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Auf meiner imaginären To-Do-Liste von Dingen, die nicht mehr erleben muss, folgt gleich nach „vom Zehn-Meter-Brett springen“ der Punkt „ein Festival besuchen“. Letztere ist rot unterstrichen, da er unter diese "der Must-Do-if-you-wanna-be-rock’n’roll-Jugendkultur"-Kategorie fällt. Während ersteres mit einem Schulterzucken quittiert wird, fasst sich bei letzteren mein Gegenüber mit beiden Händen an den Kopf, rauft sich die Haare und schreit voller Entsetzen: „Noch nieeeee? Das giiiibt’s doch nicht! Du musst unbedingt auf die Fuuuusion!“ Manchmal heißt es auch nicht „Fuuusion“, sondern „Chiemsee-Reggae“ oder ganz selten auch „Rock am Ring“. Manchmal hat das Entsetzen eine mütterliche Note, von wegen "dem armen Kind muss doch geholfen werden". Das ist zwar nett, macht meine Situation aber auch nicht besser.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich versuche deshalb jedem Festivalgespräch aus dem Weg zu gehen. Das klappt so leidlich und jedesmal, wenn es mir nicht gelingt, fühle ich mich schlecht. Ich muss daran denken, wie langweilig ich meine Eltern fand, als ich zum ersten Mal erfuhr, dass sie weder Hippies, noch Revoluzzer, noch RAF-Sympathisanten, noch Blumenkinder, noch reaktionäre Erzkonservative, sondern einfach nur Studenten waren. Das treibt mich dann immer in ein fürchterliches Kuddelmuddel der Selbstinquisition. Ich gehe meine Jugend, die frühen Jahre und die späteren Mitte 20, noch einmal durch und versuche, die Bifurkation, den Fehler ausfindig zu machen. Ich stelle mir die Frage, die mir meine Kinder und Enkel einmal stellen werden: „Opa, wo warst du damals, als alle auf der Fusion waren?“, „Papa, wie hast du dich damals entschieden? Wieso bist du nicht aufgestanden?“ und „Wieso hast du nichts unternommen?“. Ich erinnere mich an das Chiemsee-Reggae-Festival, das nicht weit von München entfernt ist. Alle meine Freunde fuhren dorthin. Jedes Jahr fragten sie mich: „Kommst du mit? Alle sind da!“ Alle waren auch da, bloß ich nicht. Einmal, erinnere ich mich, vor ein paar Jahren lag sogar eine Karte für die „Fusion“ in meinem Briefkasten. Eine Freundin hatte sie mir geschickt, eine von denen, die sich die Haare rauften und „Noch nieee?“ schrien. Sie war der Meinung, ich bräuchte nur mal einen Tritt in den Arsch. Jetzt, wo ich eine der heiß begehrten Karten schon in der Hand hielte, wäre es für mich nur noch ein ganz kleiner Schritt auch noch hinzufahren. Ich habe die Karte dann zurückgeschickt und saß das Wochenende mit einem quälenden Stachel daheim, dieser schrecklichen Angst, vielleicht etwas ganz Großes zu verpassen. Nach der Introspektion mit all ihren Zweifeln folgt die Gegenreaktion: Später sah ich mir Fotos von Festivals an, auf denen ich nicht war. Jemand zeigte immer auf ein schlammverschmiertes, nicht identifizierbares menschliches Lebewesen und sagte: „Da! Da ist Wolfi, wie er mit der Babsi in die Schlammpfütze gesprungen ist!“ Ich habe mich in all den Jahren nie im Schlamm gewälzt, bin nie neben einem Dixie-Klo eingeschlafen und vom Gestank geweckt worden. Ich bin nie barfuß in einem Haufen bierversiffter Glasscherben getreten, habe nie nach drei Stunden Schlaf zum Frühstück ein Bier getrunken und dafür 100 Euro bezahlt. Ich habe mich nie drei Tage am Stück von Pommes ernährt und mich eine halbe Stunde für eine Dusche angestellt, aus der gerade so viel herauströpfelt wie aus einer Dachrinne bei Nieselregen. Ich habe mich nie weit weg gewünscht, wohl wissend jetzt nicht weg zu können. Ich habe nicht versucht, mit jemand Sex zu haben, dessen lethargisches Verhalten auch von einer Alkholvergiftung herrühren könnte, und ich bin nicht in meinem Erbrochenen aufgewacht. Ich habe nicht in das Zelt fremder Leute uriniert. Und erzählt mir nicht, dass auf Festivals nicht alles schlecht ist. Sagt mir nicht, dass ein Roskilde, Glastonbury und das Melt tolle Erfahrungen sind, die jeder Mensch gemacht haben muss. Ich will das alles gar nicht hören! Eher springe ich vom Zehn-Meter-Brett.

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