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17. Dezember

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 Wünschen kann man sich alles.


Seit ich denken kann, setzt meine Mutter die Abgabefrist des Weihnachtswunschzettels auf den 30. November. Dieses Datum war die erste Deadline meines Lebens und ist bis heute die einzige, die ich niemals zu überschreiten wagen würde. Mama ist knallhart: Kein Wunschzettel, keine Geschenke.

Zum Glück weiß meine Mutter aber auch, dass Menschen, die noch an den Weihnachtsmann glauben, selten Terminkalender führen. Als wir noch klein waren, setzte sie meine Schwestern und mich deshalb spätestens am 29. November an den Küchentisch und legte vor jeden einen Zettel, einen Stift und einen Quelle-Katalog. Ich konnte Bestellnummern abmalen, bevor ich schreiben konnte.

Jedes Jahr übertrug ich mit besonderer Sorgfalt (aber auch mit besonderem Nachdruck) die Bestellnummer eines elektrischen Autos für Kinder, in das man sich WIRKLICH reinsetzen und mit dem man WIRKLICH fahren konnte. Also IN ECHT! Wie ein richtiger Erwachsener. Mit der Endziffer 03 für die Farbe Pink.

Neben dem Auto parkte aber noch ein zweiter Wunsch dauerhaft auf meinem Zettel. Diesen Wunsch hatte ich nicht im Quelle-Katalog gefunden, sondern, hach, Achtung, Weihnachtskitsch: in meinem Herzen. Ich wünschte mir, dass Mama und Papa wieder zusammenkommen.

Ich sag es lieber gleich vorweg, für alle, die auf eine rührselige Weihnachtsgeschichte hoffen, an deren Ende ein kleines Mädchen glücklich glucksend mit einem elektrischen Auto um seine wiedervereinten Eltern fährt: Keiner der beiden Wünsche wurde mir erfüllt. Das Auto war zu teuer, die Eltern zu ge- äh verschieden.

Man könnte sich nun fragen, warum ich mir dann beides trotzdem alle Jahre wieder wünschte. War ich ein besonders dummes Kind? Litt ich unter Gedächtnisschwund? Nein. Die Antwort ist viel einfacher. Jeden 30. November sammelte Mama die Wunschzettel ein, las sie, lächelte und sagte geheimnisvoll: „Wünschen kann man sich alles.“ So kam es, dass ich jedes Jahr 24 Tage lang vor Aufregung kaum schlafen konnte, weil es ja doch vielleicht sein könnte, dass diesmal tatsächlich das Auto unter dem Baum steht. Oder Papa.

Das Auto und „Mama liebt Papa“ verschwanden wohl im selben Jahr von meinem Wunschzettel, in dem ich auch von der Nichtexistenz des Weihnachtsmannes erfuhr. Mit dieser harten Wahrheit konfrontiert, wurden auch meine Wünsche realistischer: Sie überschritten von nun an nie mehr das von meiner Mutter kommunizierte Budget von 100 Euro und sind stets im freien Handel erhältlich.

Seit der Realitätsreform meiner Wünsche hat sich einiges verändert. Ich bin zum Beispiel nicht mehr aufgeregt vor Weihnachten. Warum auch? Heute stehen zwar keine Bestellnummern mehr auf meinem Wunschzettel, aber er ist doch mehr denn je eine Bestellliste. Was ich mir wünsche, bekomme ich auch. Letztes Jahr zum Beispiel wollte ich gern den Malm Ablagetisch von Ikea haben. Er kostete 70 Euro. Ich schickte meiner Mutter den Link (das ist nämlich aus den Bestellnummern geworden), woraufhin sie zurückschrieb: „Es fehlen noch Wünsche für 30 Euro.“ Also schickte ich ihr noch zwei weitere Links zu Büchern, die auf meiner Amazon-Wunschliste standen. Unterm Baum lagen drei Pakete, ein großes, zwei kleine. Keine Überraschung.

Dabei würde ich gern mal wieder überrascht werden. Ich würde gern mal wieder ungeduldig auf der Kirchenbank rumrutschen und mit schwitzigen Händen beten, dass der Pastor bald fertig sein möge. (Sorry, Pastor A., Ihre Predigten sind echt gut, aber man hört ja auch so schlecht in der überfüllten Kirche.) Ich würde gern mal wieder mit meinen Schwestern Kekse essend darüber mutmaßen, was wir wohl bekommen, während wir im Kinderzimmer sehnsüchtig darauf warten, dass unten endlich das Glöckchen läutet. Ich wäre gern mal wieder aufgeregt. Und darum habe ich dieses Jahr folgenden Wunschzettel abgegeben:

- Gute Freunde in Berlin.

- Eine Wärmflasche.

- Eine große Tasche für die Uni.

- Kunst, für meine kahle Zimmerwand.

- Dass Papa noch mal wieder richtig gesund wird.

- Eine Bahncard 100.

- Eine Pudelmütze.

- Max Goldt – Die Chefin verzichtet.

- Dass der M27er nicht immer so unpünktlich ist.

- Eine Geschirrspülmaschine (und den Platz dafür).

- Licht am Fahrrad.

- Ferdinand von Schirach – Der Fall Collini.

- Und: Ein RICHTIGES Auto, in dem man WIRKLICH fahren kann. Auch als Erwachsener. (Auf KEINEN FALL in Pink!)

Ich hab meiner Mutter den Wunschzettel dieses Jahr nicht gemailt. Ich hab alles in goldener Schönschrift auf ein Blatt Papier geschrieben und noch ein paar Sternchen und einen Tannenbaum dazu gemalt. Ich hab ihn ihr persönlich gegeben, als ich das letzte Mal zu Hause war (natürlich vor dem 30. November). Sie hat ihn gelesen, ein wenig irritiert geschaut, dann eine Augenbraue hochgezogen, gelächelt und geheimnisvoll gesagt: „Wünschen kann man sich alles“. Seitdem kann ich vor Aufregung kaum schlafen. 


Dieser Text stammt von der jetzt-Userin TextTrulla

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