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Sommer am Baggersee
Anlässlich des 30. Jubiläums von SZ Jetzt holen wir einige Texte, die uns besonders im Gedächtnis geblieben sind, noch einmal aus dem Archiv hervor. Dieser ist einer davon. Er erschien im Jahr 2001 im gedruckten jetzt-Heft.
Allen anderslautenden Behauptungen zum Trotz haben wir Deutschen etwas extrem Mediterranes. Das haben wir, neben ein paar Ruinen und komplizierten Fremdwörtern, den alten Römern zu verdanken, die hier zwar nie richtig heimisch und irgendwann mit Pauken und Trompeten wieder rausgeschmissen wurden – ihre Alten, Kranken und die, die zu Hause ohnehin nur von den Löwen erwartet wurden, blieben jedoch zurück. Und mit ihnen die Sehnsucht nach Sonne, Meer und einem süßen Leben voll Übermut und Melancholie. Sie ist nie ganz verflogen, gebar im Laufe der Jahre manchen Irrsinn, aber auch: die wunderbare Einrichtung des Baggersees.
Sicher, Baggerseen haben keine Brandung, die Strände sind selten aus weißem, feinem Sand, und das Wasser ist nicht wirklich blau. Doch derlei Kleinigkeiten werden durch das Nichtvorhandensein giftiger Seeigel, gefährlicher Felsen und schamloser italienischer Halbstarker locker aufgewogen. Außerdem finden sich allenthalben herrliche Spiel-Gelegenheiten: ein dicker, weit übers Wasser ragender Baum etwa, an dem die Jungs den Mädchen eine Wasserschaukel knüpfen oder eine Liane, um sich tarzangleich ins Nass zu schwingen. Oder jener verlassene, alte Schaufelbagger, der den See einst aushob und nun den waghalsigsten Climb-and-Jump-Abenteuern herausfordert.
Der kühnste Springer wird zur Belohnung vom schönsten Mädchen eingecremt, während die anderen das Feuer fürs abendliche Würstchengrillen schüren oder geschwind mit der Vespa zur nächsten Tankstelle düsen, um einen Schwung Sixpacks zu besorgen. Und dann sitzen wir bis spät, hören Madonna und blicken im fahlen Schein der Abenddämmerung über den See und noch weiter. Kein dickbauchiger Tourist, kein Schwimmbadzaun verengt unserer Seele die Perspektive. Die Welt gehört uns. So wie sie einst den Römern gehörte.