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Gegen Politikroutine: Tanja Schweiger von den Freien Wählern
„Sie hat mich immer so nett angelacht“, flüstert Thomas Jann ins Mikrofon. Der Orgelbaumeister hat zum Tag der offenen Tür in seine Firma in das kleine Dorf Alkofen, auf halbem Weg zwischen Regensburg und Straubing, eingeladen. In der Werkstatt stehen Bierbänke, die Mitarbeiter haben ihre Familien mitgebracht, es gibt Kaffe und Kuchen und Grillfleisch in der Semmel und gleich wird der Chef als Höhepunkt einen Diavortrag über seine Reise nach Japan halten. Aber erst kommt der Ehrengast. „Beim Autofahren hab bin ich immer an ihrem Wahlplakat vorbei gekommen“, schwärmt Jann. „Und jedes mal, wenn ich da die Tanja Schweiger gesehen hab, ist mir das Herz aufgegangen.“ Deshalb habe er sie eingeladen, heute ein paar Worte zu sprechen. Und Tanja muss kichern und nimmt das Mikrofon. Ein Politiker, der schon länger im Geschäft ist, würde wohl jetzt sein bewährtes Standard-Grußwort abspielen. Erst alle anwesenden Würdenträger aufzählen, dann ein paar Schnipsel aus dem Textbausteinkasten: „Der Mittelstand...in Zeiten der Globalisierung...es ist gut, dass es noch Firmen wie diese gibt.“ Aber Tanja ist noch keine solche Routine-Politikerin. „Ich bin froh“, sagt sie zu den Menschen in der Werkstatt, „dass ich mit meinem Plakat zumindest beigetragen habe, dass sich ein paar Menschen freuen.“
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Tanja Schweiger, 30 Jahre alt, aus Pettendorf bei Regensburg, ist die Spitzenkandidatin der Freien Wähler in der Oberpfalz. Die Freien Wähler sind die Partei, die eigentlich gar keine richtige Partei sein will. Sie sind angetreten, um anders Politik zu machen, als CSU und SPD: Ohne große Hierarchien, einen aufgeblähten Parteivorstand oder Ämtergeschachere. Es soll bürgernah zugehen und unkompliziert. Nachdem schon seit Jahren Freie Wähler zu Bürgermeistern und Landräten gewählt werden, könnte es diesmal auch mit einem Platz im Landtag klappen. So gut waren die Chancen noch nie. Ein paar Tage vor ihrem Auftritt beim Orgelbauer sitzt Tanja in einem Cafe im Münchner Hofgarten. Sie trägt einen Hosenanzug. Es ist ihre Mittagspause. Sie arbeitet bei der Deutschen Bank, im Bereich „Private Worth Management“, dabei kümmert sie sich um das Vermögen von Privatkunden mit mehreren Millionen Euro auf dem Konto. Vor einem Jahr habe sie noch nichts mit Politik zu tun gehabt, erzählt Tanja. Dann habe sie jemand von den Freien Wählern einfach gefragt: „Frau Schweiger können Sie sich vorstellen, für uns als Landrätin zu kandidieren?“ Und ein paar Wochen später hingen überall im Regensburger Umland Plakate mit ihrem Gesicht darauf. Obwohl sie völlig unerfahren war, hätte sie es fast in die Stichwahl geschafft, ein paar Hundert Stimmen fehlten. „Das war ein bombastisches Ergebnis“, findet sie heute. Und so versucht sie nun, einen Platz im Landtag zu bekommen. Die CSU vernachlässige mit Ihrer Politik die Menschen auf dem Land, sagt Tanja. „Sobald man sich dreißig Kilometer von Regensburg wegbewegt, haben die Menschen auf einmal keinen Zugang zu DSL mehr“, erzählt Tanja. „Wir haben im Landkreis eine Schule, die ist frisch saniert, aber steht leer, weil sie die Regierung geschlossen hat.“ Dagegen möchte sie kämpfen. „Ich bin der Meinung, dass man Politik lernen kann, wie alles andere auch“, sagt Tanja. „Es gehört aber viel Gefühl dazu.“
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Und so steht sie da, mit dem Mikrofon in der Hand, in der Orgelwerkstatt, und soll den Menschen etwas sagen. Es ist kein Wahlkampf heute, sie soll nichts über die Wahl sagen und nichts über politische Programme, darum hat sie Thomas Jann, der Firmenchef, gebeten. „Was mir Angst macht, wenn man einmal einen Schritt zur Seite macht und sich alles anschaut“, sagt Tanja und macht zur Untermalung wirklich einen Schritt zur Seite, „ist so ein Werteverfall in der Gesellschaft.“
Sie redet ruhig und leise. Es ist keine Predigt, keine Ruckrede, eher ein lautes Überlegen. Es sei egal, wie sich die Menschen in das Gemeinschaftsleben einbringen, sagt sie, ob bei der Feuerwehr, oder in der Firma, oder eben als Politiker. Es sei doch denkbar, dass man das auch wieder mehr im Schulunterricht zum Thema machte, den richtigen Umgang mit den Mitmenschen, das Zurechtfinden im Leben. Tanja macht eine Pause.
„Vielleicht“, sagt sie dann, „ist das nur eine Vision von mir.“ Die Menschen an den Bierbänken klatschen.
Text: bernhard-huebner - Fotos: Holly Pickett