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Er war mein bester Freund
Es gibt die Freundin, der man nur online hallo sagt. Es gibt den Freund, den man eher nebenbei kennenlernt, weil man in der ersten Vorlesung neben ihm zum Sitzen kam. Und es gibt den Freund, dem man nur einmal in der Woche beim Fußball begegnet. Wir haben die elf wichtigsten Freunde-Typen ausfindig gemacht und stellen sie in einer losen Serie auf jetzt.de vor. Philipp Mattheis eröffnet die Reihe mit seinem Text über den "besten Freund".
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Dank Wulli kenne ich den Unterschied zwischen einem sowjetischen T-34 und einem deutschem Tiger. Der Tiger ist dem T-34 technisch überlegen: Er hat eine größere Kanone, verfügt über eine stärkere Panzerung, fährt aber langsamer. Die Wehrmacht hatte trotz des Tigers keine Chance, weil der T-34 einfach in viel größeren Stückzahlen produziert wurde.
Für einen Achtjährigen wusste Wulli wirklich gut Bescheid über die Wehrmacht. Er kannte außerdem sämtliche Flugzeugtypen (Messerschmidts, Junker und Henkel) und konnte die Top Ten der beliebtesten Handfeuerwaffen aufsagen. Auf dem Dach im Speicher hatten Wulli und sein Vater ein Zimmer mit kleinen Panzermodellen, Miniaturartillerie und liebevoll mit Camouflagemuster bemalten Soldaten. Für einen Jungen wie mich, dessen Eltern lange überlegen mussten, ob ein Playmobil-Indianer nicht die Gewaltbereitschaft ihres Kindes fördere, war Wullis Waffensammlung ein Paradies. Sein Charakter trug dabei kaum martialische Züge: Er hatte Angst vor Wasser, lief bei Pausenhof-Schlägereien als Erster weg und litt im Schullandheim an fürchterlichen Heimwehattacken. Wulli und ich teilten auch ein Drittel des Schulwegs, ein ausgeprägtes Interesse an Comics und eine Abneigung gegen Mädchen. Wir waren beste Freunde.
Heute habe ich keinen besten Freund mehr. Weniger fehlt die Person, vielmehr habe ich den Begriff "bester Freund" aus meinem Vokabular entfernt. Ich habe mich von der Kategorie verabschiedet. Älterwerden ist in den meisten Fällen mit einem Individualisierungsprozess verbunden - was darauf hinausläuft, dass man immer weniger mit einem einzigen Menschen teilt. Die Interessen spezialisieren sich, man wird inflexibler: Ich muss zum Beispiel in der Früh einen Kaffee trinken, kann in Sausolitos-Filialen beim besten Willen keinen Spaß haben und habe kein Auto, über das ich mich unterhalten möchte.
Wullis und meine Wege trennten sich mit Beginn der Pubertät. Mein Interesse an Wehrmachtspanzern erlosch genauso schnell, wie Pickel auf meiner Nase wuchsen. Wulli wollte zur Bundeswehr, ich wollte Rapper werden. Wir hatten uns nichts mehr zu sagen.
An Wullis Stelle trat Leo. Unser größtes Erlebnis war die Ranger-Prüfung. Bei der Rangerprüfung setzt man sich mit einer dicken Jacke, einer Mütze und einem Kasten Bier in die pralle Sommersonne und trinkt den Kasten Bier leer. Danach ist man "Ranger". Eine Ranger-Prüfung schweißt zusammen - Leo und ich begrüßten uns nur noch mit einem speziellen "Ranger-Gruß" und redeten auch zwei Jahre später noch davon. Dann spannte ich Leo die Freundin aus und er kündigte mir die Freundschaft. Beste Freunde sind nämlich loyal. Seitdem ist mein Freundschafts-Reservoir zersplittert wie die Persönlichkeit des Steppenwolfs: Ich habe Sportfreunde, alte Freunde, Trinkfreunde, Kollegenfreunde, Studienfreunde, Ausgehfreunde, Cliquenfreunde, Schachspielfreunde, Mitbewohnerfreunde und Freunde, die eigentlich Frauen sind. Auch mit noch so viel Anstrengung würde es nicht gelingen, all diese Attribute in einem besten Freund zu verschmelzen: Mit einem neuen besten Freund müsste ich trinken können, den Freundeskreis teilen, hin und wieder eine anspruchsvolle Diskussion am Küchentisch führen und auch mal schlecht über Frauen sprechen können. Wir sollten in derselben Stadt wohnen. Nur so könnten wir gewährleisten, dass sich unsere Freundschaft nicht nur aus Anekdoten aus der Vergangenheit nährt. Wir könnten auch gemeinsam Frauen kennenlernen, aber nie dürfte uns dieselbe gefallen. Toll wäre außerdem, wenn er sich nicht wie die meisten Jungs für Fußball interessieren und eine Abneigung gegen die Band Sportfreunde Stiller hegen würde. Es gibt ihn wahrscheinlich nicht. Außerdem ist das hier ja keine Kontaktanzeige.
Ich spiele seit längerem mit dem Gedanken, mir einen Hund zu kaufen.
Text: philipp-mattheis - Illustration: Judith Urban