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In Filmen werden Vergewaltigungen banalisiert

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke; Foto: Helen Sloan / AP, dpa

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Triggerwarnung: Dieser Text beschäftigt sich mit der medialen Darstellung von Vergewaltigungen in Serien und Filmen und reproduziert solche Darstellungen. Alle Folgen der Kolumne „The Female Gaze“ findest du hier.

„Was dich nicht umbringt, macht dich stärker.“ Das scheint das Motto vieler Drehbuchautoren zu sein, die ihren weiblichen Charakteren zu Stärke verhelfen wollen und dabei ein gefährliches Narrativ bedienen: Die Vergewaltigung oder sexuelle Gewalt als einschneidendes, aber letztlich stärkendes Erlebnis.

Eines der größten Beispiele der jüngeren Fernsehgeschichte liefert „Game of Thrones“, eine Fantasy-Serie, bekannt unter anderem für ihre Gewalt- und Sexszenen. Die Serie schaffte es dabei eigentlich, viele weibliche Figuren mit Tiefe zu präsentieren. Umso enttäuschender, dass gleich zwei der interessantesten Frauen, Daenerys Targaryen und Sansa Stark, durch dieses Narrativ geführt wurden:

Daenerys Targaryen wurde gleich zu Beginn der Serie von ihrem Zwangsehemann Khal Drogo vergewaltigt, versuchte aber schon bald darauf, ihm zu gefallen und ihn zu verführen, woraufhin eine Beziehung entstand, die manche Fans als liebevoll und andere als Stockholm-Syndrom bezeichneten. Daenerys Entwicklung zur Stärke wird immerhin aber nicht ausschließlich durch die Vergewaltigung begründet, sondern auch durch andere Einflüsse. Anders sieht es bei Sansa Stark aus.

Vergewaltigungen und Traumata werden als etwas Stärkendes, fast schon Praktisches für die eigene Weiterentwicklung dargestellt

Sansa wurde in der fünften Staffel mit dem Sadisten Ramsay Bolton verheiratet, der sie in ihrer Hochzeitsnacht vergewaltigte. Erst als Reaktion darauf entwickelte sie sich zu einer starken Frau. Über Sansas Szene ärgerte ich mich besonders, da sie anders als der Großteil der Serie nicht auf den Buchvorlagen basierte und somit absichtlich hinzugefügt wurde. Einige Fans argumentierten, dass eine Vergewaltigung einer so grausamen Figur wie Bolton ähnlich sehe. Aber Vergewaltigungen sollten nicht als billiges Instrument genutzt werden, um die Boshaftigkeit eines Charakters zu unterstreichen. 

Noch schlimmer wurde es übrigens in der achten Staffel, die vollständig nicht auf dem Buch basierte, weil es noch keines gab. Darin trifft Sansa nämlich auf einen alten Bekannten und argumentiert, dass sie ohne ihre Peiniger ihr Leben lang ein kleines Vögelchen, also ihr schwaches, hilfloses Selbst geblieben wäre. Der Satz fasst das ganze Problem zusammen: Vergewaltigungen und Trauma werden als etwas Stärkendes, fast schon Praktisches für die eigene Weiterentwicklung dargestellt. Oder andersrum: Wer nicht leidet und missbraucht wird, bleibt immer klein und schwach. 

Die Vergewaltigung wird hier als notwendiges Übel verstanden, nicht als sexuelle Gewalt, Straftat und Ergebnis einer misogynen Gesellschaft. Ziemlich enttäuschend, schließlich gibt es haufenweise andere Gründe, weshalb eine Frau eine komplexe Geschichte haben kann und charakterliche Weiterentwicklung anstrebt. Doch auch Jennifer Lawrence’ Figur „Dominika“ musste im Spionagefilm „Red Sparrow“ einen ähnlichen Prozess der Stärke durch Vergewaltigung durchlaufen. Als unfreiwillige KGB-Agentin wird sie bei ihrer ersten Mission vergewaltigt, doch je mehr sich die Übergriffe häufen, desto stärker und kickass scheint sie zu werden. 

Dabei sollten Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt nicht instrumentalisiert, sondern problematisiert werden. Einerseits, um die Forderungen und Bedürfnisse von Überlebenden in den Fokus zu nehmen, andererseits, um eine Kultur zu schaffen, die Vergewaltigungen und überhaupt sexueller Gewalt vorbeugen kann. Der bagatellisierende Einsatz in Filmen und Serien führt aber genau zum Gegenteil.

Hinweise darauf gibt es schon seit Jahrzehnten. Beispielsweise eine Studie aus den Achtzigerjahren: Sie zeigte, dass junge Männer, die wiederholt Filme mit sexueller Gewalt gegen Frauen schauten, zu einer größeren Akzeptanz der Gewalt und Vergewaltigungsmythen neigten. Bei der Testgruppe der jungen Frauen konnten diese Ergebnisse nicht festgestellt werden. Eine Studie aus den Neunzigerjahren bestätigte diese Ergebnisse. 

Vergewaltigungen werden immer noch oft gezeigt, um banale Zwecke zu erfüllen

2019 wurde eine Study Review veröffentlicht, welche 43 Studien zum Zusammenhang zwischen Konsum von sexueller und häuslicher Gewalt in den Medien und die Akzeptanz dessen untersuchte. Die Psychologinnen Kara Rodenhizer und Katie M. Edwards stellten fest: Je mehr sexuelle und häusliche Gewalt medial konsumiert wurde, desto mehr sexuelle Gewalt wie sexuelle Belästigung, Vergewaltigungsdrohungen und Vergewaltigungen wurden akzeptiert. Sie kamen außerdem zum Ergebnis, dass Jungen und Männer stärker vom Schauen der gewaltvollen Inhalte beeinflusst werden und vermuten, dass dies mit dem gebotenen Identifikationspotenzial einhergeht, da die Täter in Film und Fernsehen meist Männer sind. 

In einem Paper von 2018 plädierte der Kommunikationswissenschaftler Brad Bushman dafür, dass Schüler*innen über die Wirkung gewaltvoller Medieninhalte aufgeklärt werden müssen, da es sonst zu Abstumpfung kommen könne. Die Psychologin Lisa Damour stimmte im Jahr 2019 zu und schreibt in der New York Times, dass Kinder und Teenager*innen vor der Darstellung von Vergewaltigungen in den Medien geschützt werden sollten, da gerade junge Frauen von den Inhalten traumatisiert werden könnten. 

Trotzdem werden Vergewaltigungen oder andere Gewalttaten wie sogar Morde an Frauen immer noch häufig gezeigt – oft, um banale Zwecke zu erfüllen. Zum Beispiel, um den Handlungsstrang des Mannes voranzubringen oder seine Perspektive in den Mittelpunkt zu rücken. In der vierten Staffel von „Downton Abbey“ wird das Hausmädchen Anna vergewaltigt. Statt im Laufe der Serie darauf einzugehen, wie sich die Tat langfristig auf sie auswirkt, rückt die Reaktion ihres Mannes in den Mittelpunkt und wie dieser Rache üben will.

Der Mord dient einzig dem Zweck, den Mann zu motivieren, emotional, aktiv oder rachsüchtig werden zu lassen

Die feministische Filmwissenschaft nennt die Extremform dieses sexistischen Narrativs „Women in Refrigerators“, also Frauen in Kühlschränken. Sie bezieht sich damit auf den Comic „Green Lantern“ aus dem Jahr 1994, in dem der Titelheld seine brutal vom Erzfeind ermordete Freundin im Kühlschrank findet. Der Mord dient einzig dem Zweck, den Mann zu motivieren, emotional, aktiv oder rachsüchtig werden zu lassen. Auf der Leinwand kennen wir das vor allem aus den „James Bond“-Filmen, in denen die ermordeten Bond-Girls den Agenten erst richtig motivieren, die Täter zu schnappen. Ein aktuelles Beispiel für „fridging“ findet sich in der ersten Hälfte von „Deadpool 2“ (2018), wo Vanessa, die Freundin des Superhelden, getötet wird und dieser daraufhin Rache übt. Der Film löste eine „Fridging in Superhelden-Filmen“-Debatte aus. 

Diese Erzählmuster sind die schlimmsten Beispiele für den Einsatz von passiven Frauen als Ergänzung zum Mann. Wir sehen, wie das Leiden der Frau den Mann aufwühlt und zum Handeln zwingt. Selten geht es um die Frauen und ihre Lebensrealität, warum Vergewaltigungen größtenteils ein genderspezifisches Problem ist und was sie von anderen Formen der Gewalt unterscheidet. Es gibt wenige Mediendarstellungen, die darauf eingehen, wie Überlebende von Vergewaltigungen mit juristischen Problemen und gesellschaftlicher Stigmatisierung wie der Täter-Opfer-Umkehr konfrontiert werden. Positivbeispiele wären aber zum Beispiel die Bücher „Ich habe einen Namen“ von Chanel Miller oder „Nein“ von Winnie M. Li.

Ich habe keine Lust mehr, derart verharmlosende Darstellungen von Vergewaltigungen zu sehen. Überhaupt reicht es jetzt mit der sexuellen Gewalt als banales Film- oder Serienelement, weil Drehbuchautoren (ja, bewusst nicht gegendert) nichts anderes als Vergewaltigung einfällt, um ihren Figuren Tiefe und Geschichte zu geben. Wenn es nach mir ginge, würde deren Motto also so lauten: „Was dich nicht umbringt, wühlt dich auf oder hinterlässt vielleicht sogar ein Trauma. Ich hoffe du bekommst Hilfe. Nein, dieses Erlebnis, war kein notwendiges Übel, um dich zu stärken.“

Sexuelle Gewalt ist kein Kavaliersdelikt und kann für Betroffene zu psychischen und körperlichen Belastungen führen. Frauen, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind, können sich rund um die Uhr unter der Rufnummer 0800-116016 kostenlos und anonym an das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ wenden. Unter der Nummer 0800-2255530 ist das Hilfetelefon Sexueller Missbrauch montags, mittwochs und freitags von 9 bis 14 Uhr sowie dienstags und donnerstags von 15 bis 20 Uhr bundesweit kostenfrei und anonym erreichbar.

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