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Regenzeit im Nirgendwo: Teil vier der Kanada Kolumne
Nach sechs Wochen meines neuen Lebens in Vancouver frage ich mich, was der Rest der Welt eigentlich über Kanada weiß? - Ich behaupte, die meisten wissen nicht besonders viel und da schließe ich mich nicht aus. Deshalb habe ich mich erst einmal mit Literatur versorgt und Bücher über kanadische Geschichte gekauft. Schließlich will ich ja eine gute Staatsbürgerin sein und nicht ausnutzen, dass ich, dank meiner Staatsbürgerschaft durch Geburt, keinen Einwanderer-Test bestehen muss.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Ein Titel klingt besonders interessant "Who killed Canadian History?" Die These: Kanada ist einer der wenigen westlichen Staaten, der sich weigert seine eigene Geschichte zu unterrichten. Identität und Geschichtswissen gehen verloren. Kanadische Musiker, der Exportschlager der Nation, werden als US-Amerikaner wahrgenommen- auch von Kanadiern selbst.
Ein anderes Beispiel: Kanada ist das zweitgrößte Land der Welt, doch nur Wenigen ist das bewusst. Mittlerweile werden kanadische Schüler mit US-amerikanischen Landkarten unterrichtet, die die Vereinigten Staaten von Amerika im Zentrum zeichnen, so dass der Nachbar größer erscheint und Kanada, wie alle anderen Länder, kleiner. Das ist kein Scherz und wurde in Europa zu Kolonialzeiten ebenfalls gemacht. Ich habe sogar schon persönlich mit Kanadiern gesprochen, die nicht wussten, dass Kanada größer ist als die USA.
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Und wer weiß schon, dass Vancouver im Regenwald liegt? Die meisten Menschen in Deutschland (und sogar in den USA) denken wahlweise, dass es überall in Kanada kalt ist und Vancouver an der Grenze zu Alaska liegt. Wiederum andere meinen, es sei so warm wie in Südkalifornien und beneiden mich um das schöne Wetter, das ich ihrer Meinung nach genieße. Nichts von beiden ist der Fall. Für gewöhnlich ist es weder extrem heiß oder kalt - auch wenn der Klimawandel Aussagen dieser Art ein Schnippchen schlägt. Der vergangene Sommer fühlte sich tatsächlich ein bisschen wie L.A. an. Während meines Sommerurlaubes durfte ich im Juli den wärmsten Tag seit Wetteraufzeichnung erleben - 34,4 Grad. Dafür versank Vancouver letzten Winter im Meter hohen Schnee und damit im Chaos, da die Stadt nicht auf Schnee vorbereitet ist. Zwar fällt ab Ende November Schnee in den Bergen, die immer in Sichtweite sind, doch direkt an der Küste herrscht für gewöhnlich ein mildes Klima.
Letztes Wochenende im Nachtbus kam ich mit einer Studentin ins Gespräch, die in der kanadischen Provinz Saskatchewan aufgewachsen ist. Die Provinz liegt ungefähr in der Mitte des Landes, dort sind die Sommer warm und die Winter kalt. Sherley macht sich zwanzig Minuten lang über die Autofahrer an der Westküste und das Schneechaos im letzten Jahr lustig. Für sie ist es unfassbar, dass sie drei Wochen lang schneefrei von der Universität hatte, nur weil die Simon Fraser University auf einem kleinen Berg liegt und die Busse nicht dafür ausgestattet sind, im Schnee zu fahren.
Vielleicht fällt dieses Jahr wieder märchenhafter Schnee. Denn nach einem extrem feuchten November ist es jetzt sonnig und kalt in Vancouver.
Der Regenmonat November war sicherlich die erste Testphase meines neuen Lebens. An manchen Tagen dachte ich, es würde nie mehr aufhören zu regnen. Erstmals in meinem Leben habe ich Regenschirme zu schätzen gewusst, auch wenn ich mir für nächstes Jahr eine Alternative überlegen will. Regenstiefel tragen die Leute hier in allen Varianten - modische Design-Stiefel bis hin zu schnöden, schwarzen Gummistiefeln für den Garten.
In Vancouver gibt es nicht einfach nur das Wort Regen, sondern viele verschiedene Arten und das hätte mich misstrauisch machen sollen. 13 bis hin zu 365 verschiedenen Regenarten werden gezählt. Um nur ein paar zu nennen: Ananas-Regen, Gott verdammter-Regen, grausamer Regen, gefrierender Regen, ungewöhnlicher Regen, vergiss nicht-Regen, Bad Cop- Regen, harmloser Regen und der gefühlte für immer-Regen, der mir noch im Februar bevorsteht.
Doch auch wenn es der Worte viele gibt, beschweren sollte man sich lieber nicht über das feuchte Wetter, zu schnell ist man als Weichei verschrien. Der Regen gehört zu Vancouver wie der Nebel zu San Francisco. Wem das Wetter nicht passt, der kann ja gehen, so die gängige Meinung.
In Vancouver empfinden die Menschen einen fatalistischen Stolz darüber, dass sie das Wetter Jahr für Jahr überleben. Außerdem glauben die Menschen in Vancouver, dass sie tougher seien als die Menschen anderswo. Auf einer WG-Party habe ich einen Versuch unternommen, zu würdigen, dass wir uns alle, trotz dieses massiven Regens, aus dem Haus gewagt haben, um zusammen zu feiern - die Antwort meines Gegenübers: "Wenn du glaubst, dass das Regen ist, irrst du dich!" Ich lerne also, dass Tropfen, die vom Himmel kommen, sich nicht gleich als Regen qualifizieren.
Jammern von Zugezogenen ist ganz besonders unbeliebt. Das musste auch Othella Harrington, ein ehemaliger Basketballspieler der Vancouver Grizzlies, erfahren. Harrington jammerte chronisch über das Wetter, wie die Zeitungen berichteten. Seine Fans tauften ihn deshalb "The Rain Man". Nachdem sich Harrington weigerte, sich öffentlich nicht mehr über das Wetter in Raincity zu beschweren, musste er 2001 die Vancouver Grizzlies nach der zweiten Saison, verlassen.
Ich hoffe nicht, dass man mich nach der ersten Saison auf die Ersatzbank setzt. Immerhin fühle mich gestärkt nach der ersten Phase der Regenzeit. Und wer kann schon behaupten, im November aus freien Stücken nach Vancouver gezogen zu sein? Sommer kann ja jeder!
Text: river-tucker - Illustration: judith-urban