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...und verschiedene Drogen probierten mich aus.

Text: fukusushi
0:34 Uhr, wieder daheim vom „Traum ist aus“-Film. Rio Reiser, das ist nochmal eine ganz andere Form von Glück, kindheitsmäßig, irgendwie vorbewusst. Das riecht ein bisschen wie der Teppich bei meiner Oma, ist aber trotzdem erotisch und wunderschön.

Rio Reiser ist schlechte Zähne und verquollene Augen und herausberlinerter Liebesrotz und Bonzenficken und eine unerreicht geile Stimme und Heroin.

Und der Film, wie alle Dokus, eine Freakshow und das ganze Gelaber drumrum war doch eher überflüssig.

Der sympathische Toco-Jan Müller verhaspelte sich kurz maln bisschen, als er sagte, dass er auch Leute kennte, die in Werbeagenturen arbeiten, und was die machten fänd er auch nicht so gut, aber die wären halt nett. Ja, genau. JEDER ist ja immer auch nett. Das ist ja das Schlimme. Hitler hat ja auch die Autobahn gebaut.

Und die Sterne so Entlein-Schwan-mäßig: Sänger Spilker fetthaarig ungeschminkt und desolat und Trommler Leich geschminkt, geföhnt und agil. Dafür brachte letzterer dann die eher bräsigen Meinungen.

Und dann noch, eklig wie immer, Sven Regner. Seit er langsam dick wird (und Bücher mit so tollen Titeln wie „Herr Lehmann“ schreibt – da will man ja eigentlich nur noch weglesen, oder?) mutiert er vollends zum buckligen Moritatengnom.



Und alle diese Typen erinnerten mich an zwei Geschichten:



Erstens: Ich hab Sven Regner mal ein Bier an den Kopf geworfen. Nein, falsch. Völlig übertrieben. Das war ein fast leerer Plastikbecher mit einem Zentimeter Schaumrest drin und ich hab den mehr so an ihn ran „geschlenzt“, wie es wohl in Wontorradeutsch heißt. Beim Element of Crime-Konzert in Bonn vor paar Jahren. Weil mir die ganze Ekligkeit dieses Menschen plötzlich knalldeutlich aufgegangen ist und ich dachte: das ja n Rockkonzert hier, also... War aber gar kein Rockkonzert, das war ja das Doofe. Und neben mir stand dieser fiese dicke General-Anzeiger-Fotograf, den ich damals schon so gehasst hab und der trotz seiner Hässlichkeit Katharina immer total plump angebaggert hat. Und der hat mich schief angegrinst mit seiner Speckfresse und ungefähr zwanzigmal auf den Auslöser gedrückt, um die drei Bierspritzer an Sven Regner abzulichten. So war das. Und ich hatte echt ne Lawine losgetreten: Seven Regner drehte seine Buckehaltung auf halbschräg und sah mich an und sagte:

„Es gibt Dinge, die tut man einfach nicht.“

Tausend Leute, mit denen ich noch nie geredet hatte, kamen zu mir an: „Wutzler, warst DU das? Krass. Spinnst Du? Was soll das?“ und so weiter. Als hätte ich gerade Elvis erschossen oder so.

Und das ganze stand am nächsten Tag im – ratet wo! – GENRAL ANZEIGER.

Dabei war der Auslöser ganz einfach: diese ganze behäbige Deutschlehrer-Schunkelkacke hätt ich ja noch ertragen, stillschweigend. Aber dann haben sie meine all-time-Weill-Lieblingslied „Surabaya-Johnny“ gecovert und zwar so scheiße, dass es auf keine Kuhhaut ging. So mit Tränendrüse und Grübelfältchen. Und ich hab Lotte Lenyas rollendes R immer so geliebt und ihre kleinen fast-Lacher zwischendrin. Und dann hab ich halt geworfen. Es gibt Dinge, die tut man einfach. War er selber schuld.



Die andere Geschichte ist: wie ich mal mit meiner Band im Alter von fünfzehn Jahren „Keine Macht für Niemand“ gecovert hab und zwar auf dem Polterabend von Herrn Z.s Tochter. Herr Z. hat einen höheren bis hohen Posten bei der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung und einen ganz großen BMW und gute Freunde bei der CSU. Und auf komischen verschlungenen Schicksalspfaden engagierte der Bräutigam (selbst großer Punkrockfreund) uns in der Nähe probende Kellerband für Zweihundertfünzig für seinen Polterabend.

Und das war wirklich seltsam. Wir waren natürlich morgens schon betrunken, es gab ja Champagner umsonst. Frau z. stolzierte im Dirndl herum und koordinierte die Servierkräfte und ordnete Blumengestecke um, während wir soundcheckten. Ich war der Erfahrenste von uns, ich spielte seit eineinhalb Jahren Bass.

Und wir mussten uns echt bepissen, als wir dann abends da spielten, vor diesen faltigen Trachten-&-Klunkermatronen, denn der Bräutigam, jetzt selbst im ungewohnten Smoking, hatte nur ungefähr DREI Gäste eingeladen und die CSU dreihundert. Als Dave beim zweiten Lied sein T-Shirt auszog und seine Jungfrauenbrust darbot, ging einen Raunen durch die Menge. Wir müssen da sowas von kaputt ausgesehen haben, wie die Christiane F. Verison von Echt. Später haben Martin und Dave noch einen Bierkasten geklaut und Passi wurde von Herrn Z. sehr bestimmt darauf hingewiesen, dass er die drei Flaschen „Schampus“, die er in seinen Gitarrenkoffer gesteckt hatte, zwar hier gerne austrinken dürfe, aber nicht mitnehmen, das gehöre sich nicht. Noch später ist dann jemand in den Swimming Pool gefallen, na ja.

Und am nächsten Tag beim Abbauen hat keiner mehr mit uns gesprochen, außer dem DJ. Das war der DJ vom Pantheon, das ja einem von den Scherben gehört, und der sagte, wir hätten die beste „Anarchy in the U.K.“-Version gespielt, die er je gehört hätte.

Immerhin.

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