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Der erste Auswanderer-Koller – Folge drei der Kanadakolumne

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Seit meiner Rückkehr vom Farmleben bei den Hippies auf Hornby Island bin ich von Kunst umgeben, treffe ständig Deutsche und hatte meine erste Auswanderer-Panik.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich bin endlich wieder in der Stadt und es wartet gleich Kunst Non-Stop auf mich. Die gesamte Vancouver Eastside stand drei Tage lang im Zeichen der jährlichen Kunstausstellung Culture Crawl. In Privathäusern, alten Industriebauten und Schulen stellen 300 Künstler aus Vancouver aus. Meine persönliche Erkenntnis: Künstler leben von Postkarten. Bei jedem zweiten Künstler standen diese Miniaturkunstwerke zum Verkauf. Offensichtlich verkaufen sich Postkarten für zehn Dollar besser als die großen Kunstwerke und ganz brotlos darf die Kunst eben auch nicht sein. Obwohl Vancouver mit der Emily Carr University of Art+Design die führende Kunsthochschule Kanadas beherbergt, ist die Stadt einem breiten Publikum nicht unbedingt als Kunsthochburg bekannt. Doch die Culture Crawl zeigt, was Vancouvers Kreative alles drauf haben: Malerei, Fotografie, Möbeldesign, T-Shirt-Druck, Mangacomics. Umzingelt von Deutschen Schon auf Hornby Island bin ich ständig deutschen Auswanderern über den Weg gelaufen. Wie zum Beispiel Stani, der 1979 mit seinem Vater von Hamburg nach Kanada gezogen ist, um dem Wehrdienst zu entgehen und jetzt auf Hornby Island ein Haus baut und seine Kinder nicht in der Stadt aufziehen will. Die Serie setzt sich fort. Samstag Abend habe ich mit Klara, einer Deutsch-Französin, die ebenfalls in Hamburg aufgewachsen ist, verbracht.

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Klara habe ich während meines Sommerurlaubs kennen gelernt und wir haben uns auf Anhieb gut verstanden. Unsere Freundschaft erscheint allen als natürliches Ereignis, immerhin kommen wir beide aus Deutschland. Und da Deutschland so viel kleiner ist als Kanada steht auch fest, dass wir uns schon aus „der alten Heimat“ kennen. Klara und ich wollten eigentlich zusammen eine Hausgemeinschaft gründen. Doch bei unserem Treffen erzählt sie mir, dass sie Anfang Dezember Vancouver verlassen muss, weil ihr Touristenvisum ausläuft, und nicht vor hat wieder zu kommen. Ihre Beziehung geht gerade in die Brüche und die Kochschule, die sie hier besuchen will kostet, wie jede Ausbildung in Nordamerika, extrem viel Geld. Klara hat sich in den letzten zweieinhalb Jahren in Vancouver halbillegal durch geschlagen und ist immer abwechselnd auf ihren zwei europäischen Pässen eingereist. Sie hat schwarz gearbeitet und von ihrem Ersparnissen gelebt. Heute würde Klara alles anders machen und sich direkt um die Papiere kümmern. „Im ersten Jahr war es noch ganz lustig damit durch zukommen und ich fand mich total cool. Im zweiten Jahr war alles schon anstrengender.“ Keine eigene Wohnung, kein richtiges Einkommen zu haben zerrt an den Nerven. Wieder wird mir bewusst wie privilegiert ich mit meinem kanadischen Pass bin. Aber mir wird auch bewusst, dass ich meine erste richtige (potenzielle) Freundin verliere, sollte Klara wirklich nicht mehr zurückkommen. Auch meine Wohnungspläne sind dann passé und ich muss mich doch durch die WGs Vancouvers probieren. Einen Tag bevor ich mit Klara bei deutschem Bier zusammen saß, hatte ich das Vergnügen Corrine Hunt zu interviewen. Sie ist die Co-Designerin der Medaillen für die Olympischen Spiele und der Paralympics. Eine coole Frau, die bald fünzig wird, Brustkrebs überlebt hat, und nach dem Höhepunkt ihrer Karriere plant im nächsten Jahr Skateboards zu entwerfen. Nach einem interessanten Interview taucht Corrine Hunts Frau auf und siehe da, sie ist mit einer Deutschen verheiratet. Ich erfahre, dass Hunts Frau aus Ost-Berlin kommt und die Designerin Berlin super findet. Der erste Auswanderer-Koller Berlin-Erinnerungen auszutauschen tut gut. Denn nach vier Wochen habe ich meine erste Auswanderer-Panik. Ich fange an mich selbst zu beobachten, ich prüfe meine Aussprache, meine Wortwahl. Jeder weiß aus der Schule, dass es dann nur schlechter wird. Doch mich quält das Gefühl, nicht ganz ich selbst sein zu können: Ich kann mich nicht so ausdrücken wie ich will, ich kann an vielen Gesprächen nicht wirklich teilhaben. Ich fühle mich unfreiwillig schüchtern, passiv und schneller ausgeschlossen. Ich weiß, das klingt ein bisschen wie 7. Klasse, tragischerweise habe ich mich nicht ein Mal in der 7. Klasse sozial so herausgefordert gefühlt. Nach einer Shoppingtour durch Downtown und der Vancouver Eastside fühle ich mich entspannter. Denn wenn man an einem Nachmittag Leute mit japanischen, indischen, chinesischen, polnischen, italinischen Akzenten hört - manche gut, manche schlecht zu verstehen - dann relativiert sich der Frust. Zudem ist es faszinierend zu beobachten, dass auch Muttersprachler nicht immer das Englisch des anderen gleich verstehen - die einen kommen aus Alaska, die anderen aus Alberta oder Texas und überall spricht es sich anders. Langsam höre ich auf mich mit meinem Perfektionismus verrückt zu machen. Außerdem ist es auch nicht ganz fair. Denn in einem Einwanderungsland wie Kanada kann ich mich nicht einfach runter machen und über mein angeblich so schlechtes Englisch motzen ohne damit nicht auch die Eltern von Bekannten, die aus Südafrika, Japan oder Mexiko kommen genauso in Frage zu stellen wie mich selbst. Klara, die deutsche Freundin, die gestresst Vancouver den Rücken kehren will, hat mich schon vorgewarnt. „Da kommt noch einiges an Frust auf dich zu“.

Text: river-tucker - Illustration: judith-urban

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