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Freunde-Typologie: Heute: Der Freund, mit dem eigentlich was geht
Rob war acht Jahre älter als ich und Skipper auf einem der Segelboote in Australien, auf denen ich als Hostess arbeitete. Wir verstanden uns von Anfang an. Schon nach dem ersten gemeinsamen Trip trafen wir uns auch an Land regelmäßig, um Ausflüge zu unternehmen oder zu kochen. Wir fuhren mit anderen Freunden zu versteckten Wasserfällen, rollten Sushi, führten tiefsinnige Gespräche über die Menschen und das Leben und gingen abends zusammen feiern. Es war immer entspannt. Unsere Blicke waren allenfalls kieksig, wenn sie sich intensiver trafen, niemals flirtend oder begierig. Rob übernahm vielmehr die Rolle eines großen Bruders oder eines langjährigen Kindheitsfreundes, als die eines zukünftigen Lovers. Zumindest redete ich mir das ein. Wir lästerten über Jungs, den die Schmierlappenidentität ins Gesicht geschrieben stand und diskutierten, was einen anständigen Jungen ausmacht - ich sprach so offen und unbedacht mit ihm, wie mit meiner besten Freundin und fühlte mich immer wohl und sicher in seiner Gegenwart. Nie empfand ich ihn als aufdringlich. Er bot mir an, jederzeit in sein Haus zu gehen - auch wenn er auf See war. „Mein Zuhause ist dein Zuhause“, beteuerte er. Ich kam trotzdem nur, wenn er da war. War es dann zu spät, um heim zu fahren, schlief ich in seinem Bett - so wie man es eben manchmal bei guten Freunden tut. Mit dem einzigen Unterschied, dass es fortan fast jede zweite Nacht „später“ wurde und Rob und ich morgens immer eng umschlungen aufwachten. Schließlich unterhielten wir uns darüber, wie man das wohl nannte, was wir hatten. Wir beweihräucherten unseren Glauben daran, von welch unschuldiger Natur unsere Beziehung zueinander war. Wir waren eben ziemlich gute Freunde, die sich auch mal vertraut in den Armen liegen konnten. Kuscheln ist schließlich gut für die Seele. Überhaupt empfanden wir Menschen, die ihre Anwandlungen immer gleich in Schubladen stecken mussten, als angstregierte, scheuklappenbehängte Idioten. Was zwischen uns ablief, war einfach nur ,total besonders‘ - kein Wunder, fanden wir, dass es niemand verstand. Tatsächlich: der Gedanke daran, Rob so anzufassen, dass es mit einer harmlosen Umarmung nichts mehr zu tun hatte, törnte mich ab. Ich sagte ihm das und er pflichtete mir ausdrücklich bei. Ihm ginge es ganz genauso. Ich glaubte ihm. Bis ich einige Nächte später plötzlich merkte, dass sich doch etwas veränderte: sein Blick lag jetzt immer eine halbe Sekunde zu lang auf meinen Lippen, wenn ich etwas erzählte. Seine Stimme klang weicher und beinahe sehnsüchtig, wenn er antwortete. Seine Nase rückte mehrere Male zu weit und zu auffällig unaufällig in Richtung meiner Mundwinkel, so dass ich schließlich meinen Kopf wegdrehte. Ich hielt die Luft an. Da krachte sie eisig herein: die Gewissheit, dass es nun an mir lag, was aus uns wurde. Schmuddelig taute dieses Wissen jetzt zwischen uns auf der Matratze und mir fiel nichts Besseres ein, als es zu überräuspern und hektisch in meinem dumme-Witze-Repertoire zu wühlen. Ich fand einen und schmiss ihn wie ein Handtuch über das blöde Gefühl. Kaschiert, in trockenen Tüchern - alles sollte gefälligst wie immer sein.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
"Nein, nein, nein. Da geht nichts, unser Verhältnis ist auf einer ganz anderen Ebene, wir sind uns eben wahnsinnig vertraut, mit Sex hat das echt nichts zu tun“, krächzte ich aufgeregt in den abgegrabbelten Telefonzellenhörer, der mich mit meiner besten Freundin in Deutschland verband. Sie lachte laut und spöttisch. Dass ich das doch selbst nicht glaubte. Stimmte - und es tat weh, sie das sagen zu hören. Es bedeutete nämlich: Beende dieses unausgeglichene Verhältnis, bevor einer heult.
Selbst, wenn ich mich unter Einfluss diverser Mischgetränke auch schon dabei ertappt hatte, Rob‘s Lippen etwas länger zu betrachten, oder seine Hand etwas weiter unter mein T- Shirt zu schieben - ich ließ es nie zum Äußersten kommen. Ich stand einfach nicht auf ihn. Wenn ich seine Hände auf meinem Bauch insgeheim ein bisschen elektrisierend fand, lag das nur daran, dass ich merkte, den Status einer wertvollen Perle in seinem Leben einzunehmen - eine, die er zwar bewundern, nie jedoch ganz besitzen konnte. Ich fühlte mich so außergewöhnlich und begehrenswert in Rob‘s Umgebung - dass das ein mies erschlichenes, falsches Selbstbewusstsein war und ich in meiner Selbstsüchtigkeit im Begriff war, einen anständigen Menschen zu verletzen, wollte ich mir um keinen Preis eingestehen.
Verschlossener Augen führten wir unser Verhältnis wochenlang so fort, bis Rob eines Tages ein englisches Mädchen von einem seiner Trips nach Hause brachte. Sophie war jetzt seine Freundin. Stück für Stück distanzierte ich mich von ihm. Ich ertrug kein anderes Mädchen neben mir, so sehr ich ihm jemanden gönnte. Schließlich traf ich Logan, einen Jungen, mit dem ich schon nach kurzer Zeit plötzlich all das wollte, was ich mit Rob nie gewollt hatte. Und tat es. Als ich Rob davon erzählte, fing er an zu zittern. Tränen schossen ihm in die Augen. Er kündigte mir auf der Stelle die Freundschaft. „Du warst doch der, der plötzlich eine Freundin hatte“, schmiss ich ihm völlig erschrocken und trotzig entgegen. „Aber nur, weil ich mich damit abgefunden habe, dass du mich nicht wolltest – ich hätte mich jederzeit für dich von Sophie getrennt!“
Zu diesem Zeitpunkt blieben mir noch eineinhalb Wochen - dann sollte ohnehin mein Weiterflug stattfinden. Langsam packte ich meine Sachen zusammen. Jetzt, da alles vorbei war, ratterte ich mir die ganze Wahrheit hinunter. Ich schämte mich. Eine meiner Schulfreundinnen hatte die hoffnungslose Liebe ihres sogenannten ,besten Freundes‘ jahrelang so schamlos zu -meiner Meinung nach - puren Selbstbestätigungszwecken ausgenutzt, dass ich sie dafür verachtet hatte - und jetzt sollte ich selbst eine so hinterlistige Schlange gewesen sein? Es mit Naivität zu entschuldigen, hätte der Verlogenheit die Krone aufgesetzt. Eine leise Ahnung war doch schon von Beginn an in mir aufgekeimt, wenn ich sie auch gut zu verdrängen gewusst hatte. Und spätestens seit ich das zweite Mal bei Rob übernachtet hatte, wusste ich was Sache war.
Voller Reue schob ich das Tagebuch der letzten vier Monate in die unterste Ecke meines blauen Rucksacks und schwor mir, dass es ab jetzt in allen Jungsfreundschaftsangelegenheiten nur noch ,Ja‘ oder ,Nein‘ geben würde. Dass das mit dem ,Vielleicht‘ schon in der Grundschule die mieseste Antwort von allen gewesen war, hätte ich eigentlich damals bereits verinnerlichen sollen.
Text: martina-holzapfl - Illustration: Katharina Bitzl