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Freunde-Katalog. Heute: Der Freund, der keiner sein will
Ich lernte Jonas bei einem Interview kennen, das ich mit ihm führte, weil er Produktdesigner war und als solcher gerade einen Nachwuchspreis gewonnen hatte. Er war zwei Jahre älter und seine Entwürfe fand ich unheimlich interessant. Jonas selber war wahnsinnig nett und lustig, das Interview dehnten wir in seiner Werkstatt nahtlos auf ein abendliches Trinkgelage aus und unser Gespräch war dabei bis spät beseelt vom Gleichklang und gegenseitigem Wohlwollen. Ich ging inspiriert und froh über diesen geistreichen Abend den ganzen Weg zu Fuß nach Hause, vier U-Bahnstationen, und erzählte meiner Freundin ausführlich wie toll es war und dass sie ihn unbedingt auch kennenlernen müsste. Es kam mir vor, als hätte ich lange nicht so viel kreativen und klugen Input gehabt und war dankbar dafür. Solche Freundschaften schwebten mir vor, bei denen man sich gegenseitig vorantreibt mit Begeisterung und Enthusiasmus. Vielleicht war ich auch so glücklich, weil das Freundefinden mit dem Älterwerden irgendwie ein wenig nachlässt. Man lernt zwar schon noch ständig Leute kennen, aber entweder ist die Zeit zu knapp oder die Notwendigkeit nicht mehr klar - jedenfalls sind kaum mehr richtige Freunde dabei. Die richtigen, das sind die aus der Schule, aus der Köln-WG, aus der Band. Alles lange her. Aber jetzt, mit Jonas, hatte ich so ein unerschöpfliches Gesprächsthema und so viele Horizonte abgesteckt, das musste einfach intensiviert werden. Am nächsten Tag schickte Jonas eine Mail, dass wir das doch dringend wiederholen sollten und das taten wir auch, zwei Wochen später. Am liebsten wäre ich wieder in seine kleine Hinterhofwerkstatt gekommen, ich fand es super dort zu sitzen, an dem überlangen Tisch den Jonas sich selber gebaut hatte, umgeben von Stuhlskeletten und Holzproben. Das war so ehrlich und für mich irgendwie ein Privileg. Aber Jonas wollte in eine Kneipe, also trafen wir uns da. Wieder sprachen wir über Design, wobei er auf diesem Feld natürlich schon viel weiter gedacht hatte als ich, deswegen hinkte ich mit meinen Beiträgen diesmal etwas hinterher. Noch vor zwölf wurden die Gesprächspausen größer und wir sahen uns müde an. Immer noch wusste ich fast nichts über ihn, jenseits seines Berufes, nicht mal ob er eine Freundin hatte. Es hatte sich nicht ergeben, ihn danach zu fragen, während ich aber schon großzügig über meinen Job, den Streit mit meinem Vater und die Magisterarbeit meiner Freundin erzählt hatte. Ich lag offen vor ihm und es fühlte sich gut an. Das Interview mit ihm erschien bald darauf und Jonas bedankte sich sehr dafür, fand es gut gelungen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Drei Wochen später feierte ich Geburtstag mit einer Party, bei der ich alle Freunde und Bekannten eingeladen hatte, die in der Stadt waren. Ohne zu Zögern schickte ich auch an Jonas eine Einladung und freute mich sehr auf sein Kommen. Jonas sagte ab, hatte keine Zeit. Das schrieb er aber erst zwei Tage nach der Party. Keine große Sache, kann ja immer passieren, ich fand es nur insgeheim so schade. In der Folgezeit schickte ich ihm manchmal Artikel, die ich interessant fand, gratulierte ihm am Telefon, als er ein Stipendium der Stadt bekam und besuchte ihn schließlich am Tag der Offenen Werkstätten, den das Viertel veranstaltete. Durch den Raum, in dem wir vor zwei Monaten einen fabulösen Abend hatten, schleusten sich jetzt die Besucher und Jonas erklärte ihnen seine Entwürfe und Arbeitsschritte. Als er mich sah, winkte er, gab mir die Hand und entschuldigte sich gleich wieder im Weitergehen, weil so viel los war. Auch das war irgendwie klar, aber trotzdem hatte ich gedacht, dass ich bei diesem öffentlichen Termin ein wenig privater empfangen würde. Immerhin... ja, was eigentlich? Hatte ich überhaupt schon freundschaftliche Rechte an ihm?
Auf dem Heimweg in der U-Bahn kam mir an diesem Abend zum ersten Mal die Idee, dass diese Bekanntschaft vielleicht mit zwei ziemlich unterschiedliche Euphorien getroffen wurde. Während ich Jonas im Geist schon zu meinem Freundeskreis zählte, kam mir sein Entgegenkommen nun eher vage vor. Seine Antworten auf meine Mails waren einsilbig und trafen drei Tage später ein. Seit unserem zweiten Trinkabend hatte er keine weiteren Treffen vorgeschlagen. Wären wir ein Liebespaar gewesen, wären das recht eindeutige Anzeichen. Aber unter Jungs, die sich einmal doch so hervorragend verstanden hatten? Wir mussten doch Freunde werden! Ich wollte es nicht anders fassen. Ich wollte diese Freundschaft.
Klar überdachte ich im Anschluss an diese unangenehmen Gedanken mich selber. Wie war ich eigentlich als Freund? Welchen Mehrwert hatte ein lockeres Zusammensein mit mir für andere? War ich dabei langweilig, verkrampft, irgendwie unecht - also all die Dinge die ich mir ganz im Stillen manchmal vorwarf? Oder hatte ich etwas Falsches gesagt? Jetzt erschienen mir meine Witze und Sprüche an jenen Abenden als unvorsichtige Lockerheiten, mit denen ich vielleicht alles ruiniert hatte. Konnte das sein? Konnte es wirklich sein, dass ich vielleicht selber kein Mensch war, mit dem ich gerne befreundet wäre? Eine sehr unbequeme Überlegung. Übervorsichtig ließ ich den Kontakt zu Jonas ruhen, konzentrierte mich in den nächsten Wochen auf meine alten Freundschaften, versuchte dabei immer zu ergründen, wie sie funktionierten und warum, was beide Teile dazu gaben. Zum Glück war da alles wie üblich, die Freunde freuten sich ehrlich, mich zu sehen und ich war einfach wie immer, weil ich gar nicht anders sein konnte.
Jonas meldete sich irgendwann wieder und fragte, ob ich eine Ankündigung für eine Vernissage in der Zeitung unterbringen konnte. Er würde sich auch freuen, mich endlich wieder zu sehen, stand da als letzter Satz. Unterbringen konnte ich nichts, aber ich besuchte die Vernissage. Jonas und ich plauderten fröhlich, aber ich merkte, dass er mich nach Sachen fragte, die ich ihm längst erzählt hatte. Er hatte sie vergessen, genau wie ich immer vergesse, was die beiden netten Mädchen aus der WG in der Nachbarwohnung studierten. Es ist dieses Bekanntenwissen, dass man eben immer wieder im Smalltalk auffrischt, wenn man sich alle zwei Monate mal sieht. Freundewissen geht anders, da muss kaum aufgefrischt werden, stattdessen kann man direkt an der Stelle weiterreden, an der man sich das letzte Mal verabschiedet hat.
Mit Jonas und mir sollte es nicht so sein, obwohl ich immer noch gerne seinen Blog lese und seine Entwürfe stolz vorzeige, wenn sie irgendwo abgebildet sind. „Das ist so ein Designer, den ich recht gut kenne.“ sage ich dann und immer zwickt es dabei in der Magengegend. Kumpel, hätte ich so gerne gesagt.
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Der verstoßene Freund
Der beste Freund
Die neue Freundin
Alle Texte findest du im Label Elf Freunde
Text: fabian-fuchs - Illustration: Katharina Bitzl