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Junge Ägypter über Arbeitslosigkeit fünf Jahre nach dem Arabischen Frühling
Aida und Abdelwahab sitzen in einem Café am Nil. Es ist ein klein wenig kühler hier als auf der achtspurigen Straße, die am Ufer vorbeiführt, aber immer noch 40 Grad im Schatten. Aida ist 31 Jahre alt und trägt ein rosa Kopftuch. Sie hat einen Master-Abschluss in Chemie und ist verheiratet. Kinder hat sie keine. Aziz ist 25 Jahre alt und hat einen Master in Jura. Beide sind sie arbeitslos. Die Stimmung: frustriert bis resigniert.
2011 war die Aufbruchsstimmung noch groß gewesen, vor allem in der jungen Generation. Fünf Jahre nach dem Arabischen Frühling geht es dem Land schlechter denn je: Ägypten gehen die Devisen aus, ausländische Waren sind viel zu teuer, sofern sie nicht von der Regierung subventioniert werden. Das korrupte Mubarak-Regime ist durch Sisi ersetzt worden – mit der Folge, dass nun dieselben alten Eliten echte Reformen verhindern. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei rund 50 Prozent. Unterdessen entwickelt sich das Land immer mehr zum Hot Spot für Flüchtlinge, die von hier aus Europa erreichen wollen. Noch sind die meisten Flüchtlinge aus Schwarzafrika und nicht aus Ägypten selbst. Doch die Zahlen steigen.
Helfen soll dem Land jetzt ein Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF). Der aber ist an schmerzhafte Reformbedingungen wie den Abbau von Subventionen und die Einführung einer Mehrwertsteuer gekoppelt. Dadurch würden viele Alltagsprodukte teurer, was besonders die ärmeren Ägypter hart treffen könnte. Das vielleicht größte Problem des Landes ist aber das rapide Bevölkerungswachstum: Ägypten hat 92 Millionen Einwohner. Jedes Jahr kommen 800.000 neue Bewerber auf den Arbeitsmarkt. 2030 schon könnte das Land 140 Millionen Einwohner haben.
jetzt: Warum, glaubt ihr, habt ihr keine Arbeit?
Aida: Ohne einen Bekannten oder einen Bürgen hat man eigentlich keine Chance, einen Job zu kriegen, zumindest nicht im öffentlichen Sektor.
Abdelwahab: Ich habe mich bei allen Ministerien und Ämtern beworben. Die Jobs sind immer schon vergeben, bevor sie ausgeschrieben werden.
Aida: So geht es allen. Keiner meiner Freunde ist besser dran.
Warum arbeitet ihr nicht in der Privatwirtschaft?
Aida: Dort gibt es keine Jobs, nicht für das, was ich machen möchte.
Abdelwahab: Staatsunternehmen bieten mehr Sicherheit. Man hat eine Job-Garantie, kann nicht entlassen werden.
Aida: Ich habe vor zwei Jahren versucht, mich selbstständig zu machen. Ich will meine eigenen Cremes entwickeln und vermarkten – Anti-Akne-, Sonnenschutz- und Feuchtigkeits-Cremes – solche Sachen. Doch in der ersten Phase bräuchte ich dafür einen Kredit von 20.000 Ägyptischen Pfund. Den wollten sie mir nicht geben.
Wie viel Geld wollt ihr denn verdienen? Was ist ein gutes Einstiegsgehalt?
Abdelwahab: Etwa 3000 Pfund würden mir reichen. (knapp 300 Euro. Anm. d. Red.)
Aida: Ich wäre auch mit der Hälfte zufrieden.
Braucht man in Ägypten ein festes Gehalt, um heiraten zu können?
Abdelwahab: Ja, das ist hier leider so. Anders geht es nicht. Vorher zieht man nicht auch nicht von zu Hause aus.
Zu welcher Schicht zählt ihr euch? Was machen eure Eltern?
Abdelwahab: Mein Vater verkauft Versicherungen. Ich denke, wir gehören zur Mittelschicht.
Aida: Allerdings weiß ich gar nicht, ob es das überhaupt gibt in Ägypten. Wir gehören auf jeden Fall nicht zu den ganz Armen. Reich sind wir aber auch nicht.
Was wollt ihr tun, wenn ihr weiter arbeitslos bleibt? Habt ihr einen Plan B?
Aida: Ich bin ja verheiratet, und mein Mann hat zum Glück einen Job. Es ist nur frustrierend.
Abdelwahab: Ich will versuchen, ins Ausland zu gehen. Ein paar meiner Freunde sind in den Golfstaaten. Dort verdient man nicht schlecht. Aber eigentlich würde ich lieber hier bleiben.
Ägypten steht gerade mit dem Internationalen Währungsfonds in Verhandlungen. Es geht um einen Kredit von 12 Milliarden US-Dollar. Dafür aber muss Ägypten Reformen durchführen und vor allem Subventionen streichen.
Abdelwahab: Ich glaube nicht, dass dadurch etwas besser wird. Wahrscheinlich werden einfach viele Leute entlassen.
Aida: Das ist vielleicht gar nicht schlecht. Oft machen doch fünf Leute die Arbeit von einem.
Abdelwahab: Da ist etwas dran. Wenn Leute von der Universität kommen, sind sie oft ehrgeizig und wollen etwas bewegen. Wenn sie dann in so einer Umgebung landen, werden sie schnell genauso faul. Das System frisst sie.
Aida: Anfangs wird erst einmal alles schlimmer werden. Aber vielleicht ändert sich danach endlich etwas grundlegend. Die Inflation allerdings macht mir Angst. Und die wird ja kommen, wenn sie die Währung freigeben.
Abdelwahab: Wenn sie die Subventionen für Wasser, Benzin und Brot streichen, trifft das doch nur die armen Leute. Das wird nicht gut sein.
Aida: Prinzipiell ist es nicht verkehrt, aber es kann nicht sein, dass am Ende die reichen Leute profitieren. Es muss transparent und mit Augenmaß durchgeführt werden.
Abdelwahab: Wie macht Ihr das eigentlich in Deutschland?
Wir subventionieren kaum etwas, dafür haben wir einen Sozialstaat.
Die deutsche Bevölkerung schrumpft aber auch. Experten sehen in dem Bevölkerungswachstum Ägyptens ein großes Problem. Was glaubt ihr?
Aida: Das sehe ich nicht so. Viele Menschen sind doch eine gute Sache. Das ist Humankapital.
Abdelwahab: Ich finde auch – das ist doch wie ein Rohstoff.
Was muss sich ändern in Ägypten, damit die Lage besser wird?
Aida: Die Ausbildung muss besser werden. Unsere Schulen sind nicht gut genug. Kreativität wird nicht gefördert. Überhaupt – es fehlt an Freiheit.
Abdelwahab: Die Bürokratie ist verkrustet, und die Arbeitslosigkeit ist viel zu hoch. Es muss etwas für die jungen Leute getan werden. Und gegen diese Vetternwirtschaft.
Aida: Wir brauchen auch mehr Transparenz, um Korruption einzudämmen.
Seid ihr 2011 auf die Straße gegangen?
Aida: Ich war an ein paar Tagen dabei, habe mich aber zurückgehalten. Es war zu gefährlich.
Abdelwahab: Ja, außerdem hatte ich zu dieser Zeit meine Examensvorbereitungen.
Dann kam Mursi...
Aida: Gegen die Muslim-Bruderschaft habe ich protestiert.
Abdelwahab: Ich fand sie eigentlich nicht schlecht. Sie haben zumindest etwas bewegt. Jetzt ist ja alles wie zur Mubaraks Zeiten.
Auch von Ägypten aus versuchen jetzt immer mehr Menschen, Europa zu erreichen. Was denkt ihr, wenn Ihr solche Bilder seht?
Aida: Das ist keine Option.
Abdelwahab: Das tut man nur, wenn man absolut verzweifelt ist und keine Hoffnung mehr sieht.