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11. Dezember

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„Wunschzettel, Wunschzettel“, habe ich gedacht und mehr fiel mir auch schon nicht mehr ein zum Thema. In meinem Leben gibt es einfach keine Wunschzettel mehr. Als Kinder haben meine Schwestern und ich welche geschrieben und sie vorm Schlafengehen auf die Truhe im Flur gelegt, damit das Christkind sie abholen kann. Am Morgen konnte man überprüfen, ob es in der Nacht dagewesen ist. Das war jedes Mal sehr aufregend und schön. Ganz erstaunlich, dass eine leere Stelle auf einer Truhe so zauberhaft sein und einen so glücklich machen kann.

Seit ich nicht mehr an das Christkind glaube, ist das einzig Wunschzettelhafte in meinem Leben die Liste bei Amazon und das Ende-November-Gespräch mit meiner Mutter, bei dem sie nach meinen Weihnachtswünschen fragt und ich ihr nenne, was ich gerade so brauche: Einen Koffer zum Beispiel oder ein Bügeleisen oder eine neue Pfanne. Oder auch einfach Geld. Das ist wenig zauberhaft und vielleicht sollte man versuchen, den Zauber zurück in den Wunschzettel zu bringen. Weil wir alle nicht mehr an das Christkind glauben, bräuchte es ein alternatives Wunschzettelkonzept. Eins für Erwachsene. Und es könnte so gehen:  

A und B sind ein Paar und beschenken sich zu Weihnachten eigentlich sehr gerne. Aber es fällt ihnen nicht leicht. Entweder sind sie kurz vor dem Fest sehr verzweifelt, weil sie vorweihnachtlich gestresst etwas besorgen müssen und beim dicken Pullover oder dem obligatorischen Buch landen. Oder ihnen fällt auf die Schnelle nur etwas sehr Nützliches oder Teures ein, obwohl sie lieber etwas ganz Eigenes und Besonderes geschenkt hätten. Oder sie erinnern sich nicht mehr, was dem anderen letzten Juni oder Juli so gut gefallen hat, obwohl sie damals sofort „Top Geschenk!“ gedacht haben. Natürlich ist das alles nicht so schlimm. Aber trotzdem haben A und B ein Experiment gewagt, damit es noch weniger schlimm wird.  

Letztes Jahr an Weihnachten haben sie beschlossen, das ganze Jahr aufmerksam zu sein und den inneren Geschenkesensor anzustellen, der etwas, das gesagt oder getan wurde, in eine gute Geschenkidee verwandelt. A und B notieren sich für den jeweils anderen zum Beispiel, was sie/ihn irgendwann oder irgendwo begeistert hat; wovon er/sie aufgeregt erzählt hat; was er/sie mag; was ihn/sie stresst oder ärgert; in welchem Moment er/sie besonders entspannt war. Kurz vor Weihnachten nehmen sie sich einen Nachmittag Zeit, die Notizen zu sichten und schreiben sich gegenseitig einen Wunschzettel. Der eine schreibt alles auf, was seiner Meinung nach gut zu dem anderen passen, ihm gefallen oder guttun würde. Bis zu 20 Wünsche dürfen auf dem Zettel stehen. Sie müssen unabhängig vom Eigeninteresse und nicht alle bezahlbar oder realistisch sein. Deswegen schreibt A trotz ihrer Katzenhaarallergie „Katze“ auf Bs Zettel und B notiert eine Reise auf As Zettel, die sie sich im Moment überhaupt nicht leisten kann. Das macht nichts, denn bei 20 Wünschen sind immer auch ein paar dabei, die man sich sofort erfüllen kann. Wichtig ist, dass B und A sich Gedanken über den machen, den sie gut kennen und sehr mögen.  

Am Heiligen Abend gibt es bei A und B keine Päckchen, sondern Wunschzettel. Auf denen steht, was der eine glaubt, was der andere sich wünscht. Und im besten Fall steht zwischen den Zeilen, dass A verstanden und bemerkt hat, was B bewegt, interessiert und guttut, und umgekehrt. Das ist schön und feierlich. A und B gehen gemeinsam ihre Zettel durch und sagen sich, welcher Wunsch genau ihnen entspricht, welcher überhaupt nicht und welcher besonders gut ist, obwohl sie selbst nie darauf gekommen wären. Damit es dann doch noch Geschenke gibt, erfüllt sich jeder jeweils einen Wunsch von der Liste, die er geschenkt bekommen hat, selbst. Aber erst nach Weihnachten. Das Beste an dem Wunschzettelkonzept ist nämlich vielleicht, dass man nicht ausgerechnet dann Geschenke kaufen muss, wenn es alle tun. 


Dieser Text stammt von nadja-schlueter

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