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Drei Fragen zum GAU
Bislang war immer nur von der Kernschmelze in einem Reaktor des Atommeilers Fukushima die Rede. Jetzt teilt Tepco mit, sie gehen davon aus, dass sich auch in zwei weiteren Reaktoren Brennstäbe verflüssigt haben. Mittlerweile nehmen wir diese Informationen milde zur Kenntnis, wir haben uns an sie gewöhnt. Von der anfänglichen Panik, die die Welt noch in den ersten Tagen nach dem Erdbeben vom 11. März in Atem hielt, ist nicht mehr viel übrig. Die täglichen Katastrophenmeldungen machen den GAU mittlerweile unüberschaubar. Ist das gefährlich? Kurz und knapp haben wir unsere drei wichtigsten Fragen an Christoph von Lieven, den Energieexperten der Umweltschutzorganisation Greenpeace gestellt. Wir wollen wissen, wie viel Angst vor Fukushima eigentlich gerechtfertigt ist.
jetzt.de: Wie schätzen Sie mittlerweile das Ausmaß der Katastrophe ein?
Christoph von Lieven: Die Situation ist sehr ernst. Die radioaktive Kontamination ist in weiten Bereichen um das Atomkraftwerk so hoch, das aus Sicherheitsgründen eine dauerhafte Evakuierungszone eingerichtet bleiben wird. Was noch weiter passiert ist angesichts der schlechten Informationslage, den sicher kommenden Nachbeben, den statischen Problemen der Gebäude nach Erdbeben, Tsunami und Explosionen und den Schwierigkeiten bei den Sicherungsarbeiten völlig offen. Eine rasche Beendigung der Freisetzung und die Sicherung der Gebäude mit den tödlich strahlenden Brennelementen ist leider nicht zu erwarten.
Wie sollen Ihrer Meinung nach die Welt und auch die Medien mit diesem GAU umgehen?
Absolut transparent - es sollten alle Informationen ohne weitere Bearbeitung unverzüglich veröffentlicht werden. Den internationalen Medien kommt hier eine wichtige Aufgabe als unabhängige Beobachter zu. Die Verquickung und Abhängigkeit der japanischen Medien von Regierung und Industrie machen es unmöglich von dort wirklich unabhängige Informationen zu bekommen. Damit ist die notwendige gesellschaftliche Diskussion über Risiken und Folgen und über Verantwortlichkeit dort nicht gegeben. Die Welt sollte spätestens angesichts der Katastrophe von Fukushima überall überprüfen, ob der Gewinn für die Konzerne durch Atomkraftwerke und der Zugang zu Kernwaffenmaterial über die Wiederaufarbeitungs- und Anreicherungsanlagen das offensichtlich große Risiko der Verstrahlung und Gesundheitsgefährdung von vielen Menschen und der dauerhaften Unbewohnbarkeit von großen Gebieten wert ist. Statt Atomkraft sollte weltweit die Nutzung von erneuerbaren Energien ausgebaut werden.
Sind wir auch hier in Deutschland von der Katastrophe betroffen, wie zum Beispiel beim Lebensmitteleinkauf?
In Deutschland sind wenige direkte Auswirkungen zu erwarten, wir werden weltweit eine leichte Erhöhung der Hintergrundstrahlung haben, Lebensmittel werden eventuell sehr gering höher kontaminiert als vor Fukushima. Da aber die Welt durch Bevölkerungswachstum, Reisen, Internet und globale Warenströme sehr viel enger zusammengerückt ist, werden auch in Deutschland die Auswirkungen von vermehrter Krankheit, Ausfall von Produktionsanlagen, und großflächigen "No Go Zonen" in dem höchst industrialisierten Land Japan, einem der wichtigsten Handelspartner von Deutschland, zu spüren sein.