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Wildnis in Vancouver - Teil 5 der Kanada-Kolumne
Nach sieben Wochen Kanada bin ich endlich, mitten in der Stadt, mit etwas Wildnis in Berührung gekommen. Letzte Nacht sind mir tatsächlich zwei Kojoten über den Weg gelaufen. Allerdings hätte ich die beiden, ohne meine Gruppe Kanadier aus der Ferne glatt für Hunde gehalten. Bei genauer Betrachtung erkenne allerdings selbst ich, dass es keine Hunde sind: Kojoten haben einen auffallend buschigen Schwanz und die beiden bewegten sich eher wie Katzen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Nicht nur ich schien bei ihrem Anblick fasziniert. Alle Autofahrer verlangsamten ihr Tempo, neugierig und respektvoll zugleich. Meine kundigen Kanadier erklärten mir, dass die beiden, abends um neun Uhr, viel zu früh unterwegs seien. Kojoten jagen nachts und in den frühen Morgenstunden (wer eine Weile in Vancouver lebt weiß, dass weder Katzen, kleine Hunde, noch Kinder im Morgengrauen unbeaufsichtigt in den Straßen und Parks von Vancouver unterwegs sein sollten). Eine Bekannte erzählt, wie sie das Kind ihrer Nachbarn früh morgens vor einem Kojoten gerettet hat. Das Kind spielte im Park vorm Haus der Eltern, die gerade von Toronto nach Vancouver gezogen waren, und bisher nie mit Kojoten zu tun hatten. Als die Kojoten, auf der Suche nach Mäusen und anderen kleinen Tieren, die Straße runter laufen und ich ihnen gebannt hinterher gucke, stellen meine Bekannten erstaunt fest, dass ich das erste Mal in meinem Leben einen Kojoten gesehen habe - erneut werde ich "Willkommen in Vancouver" geheißen. In meiner Sammlung fehlen mir noch Stinktiere, die ebenfalls häufig in der Stadt gesichtet werden, ebenso Pumas. Für den großen kanadischen Traum, den Bären, muss ich mich allerdings in die echte Wildnis wagen. Solange mir weder Bären noch Pumas über den Weg laufen, begnüge ich mich mit dem Waschbärbaby, das im Baum gegenüber meines Hauses wohnt. Überhaupt sieht man Waschbären relativ häufig in Vancouver und ich konnte schon diverse Kanadier mit dem deutschen Namen für Racoon begeistern "Washbear" wird langsam ein Running Gag. Happy Hanukkah Mein soziales Highlight war eine Einladung zu Hanukkah, dem jüdischen Lichterfest, am Wochenende. Hanukkah erinnert an das Wunder, durch das die Hebräer den Guerillakrieg um Jerusalem im Jahr 200 vor der Zeitrechnung, als die Ausübung des Judentums mit dem Tode bestraft wurde, gewannen. Hanukkah wird acht Tage lang gefeiert und fällt jährlich in die Vorweihnachtszeit. In einigen wenigen Geschäften in Vancouver habe ich bereits, in Mitten greller Weihnachtsdekoration, Schilder mit "Happy Hanukkah for our jewish friends" gesichtet. Ich lerne, dass Latkes, jiddisch für Kartoffelpuffer, mit Apfelmus und Sauerrahm ein traditionelles Gericht zu Hanukkah sind. Ebenso traditionell ist das Spiel Dreidel. Jeder Spieler bekommt einen Kreisel mit vier hebräischen Buchstaben (Nun, Gimel, Heh, Schin) und beginnt mit einer Anzahl von Münzen, alternativ Bonbons oder Spielmarken, und legt eine Münze in die Mitte. Der Jüngste dreht den Kreisel zuerst und der Buchstabe entscheidet, ob man den gesamten Jackpot kassiert, nur die Hälfte, leer ausgeht oder alle Spieler den doppelten Einsatz in die Mitte legen. Nachdem ich zunächst den Jackpot nach und nach gewinne, verliere ich am Ende - mit 40 Münzen Schulden bei der Bank. Ein beschwipster Gast scherzt, dass das die geringste Strafe für die Deutschen sei; alle lachen und stoßen an. Derlei Witze über Deutschland bin ich gewohnt. Der Abend macht Spaß, auch weil ich Rachel und ihren Freund Amir wiedersehe, die für ein Wochenende zu Besuch in Vancouver sind. Beide habe ich in Berlin kennen gelernt, mittlerweile studieren Rachel und Amir in San Francisco. Rachel ist Israelin und Tochter eines Rabbiner. Ich freue mich nicht nur Erinnerungen an Berlin auszutauschen, sondern bin auch amüsiert von der leicht überheblichen Art, die Rachel und ihr Freund, als Israelis, zeigen. Als Muttersprachler sind sie die einzigen, die die Gebete und Liedtexte richtig aussprechen und verstehen. Rachel erzählt mir später, dass sie nie so richtig weiß, wie sie mit der Unbeholfenheit der Juden in Nordamerika umgehen soll. Viele sind ohne Traditionen und religiöse Bezüge groß geworden und entdecken erst später ihre jüdische Identität. Unsere Party ist nicht die erste, auf der alle ehrfürchtig und hilflos auf Anleitung von Rachel warten. Als Tochter eines Rabbiner ist das ein Kinderspiel für sie. Immerhin verdienen sich die Kanadier an diesem Wochenende Respekt. Rachel erfährt, dass Rabbiner hier, anders als in den USA, nicht nur Hebräisch sprechen, sondern auch schreiben können müssen. So wird die Hanukkah-Party auch zu einem Lehrstück über jüdische Identität in Nordamerika.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Doch das unbestrittene Highlight der Party war die Davidstern-Brille. Mit der Brille erscheint jede Kerze und jede Lampe als Davidstern (siehe Foto). Nach mehr als einer Minute mit der Brille fühle ich mich wie auf ein LSD-Trip in "Easy Rider". Beschwingt und beschwipst ziehe ich durch die Nacht und bin am Ende froh, dass mir kein Stinktier begegnet.