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Baby, Baby
Seit Sebi und ich zusammengezogen sind, sind Babys ein Thema. Genaugenommen waren sie auch schon einige Monate vorher ein Thema, als Sebi das Zusammenziehen zur notwendigen, aber (wie ich später erfuhr) nicht hinreichenden Bedingung für Babys erklärte.
Ich war ein ungeplantes Baby, Sebi war ein ungeplantes Baby. Und so kommt es, dass wir beide zwar schon stramm auf die 30 zumarschieren, unsere Eltern aber gerade mal 50 sind. Das ist super, denn mit Papa kann man noch gut den Kühlschrank ins Haus tragen und mit Mama Klamotten tauschen.
Meine Eltern sind vermutlich ein Extrembeispiel, bei denen waren drei von fünf Kindern ungeplant. Aber auch sonst höre ich schon mein ganzes Leben von Babys, die „dazwischenkamen“, „einfach so passiert sind“ oder sogar reichlich unhöflich als „Unfälle“ bezeichnet werden. In der Jugend war dementsprechend große Panik angesagt, die dazu führte, dass meine Freundinnen und ich in der Drogerie Stammgast waren, verschämt Schwangerschafstests und irgendwelchen anderen Quatsch (damit der Test nicht so auffiel) kauften und ein ums andere Mal Angst vor dem zweiten Strich hatten – der am Ende nie erschien. Logischerweise. Denn Schwangerschaftstests (zwei hintereinander, doppelt hält besser) wurden bereits anberaumt, wenn eines der drei Verhütungsmittel versagt hatte: Zum Beispiel, wenn man ein Kondom benutzt hatte und absolut sicher außerhalb der fruchtbaren Tage lag – aber die Pille vergessen hatte.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Dass wir jetzt im besten Alter für Nachwuchs sind, müsste eigentlich auch Sebi aufgefallen sein. Bei den Familienfesten, die ja immer so schön anzeigen, in welcher Phase des Lebens man sich gerade befindet, gab es nämlich einen markanten Führungswechsel von Konfirmation und Firmung hin zu Hochzeit und Taufe.
Sebi hat keine Eile, sich dieser Massenbewegung anzuschließen, weil er Massenbewegungen grundsätzlich verachtet. Genau das hatte ich in den letzten Jahren schon befürchtet: dass aus einem „Jetzt ist es noch zu früh“ ganz schnell ein „Jetzt ist es zu Mainstream“ werden könnte und das minimale Zeitfenster dazwischen außerhalb meiner fruchtbaren Tage liegen würde. Da wir uns darüber, dass wir generell Kinder haben wollen, ja schon einig sind, bliebe dann nur noch eines übrig – meine Horrorvorstellung vom Kinderkriegen: Eine 40-jährige Latte-Macchiato-Mutter zu werden. Es tut mir Leid, dass ich dieses Klischee hier bemühen muss, aber ich habe in Berlin gewohnt und: Ja, es gibt sie wirklich!
Ich weiß, wir haben nicht sonderlich viel Geld und ein Kinderzimmer fehlt in der momentanen Wohnung auch noch, aber bedingt durch meine eigene Sozialisation mit Studenten-Eltern, deren Freunden und Nachbarn, Urlaub bei Oma und Opa und einem Zimmer gemeinsam mit meiner Schwester kann ich nur sagen: Für mich darf Kinderhaben ruhig ein bisschen Rock’n’Roll sein! Yo!
Für Rock’n’Roll ist Sebi dann auf einmal auch zu haben. Und deshalb sagt er, seit wir zusammenwohnen: „Man muss ja nichts planen. Aber wenn etwas Ungeplantes passieren würde, wäre das schon okay. Yo!“ Einige Jahre nach der Phase mit den doppelten Schwangerschaftstests gab es bei mir jedoch einen weiteren markanten Führungswechsel von der Frage „Hilfe! Bekomme ich jetzt ein ungeplantes Baby?“ hin zu „Äääh... ein ungeplantes Baby? Wie bekommt man das überhaupt?“
Alle Jugendlichen auf dieser Jugendseite bitte mal weghören, aber schwanger zu werden ist doch wirklich ziemlich unwahrscheinlich! Ich meine, Verhüten ist nicht schwer. Es passiert mir nicht, die Verhütung aus Versehen zu vergessen, ich muss sie schon mit Absicht vergessen. Es passiert mir auch nicht, mich aus Versehen zu verrechnen, ich muss mich schon mit Absicht verrechnen. Beides würde ich eher zur Kategorie „Planung“ als zur Kategorie „Nicht-Planung“ zählen. Obendrauf kommt dann auch noch eine völlig unkalkulierbare Variable von Spermium-Geschwindigkeiten, Schleim-Zuständen und reinem Zufall. Also, da kann mir doch keiner erzählen, dass er ständig ungeplante Babys in die Welt setzen würde!
Lieber Sebi, ich find dich gut! Ich will gerne wissen, wie unsere Babys aussehen, ich habe Lust, in unserer Wohnung eine Wiege aufzubauen, im Garten zu spielen und für immer auf jemanden aufzupassen. Wir gehören zu einer Generation, die immer dreifach verhütet und zweifach Schwangerschaftstests gekauft hat; wir müssen wahrscheinlich auch unsere ungeplanten Babys planen!
Auf der nächsten Seite: Sebastian über das endgültige Ende der eigenen Kindheit und das Ende der Argumente gegen das Kinderkriegen.
Zum Thema Kinder und Zusammenziehen schreibt Sebastian:
Dass unsere Generation keine Kinder mehr bekommt, schreibt man ja gern der weiblichen Emanzipation zu. Dass die Frauen jetzt studieren dürfen und nicht mehr auf ihr Dasein als Hausfrau und Mutter beschränkt sind, das habe man sich eben mit dem Untergang unserer Gesellschaft erkauft, hört man es süffisant an der Theke tuscheln. Die Damenecke erwidert dann, dass es genau umgekehrt sei: Dass die heutige Generation von Männern eben alle unter Bindungsängsten litten und sich erst zum Kinderkriegen entscheiden würden, wenn die weiblichen Eier alt oder gleich ganz verbraucht wären.
Wer und ob überhaupt jemand in diesem Streit recht hat, ist schwer zu sagen. Es ist aber ohnehin müßig darüber zu streiten. Denn Fakt ist, dass es eh längst zu spät ist: Der Mangel an Kindern wird sich nicht mehr umkehren lassen und das bedeutet, dass wir aussterben werden. Finde ich eigentlich auch nicht so schlimm, wäre da nicht diese ärgerliche Übergangszeit von kollabierenden Sozialsystemen und Fernsehprogrammen, die für einen Durchschnittszuschauer von 64 Jahren gemacht werden.
So oder so ähnlich sehen dann meist die Gespräche aus, die Nadine und ich mit einer eigentlich ganz privat begonnenen Frage nach den eigenen Familienplänen führen. Typisch postmodernes Meta-Gehabe eben. Vielleicht ganz insgeheim aber auch ein klein bisschen Schutz vor den eigentlichen Fragen...
Und zugegeben: Mir fällt es nicht ganz leicht, darüber nachzudenken. Natürlich stand für mich schon immer fest, dass ich irgendwann mal Kinder will. Und natürlich werde ich traurig, wenn ich auf dem fünfzigsten Geburtstag meiner Mutter mit meinem Bruder über meinen bevorstehenden dreißigsten spreche und merke, dass meine Kinder auf meinem fünfzigsten im besten Fall über ihren Führerschein und im schlechtesten über ihre Einschulung reden können. Ich genieße es ja selbst, junge Eltern zu haben, und hielt mich auch immer für einen Kandidaten, der dieses Modell mal leben würde. Unter einem der letzten Texte warf mir Userin chrinamu vor, ich würde meiner längst vergangenen Kindheit nachtrauern. Es ging zwar um ein völlig anderes Thema (ich glaube ums Essen), aber ganz Unrecht hatte sie damit natürlich nicht und ich fühlte mich schon ein bisschen ertappt. Es gibt eben kein definitiveres Ende der eigenen Kindheit als selbst Kinder zu bekommen. Sorry! Da kriegt man halt Angst!
Als Nadine vor einigen Jahren damit begann, über eigene Kinder zu sprechen, dachte ich, es sei nur eine Laune. Als die Laune zur Regel wurde, vermutete ich, dass sie einem Trend ihres Umfelds nachliefe. Aber nachdem die "Trendkinder" sprechen konnten und damit begannen, sich morgens alleine auf den Weg zum Kindergarten zu machen, sprach Nadine noch immer von nichts anderem. Unsere Lebenssituation erstreckte sich über viele hundert Kilometer und ich führte an, dass das nicht gerade das geeignete Umfeld für Nachwuchs sei – aber seitdem Nadine und ich zusammen wohnen, gehen mir und meinen Ängsten natürlich langsam die Argumente aus.
Und ja, vielleicht würde es uns Generation-Y-Yuppies, die sich ständig um sich selbst drehen, einfach mal gut tun, sich auch noch um was anderes kümmern zu müssen. Vielleicht würden wir aufhören, Lebenspläne zu machen und anfangen zu leben. Vielleicht würden wir das alles schon irgendwie hinbekommen, trotz der finanziellen Sorgen und der eigenen gefühlten charakterlichen Unfertigkeit. Denn wenn wir ehrlich sind: Es hat doch immer genauso funktioniert. Nadine und ich wurden selbst von bitterarmen Eltern großgezogen, die noch studierten und irgendwie sind wir auch groß geworden. Als ich meinen Vater mal gefragt habe, wie es eigentlich damals zu mir gekommen sei und wie der Plan dazu ausgesehen habe, da hat er gesagt: "Du warst ziemlich ungeplant, aber nicht unwillkommen." Irgendwie schön, so was als Kind zu hören. Vielleicht können wir später mal was Ähnliches erzählen! Yo!
sebastian-hilger
Text: nadine-gottmann - Illustration: Yinfinity