weiß, dass eine neue Phase der Party beginnt.
Kurze schmecken nicht, sie sind nicht gemütlich wie Bier und man wirkt mit ihnen nicht belesen wie mit einem Glas Wein. Aber Kurze lassen einen zur Gemeinschaft gehören, wer Kurze trinkt, verbrüdert sich mit seinen Mittrinkern. Also Jägermeister. Zwei Runden.
Aber Kurze sind etwas für zwischendurch. Man kann sich nicht dauernd neu verbrüdern und den Geschmack und das Brennen irgendwann nicht mehr ignorieren. Also Longdrinks – das war es, was ich nun wollte. Mit Wodka Lemon fühle ich mich sicher, ich weiß, wie viel ich davon vertragen kann. Zumindest bilde ich mir das ein.
Einmal im Blutkreislauf, wirkt der Alkohol wie ein Beruhigungsmittel
Tatsächlich aber war der Wodka der Anfang vom Ende, wie eine verpasste Abfahrt. Es wurde dunkler um mich. Einmal im Blutkreislauf angekommen, wirkt der Alkohol wie ein Beruhigungsmittel für das Gehirn. Die Menge setzte mir zu. Der Alkohol macht die Gedanken langsamer. Ich bleibe oft zu lange auf Partys, meistens bin ich einer der letzten, der geht. Das bereue ich dann nur wenige Stunden später. Der Kater ist das unbarmherzige Ende der Freiheit. Ein Protokoll, das einem aufzeigt, was man getrunken hat – und wie viel. Gestern war es zu viel für einen Abend.
Diese überall bekannten Weisheiten, die man ständig hört, mit denen man selbst irgendwie das Durcheinandertrinken auf Partys rechtfertigen will, sind Unsinn. Ob ich Wein auf Bier trinke oder umgekehrt, macht keinen Unterschied. Der Kater ist der gleiche.
Der Spruch „Wein auf Bier, das rat’ ich dir“ hat mit gesünderem oder katerbremsendem Trinkverhalten auch gar nichts zu tun. Er stammt aus dem Mittelalter. Das bekömmliche Dünnbier war erschwinglich für weite Teile der Bevölkerung, Wein dagegen dem Adel und Wohlhabenden vorbehalten. Erst Bier zu trinken und dann Wein, war eine Metapher für sozialen Aufstieg.
Es ist nicht so, dass ich mir noch nie vorgenommen hätte, weniger zu trinken. Im Gegenteil, jedes Mal, wenn ich verkatert aufwache, gelobe ich Besserung. Aber vielleicht ist das ja falsch: Vielleicht sollte ich mir nicht vornehmen, weniger zu trinken. Ich sollte mir vornehmen, nicht durcheinander zu trinken. Denn dann fehlt die Abwechslung. Und ich werde einfach irgendwann keine Lust mehr haben. Mit dieser List schaffe ich es vielleicht, mich selbst zu zähmen. Und hätte dann vielleicht sogar mehr von der Feier und vom nächsten Morgen.