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23. Dezember
Wie es anfing, weiß ich noch genau. Ein Praktikum, das ich nur deswegen machte, weil bei der FAZ alle Praktikantenverträge im Zuge von Sparmaßnahmen gestrichen wurden. Ich musste schnell Ersatz finden, meine Wohnung in Köln war untervermietet, also meldete ich mich bei jetzt.de.
Ich hatte das jetzt-Heft verehrt, natürlich und war auch auf der online-Seite unterwegs, weil ich da eine sehr gute Botschaftfreundin hatte, Laura. Die Redaktion saß damals, es war Dezember 2002, in einem verwinkelten Altbau in der Hackenstraße. Es gab eine winzige Küche, einen legendären Geschäftsführer, den leicht irren Programmierer, mit Christina Kretschmer (heutige Waechter!) eine geheimnisvolle Mitpraktikantin, es gab eine flotte Assistentin, die alles zusammenhielt und gelegentlich klingelte die elegante und hochbetagte Hausbesitzerin und wir halfen ihr Einkaufstüten in ihre Dachwohnung zu tragen. Die SZ war eine ganze Straßenecke weit weg, mittags pendelten wir in die Kantine, von dort zum Segafredo, dann in langem Bogen über die Sendlinger Straße zurück und spielten in einem leeren Zimmer der Redaktion Tischtennis.
Wenn ich das heute so aufschreibe, ist eigentlich klar, dass in diesem Umfeld nur Großartiges entstehen konnte. Aber mit 22 kapiert man nicht alles immer gleich und man ist so viel in Kellern unterwegs, dass man nie mal eine ordentliche Übersicht hat. Übersicht war auch nicht so wichtig, denn sie ließen mich machen, egal, was ich an sie hin trug, es wurde besprochen und ich durfte darüber schreiben. Herrliche Konferenzen waren das, in meiner Erinnerung lag ich dabei ständig vor Lachen auf dem Boden, was mir als Praktikant und ernsthaftem Journalistenschüler peinlich war. Aber es ging nicht anders und wenn ich doch mal bei Ebay eine Zeitmaschine ersteigern sollte, dann lasse ich mich in einen dieser Konferenznachmittage zurück schießen. Da war der Redaktionsleiter, der keinen anderen Gemütszustand zu kennen schien als lustig und es gab jede Menge netter Typen, die ihm dabei gerne assistierten. Als sich das Praktikum dem Ende zu neigte, ahnte ich, dass ich nach nur zwei Monaten in der Hackenstraße für das restliche Berufsleben verdorben war. Was meine Journalistenschul-Kollegen aus ihren Praktika so berichteten, klang jedenfalls eher nach Manövern mit scharfen Waffen als nach Tischtennis-Rundlauf im alten Grafikzimmer.
Ich klagte Laura mein Leid via jetzt-Botschaft und zählte bang die Tage. In der letzten Woche des Praktikums feierte ich meinen Geburtstag und lud wie selbstverständlich die Redaktion zur Party ein. Sie kamen und blieben und am Ende, kurz vor dem Morgengrauen rutschten wir auf Plastiktüten den Olympiaberg hinunter, brachen uns Finger, holten uns Schnittwunden und Erfrierungen, aber es war die beste Geburtstagsparty auf der ich je war. Auch die traurigste, weil ja nun alles vorbei sein sollte.
Das war es, bis zu einem Anruf im Sommer, der lustige Redaktionsleiter war dran, es gab irgendein Budget, eine Zusatzaufgabenschummelei, jedenfalls war da ein kleiner Weg zurück und das Abschlussfoto der Journalistenschule war einer der wenigen Momente, in denen ich dort mal ehrlich gelächelt habe. Tja, und seitdem ist die verflixte Zeit sehr schnell vergangen.
Wenn man sagt, dass die Zeit schnell vergangen ist, dann stimmt das natürlich nicht. Zeit vergeht immer gleich schnell, sie tut es nur unterschiedlich gut. Und das ist das eigentliche Wunder, es war hier immer gut. Ich habe das alles geliebt und wusste jeden Tag, dass ich am richtigen Platz bin. Ich bin mit jetzt.de viermal umgezogen, hatte ungefähr genau so viele unterschiedliche Geschäftsführer, zwei amtliche Zeitungskrisen erlebt, geschätzte 180 Praktikanten redigiert, etwa vier neue und natürlich sagenhafte jetzt-Hefte für die Schublade konzipiert und trotzdem hat es sich bis heute nie anders angefühlt, als wäre ich nur kurz raus auf den Spielplatz. Einem besonderen Spielplatz freilich, von dem man nie nach Hause muss und der unten drin eine Kantine hat.
Es ist viel passiert, weil in fast zehn Jahren nun mal zwangsläufig viel passiert, aber eigentlich stimmt das auch gar nicht. Die wichtigsten Sachen sind gleich geblieben. Da ist immer noch, zumindest in der Nähe, der alte Redaktionsleiter, von dem man immer weiß, wann er im Haus ist, weil man sein Lachen durch alle Türen hört. Ein Chef, wie ich ihn jedem einmal wünsche, nur damit das Wort einen anderen Klang bekommt. Da ist seine anhaltende Fähigkeit, nette Leute, die irgendwo am Rand aufscheinen, zu Kollegen zu machen.
Und da sind natürlich die Leser und die Homepage, der Kosmos, der auch immer irgendwie gleich ist, obwohl er sich bestimmt nahezu komplett ausgetauscht hat, seither. Das hat aber nichts daran geändert, dass man für ihn und seine Menschen schreiben möchte, seine Kommentare sucht und Lesenswertpunkte still und stolz mitzählt. Der jetzt.de-Kosmos ist eine 24/7-Bühne, nach der man süchtig wird. Es ist diese Gabe der Leser hier, Schwächen eines Textes gnadenlos zu benennen aber am nächsten Tag den gleichen Autor auch bedingungslos zu feiern. Das war all die Jahre ein wunderbarer Ansporn und sicher lehrreicher als jede Journalistenschule. Ich habe nicht nur das gelernt, auch tausend andere Dinge, darunter Platten auflegen und Kickern, Theaterstücke schreiben und Zeitungsseiten layouten, Luftzigaretten formvollendet aufzurauchen und sogar zu twittern (@schrngg).
Es war nie glamourös hier, aber auch niemals banal und das ist ein Urteil, das ich gerne am Ende über mein ganzes Leben sagen möchte. Wann immer mich externe Kollegen mit Jobproblemen bejammerten, konnte ich nur läppische Winzigkeiten beitragen. Es hätte also ewig so weitergehen können, aber irgendwann, das wusste ich, würde es nicht mehr gehen. Genauso wie man ahnt, dass man nicht sein ganzes Leben lang in dieser perfekten Eineinhalb-Zimmer-Wohnung über dem türkischen Gemüsehändler leben können wird, obwohl man doch strenggenommen nie etwas anderes möchte. "Life is a time machine" singt Vic Chesnutt und das ist der beste Satz, den ich für diesen bescheuerten Umstand kenne. Den Umstand, dass nie etwas bleiben kann wie es ist, sondern alles immer auch wieder vergeht. Gestern saßen wir noch zusammen und waren Könige, heute sind wir schon wieder verstreut. Aber so ist es wohl.
Als ich im August dieses Jahres probehalber daheim eine Kündigung schrieb, hatte ich zum ersten Mal überhaupt einen writers block. Ich konnte nicht mal den Briefkopf schreiben. Ich ließ es bleiben, saß einen Monat lang in Schweden am Meer und dachte darüber nach, ohne darüber nachzudenken, ihr kennt das bestimmt. Dann schrieb ich im Oktober noch mal eine Kündigung, es ging nicht gut, aber es ging. Ich trug sie ein paar Tage in meiner Tasche (übrigens auch die gleiche, seit 2002). Dann erzählte ich manchen Menschen von dem Brief in meiner Tasche. Das war so leicht, ein Satz nur. Erst hinterher merkte ich, dass es jedes Mal, wenn ich davon erzählte, ein Schritt weiter weg war und dabei immer ein bisschen mehr Schnee losgetreten wurde, als ich wieder aufschütten konnte. Irgendwann wurde es dann die kleine Lawine, alle wussten es, Kopfnicken, Hand auf die Schulter, klar, schade, adieu. Da waren es noch zwei Monate, genug Zeit, dachte ich, um mir einzureden, wie überfällig und richtig die Entscheidung war. Hat leider nicht geklappt, weil siehe oben, alles hier gut war, wie immer. Nur in den Konferenzen lag ich nicht mehr vor Lachen am Boden.
2012 wird für mich also das Jahr bleiben, in dem ich Adventskalender hasste, weil sie auch meinen letzten Monat jetzt.de runterzählten und ich zählte wieder bang mit, genau wie vor zehn Jahren. An Laura habe ich diesmal nichts von meinem Kummer geschrieben, weil wir uns nicht mehr schreiben wegen der Leben-Zeit-Zerstreuungs-Sache, aber ich weiß, ich könnte es und das ist schön. So kamen sie, die letzte Weihnachtsfeier, die letzte Seitenplanung, das letzte abgenommene Rap-Rendezvous, der letzte Sonntagsdienst und heute kommt Christina und sagt, ich muss den Adventskalendertext schreiben und also, letzter Text, letztes Mal Kosmosbühne – was für eine finalistische Kackscheiße. Ich kann das nicht sehr gut. Ich hänge sehr an Dingen, besonders wenn sie schön sind und funkeln.
Jetzt soll ich noch diese Schreibtischschubladen ausräumen, aber es geht nicht, es liegen ja Sachen darin, die dort für immer hingehören. Alte Kalender mit Kaffeflecken, geknickte Fotos und ein Tip-Kick-Männchen ohne Bein. Es waren zehn Jahre jetzt.de und es war die beste Zeit, denn ich war jung und ununterbrochen verliebt.
Dieser Text stammt von max-scharnigg