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"Ich konnte nicht das Maximum fordern"

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"Immer ging es mir um Chancengleichheit – als Frau und um soziale Gerechtigkeit in der Gesellschaft. Mit meinen drei Geschwistern habe ich früh Benachteiligungen spüren müssen und auch schon immer in Initiativen, Bewegungen, Verbänden dagegen angekämpft. Während der Schulzeit meiner Kinder habe ich die soziale Ungerechtigkeit im Schulsystem wieder erfahren müssen und bin an „gläserne Decken“ gestoßen. Das war für mich der Punkt, in DIE LINKE einzutreten, um parlamentarisch für Chancengleichheit zu wirken.

Dabei gibt es im Leben einer Politikerin Momente, in denen der eigene politische Wille mit dem alltäglichen Politikbetrieb zusammenstößt. Als ich 2009 in den Deutschen Bundestag gewählt wurde, dachte ich: Jetzt kann ich richtig loslegen und meine Erfahrungen aus der Landespolitik auch auf Bundesebene umsetzen.

Immerhin hatte ich mich schon als Landesvorsitzende der LINKEN in Rheinland-Pfalz durch einige Schwierigkeiten gekämpft, die bei der Neugründung einer Partei notwendigerweise auftreten. Mir war es von Anfang an wichtig vor Ort zu sein und mit den Menschen persönlich ins Gespräch zu kommen. Mit den MitstreiterInnen in der Landespartei ebenso, wie mit den Wählerinnen und Wählern in Rheinland-Pfalz, für die wir Politik machen. Nach wie vor bin ich davon überzeugt, dass nur so innerparteiliche Missverständnisse auszuräumen sind.

Doch wie verschieden sind doch Landes- und Bundespolitik. In der Bundestagsfraktion übernahm ich die Positionen der pflegepolitischen und der medienpolitischen Sprecherin. Auf beiden Feldern kamen mir meine politischen Erfahrungen und meine beruflichen Tätigkeiten in Wissenschaft und Wirtschaft sehr entgegen. Aber schon bald stieß ich wieder an „gläserne Decken“. Mir wurde klar, dass ich als Parlamentarierin anderen politischen Gesetzen unterworfen war. Es geht dabei nicht nur um die Fülle des abzuarbeitenden Materials, um die Abwägung verschiedener Standpunkte und um die Rücksichtnahme auf unser parteipolitisches Profil. Es geht vor allem um Glaubwürdigkeit, sowohl gegenüber meinen Fraktionskollegen als auch und besonders gegenüber den Wählerinnen und Wählern vor Ort.

Ich konnte schnell feststellen, dass die Pflege kranker oder alter Menschen eines der wesentlichen Zukunftsthemen unseres Landes sein wird. Und über die Darstellung und Berichterstattung von Politik in den Medien muss sich sowieso andauernd verständigt werden, weil man nur so begreifen lernt, wie Politik kommuniziert wird. So ist für mich ein Tanz auf zwei Hochzeiten entstanden, der immer wieder professionell unter einen Hut zu bringen ist.

Die tagespolitische Parlamentsarbeit darf aber meiner Meinung nach nicht dazu führen, die größeren politischen Zusammenhänge und die Befindlichkeiten der von uns vertretenen Menschen, die in einem Klima der sozialen Kälte ansonsten überhaupt nicht mehr gehört werden, zu vergessen. Wenn der Soziologe Max Weber einmal formuliert hat, dass Politik das mühselige Bohren harter Bretter ist, so kann ich das nach über einem Jahr im Bundestag durchaus bestätigen. Und in gewissem Sinne habe ich hier auch meine politische Unschuld verloren, denn es gibt immer Situationen, in denen ich leider nicht das Maximum dessen einfordern kann, was meiner politischen Haltung entspricht.
Allerdings kann ich mit Bestimmtheit sagen, dass ich in meiner Tätigkeit im Parlament nie aus den Augen verloren habe, wofür wir eigentlich linke Politik machen. Es soll den Menschen besser, nicht schlechter gehen. Die Gesellschaft muss sozial gerecht gestaltet werden, sonst bricht sie auseinander. Der Blick aus den Parlamenten ins alltägliche Leben, immer wieder mit Neugier und Realitätssinn, ist für mich unabdingbar, um wirklich als Volksvertreterin Geltung zu beanspruchen. Als Neuling im Deutschen Bundestag habe ich auch dafür Solidarität, Zuspruch und Rat von Genossinnen und Genossen erfahren, die ich vorher kaum kannte und die in ihren Landesverbänden ähnliche Kämpfe wie ich durchzustehen hatten.

Es ist richtig: Wir bohren im Bundestag die harten Bretter. Zum Bauen verwendet werden sie jedoch „draußen“ im Lande. Mit guter inhaltlicher Arbeit möchte ich dazu beitragen, dass eine Gesellschaft entsteht, die auf einem soliden, sozial gerechten Fundament steht. Der Verlust politischer Unschuld kann auch dazu führen, die eigenen Kräfte realistisch einzuschätzen, zu bündeln und an den richtigen Stellen einzusetzen."

Zum einführenden Text der Geschichte "Das Ende der Unschuld" geht es hier. Zur Übersicht mit den 20 Abgeordneten, die über ihre Ernüchterung in der Politik erzählen oder schreiben, kommst du hier.



Text: jetzt-Redaktion - Illustration: Katharina Bitzl

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