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„Ich will, dass wir auf der Weltkarte weiterhin existieren“

Foto: Privat

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Die Auswirkungen der Klimakrise bedrohen die Lebensgrundlage von Menschen weltweit. An manchen Orten sind die Folgen schon heute besonders zu spüren. In den Klimatagebüchern berichten Menschen davon, wie sich das Leben in ihren Regionen durch die Klimakrise verändert. 

In der 18. Folge berichtet Kato Ewekia, 27, was die tuvalische Kultur mit seinem Engagement für Klimaschutz zu tun hat und wie ein neuer Plan der Regierung Tuvalus aussieht, der das Meer zurückhalten soll. 

„Im Januar hatten wir auf Tuvalu die schlimmste Springflut, die ich je gesehen habe. Das Wasser kam von allen Seiten. Springfluten sind normal bei uns, aber im Laufe meines Lebens sind sie deutlich stärker und intensiver geworden. Am 10. März wird die höchste für dieses Jahr erwartet, wir bezeichnen sie als ‚king tides‘. Prognosen gehen davon aus, dass sie noch heftiger wird als die vergangene.

Auf Tuvalu sehen wir den Anstieg des Meeresspiegels ganz deutlich. Als ich noch ein Kind war, wurde die Insel vielleicht einmal im Jahr überschwemmt. Mittlerweile ist es fast jeden Monat so. Dass das an der Klimakrise liegt, wurde mir bewusst, als in der Schule ein paar Expert:innen mit uns darüber gesprochen haben. Schon ohne Springflut steht das Meer heute viel höher als früher. Wir hoffen einfach, dass es am 10. März keine starken Winde gibt, weil sie die Wucht der Flut noch verstärken. Die Wellen sind dann deutlich höher, sie werden unsere Inseln verwüsten und viel Landfläche „auffressen“.   

Wir haben auch ein großes Problem mit Dürre. Auf Tuvalu gibt es nur zwei Wasserquellen: den Regen und Entsalzungsmaschinen. Aber die Maschinen sind nicht groß und können nicht auf einmal Trinkwasser für die ganze Bevölkerung herstellen. Wenn der Regen mehr als drei Wochen ausbleibt, haben wir ein Problem. 2021 haben wir eine besonders schlimme Dürre erlebt. Damals mussten wir mit Eimern Wasser aus großen Tanks von der Entsalzungsanlage holen und nach Hause tragen. Normalerweise verrichten in unserer Kultur vor allem die Männer schwere körperliche Arbeit, aber seit damals ist das anders. Auch Frauen, Kinder und Alte mussten mit anpacken.  

Wenn wir Tuvalu verlassen müssen, geht unsere Kultur verloren

Wir Tuvaluer:innen sind mit am meisten betroffen von der Klimakrise. Aber für viele unserer Jugendlichen ist es schwierig, auf ihre Erfahrungen aufmerksam zu machen, weil Englisch nicht unsere Muttersprache ist. Für mich waren die vielen jungen Menschen auf der ganzen Welt inspirierend, die für ihre Rechte kämpfen, obwohl sie auch kein perfektes Englisch sprechen. Das hat mir Mut gemacht und mir das Selbstbewusstsein gegeben, meine eigene Geschichte zu teilen. Und es ist toll, zu sehen, wenn das wiederum andere Jugendliche aus Tuvalu inspiriert, eigene Klimaschutzprojekte zu starten.  

Es ist sehr frustrierend, auf Konferenzen wie dem Weltklimagipfel immer und immer wieder unsere Lage darstellen zu müssen Denn es tut weh, zu erzählen, wie sehr mein Zuhause und meine Leute betroffen sind. Aber ich kann nicht aufhören, solange die Staatsoberhäupter ihre Arbeit nicht machen. Ich habe weiterhin Hoffnung, denn wir sind ja immernoch hier. Ich will, dass wir auf der Weltkarte weiterhin existieren. Und ich glaube fest daran, dass wir weiterhin hier leben können, wenn wir uns das überschwemmte Land wieder zurückholen. Denn wir wollen unsere Heimat nicht verlassen, wir wollen unsere Bräuche und unsere Kultur nicht verlieren – und wir wollen unsere Kinder hier großziehen. Freund:innen von mir sind teilweise im Ausland aufgewachsen. Sie sprechen nicht komplett fließend Tuvaluisch, aber fühlen sich dennoch auf Tuvalu zu Hause. Das will ich für meine Kinder nicht.

Aktuell lebe ich mit meiner Frau in Perth in Australien, sie hat hier ein Unistipendium. Hier ist alles so groß und weit entfernt. Das kenne ich von zuhause anders. Auf der Hauptinsel Funafuti, wo ich herkomme, brauche ich mit dem Fahrrad von einem Ende zum anderen rund 45 Minuten. In Perth muss ich über eine Stunde mit dem Zug fahren, um meine Tante zu besuchen, die auch hier lebt. Wenn wir uns hier mit den anderen Tuvaluer:innen treffen, dann reden wir non stop über Zuhause und welche Neuigkeiten es von dort gibt.

Durch künstlich aufgeschütteten Sand vom Meeresboden soll Tuvalu wieder wachsen

Wir Tuvaluer:innen sind sehr eng miteinander verbunden und tief in unserem Land verwurzelt. Es leben insgesamt nur rund 11 000 Menschen auf den Inseln, auf Funafuti sind es rund 800. Ich kenne sie alle und bin mit vielen verwandt. Wir helfen uns gegenseitig, wenn jemand ein Problem hat, der Gemeinschaftsgedanke ist sehr ausgeprägt in unserer Gesellschaft. Wir haben eine sehr starke Verbindung mit unseren Ältesten und viel Respekt voreinander. Müssten wir woanders leben, wäre das alles in Gefahr.  

Im vergangenen Jahr hat Tuvalu einen Vertrag mit Australien unterzeichnet, damit Teile unserer Bevölkerung wegen des Meeresspiegelanstiegs nach Australien umgesiedelt werden können. Zusätzlich hat die tuvalische Regierung einen neuen Küsten-Anpassungsplan: Die Inseln künstlich aufschütten und somit das Land, das schon von den Fluten und vom Wind verschluckt wurde, zurückgewinnen. Dafür soll vor allem Material vom Meeresboden verwendet werden. Während der Maßnahmen müssten dann viele Menschen zeitweise umziehen. Für die Umsetzung brauchen wir noch Unterstützung und Förderungen.

Deswegen spreche ich immer wieder darüber, was die Klimakrise für uns Tuvaluer:innen bedeutet. Weil die Menschen in anderen Ländern davon wissen müssen. Vielleicht gibt es irgendwo jemanden, die oder der eine noch bessere Idee hat, wie wir unsere Heimat vor dem Meeresspiegelanstieg retten können. Außerdem will ich, dass meine Kinder einmal zurückschauen und sagen können: Ihr habt alles versucht. Ihr habt für unser Zuhause gekämpft. Ich kämpfe weiter für meine Community, meine Eltern und unsere Ältesten. Für die Kinder, für meine jüngeren Geschwister. Und für mich. Ich will in Tuvalu leben.“ 

Mehr Informationen zur Klimakrise in Tuvalu

Laut Prognosen könnte schon bis 2050 mehr als die Hälfte der tuvalischen Hauptinsel Funafuti durch den Meeresspiegelanstieg gesunken sein. Weitere Folgen der Klimakrise im Inselstaat sind unter anderem Hitzewellen mit Temperaturen von über 35°C. Das ist genau jene Schwelle, ab der Hitze für den Menschen gefährlich wird. Die Wissenschaft geht davon aus, dass solche Hitzewellen durch die Klimakrise zunehmen. Ebenso Dürreperioden und stärkere Stürme. Durch steigende Wassertemperaturen sind außerdem die marinen Ökosysteme in Gefahr, die das Leben der Menschen auf kleinen Inseln wie Tuvalu sicherstellen.  

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