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Die Wintermantel-Typologie
Die Daunenjacke
Die Daunenjacke ist so etwas wie das gentrifizierte Stadtviertel innerhalb der Jackenlandschaft. Einst wurde sie von „Sieht scheiße aus, hält aber wenigstens ordentlich warm"-Menschen getragen und hing, grundsätzlich nur in Größe XXL zu haben, für Gartenarbeitszwecke in der häuslichen Flur-Garderobe. Doch die Zeiten sind jetzt vorbei. Derzeit sieht man sie überwiegend an Menschen, die sich wohl vor allem aus Gründen der Wohlstandspräsentation gern ordentlich warm gekleidet zeigen. Die fehlende Eleganz der wandelnden Bettdecke wurde durch eine Taillenschnalle, glänzende Stoffe und flauschende Kapuzenränder wettgemacht.
Was will man uns mit dieser Jacke sagen?
Wenn ich was von meinen Eltern gelernt habe, dann, auf eine ordentliche Garderobe zu achten. Elegant aber sinnvoll, wenn du weißt, was ich meine.
Das sagt man in Wahrheit:
Cheap ist cheap, wenn du weißt, was ich meine.
Wer war beim Kauf dabei?
Mama, die den Termin zum ausgiebigen Einkauf der Wintersachen schon frühzeitig festgelegt hat. Es handelt sich hier um einen etablierten jährlichen Termin, für den sich Mutter und Kind einen ganzen Tag lang frei nehmen, einige Gläser Kaufhausschampus trinken und gegen Abend umgeben von mehreren Tüten im feinsten Restaurant der Shoppingmeile noch einen kleinen Happen Essen einwerfen. Dabei sagen sie Sachen wie: „Du, ich finde es gut, dass wir die Roeckl-Handschuhe jetzt einfach doch noch dazu genommen haben, so etwas behält man ja sein Leben lang, schau wie lang der Papa seine schon hat!"
Das kombiniert er/sie gern zum Mantel:
Ein auf derselben Shoppingtour spontan dazu gekauftes neues Paar Winterboots – gelbe Timberlands oder, vor allem bei Mädchen: Moonboots. Als Rechtfertigung für die vielen neuen Sachen sagt er/sie später zu seinen/ihren Freunden: „War echt nicht ganz günstig alles, aber meine Mutter sagt immer: Wer billig kauft, kauft doppelt. Hört sich zwar ein bisschen doof an jetzt, aber wenn man mal so drüber nachdenkt, finde ich hat sie echt voll Recht!"
Darauf freut er/sie sich im Winter:
Das VIP-All-you-can-Glühwein-Event am städtischen Bräukeller
Die Snowboardjacke
Was will man uns mit dieser Jacke sagen?
Schlimme kalte Jahreszeit? Ahahaha! Jetzt geht der Spaß erst richtig los, Freunde. Mit anderen Worten: In mir steckt ein erprobter Wintersportler, ich bin schon mit kälteren Gewässern gewaschen worden. Wo euch die träge Eitelkeit im Wege steht, habe ich mich längst für Beweglichkeit, gute Laune und Abenteuer entschieden. Das heißt ja nicht, dass ich kein Wert auf gutes Aussehen lege, nur einschränken darf es mich halt nicht. Und ich sag' dir eins: Wenn du einmal eine Jacke mit Schneefang an der Hüfte hattest, willst du nie wieder darauf verzichten!
Das sagt man in Wahrheit:
Okay, nur weil ich jetzt seit drei Jahren und wegen des krass anstrengenden Studiums einfach nicht mehr so viel Zeit zum Boarden hatte, heißt das nicht, dass in mir nicht noch derselbe Freestyleking steckt wie eh und je. Übrigens: Einmal haben wir auf der Hütte von Andys Eltern einen Riesenkicker aufs Dach gebaut, weil der Schnee so hoch war und ich hab 'nen ziemlich sauberen 360 hingelegt...
Wer war beim Kauf dabei?
Der Kauf liegt mittlerweile einige Jahre zurück. Dabei war der beste Freund aus der Boarderclique, der seine Jacke einst im selben Laden gekauft hat und deshalb ganz gute Tipps geben konnte („Die von Burton haben 'nen schön engen Neopren am Handgelenk, da kommt selbst im Tiefschnee nichts in den Ärmel!"). Er hatte auch einen tröstenden Spruch parat, wenn der Käufer das über Monate hinweg mühsam zusammengesparte Geld in einem Schwung vom Konto abhob um es in eine einzige Jacke zu investieren („Mach dir keine Sorgen, ich hab mir meine damals zu Weihnachten UND zum Geburtstag zusammen gewünscht und sogar noch 40 Euro selbst drauf gelegt").
Das trägt er/sie gern dazu:
Früher am liebsten Sneaker, Hoodie und Dakine-Rucksack, aber heute eher lederne Umhängetasche und schlichte Lederschuhe – man wird schließlich auch erwachsen.
Darauf freut er/sie sich im Winter:
Auf diesen einen, magischen Moment, wenn es einem auf dem Radelweg in die Uni oder zur Arbeit so richtig fies durch die Lungen zieht, der Rest des Körpers aber warm bleibt. Da weiß man dann wieder: That's life, right here, right now!
Der Duffle-Coat
Was will man uns mit dieser Jacke sagen?
Ach, immer dieses Maistream-Gejammere über das Wetter. Es bleibt uns doch sowieso nichts anderes übrig, als das Beste daraus zu machen. Ich kann ja irgendwie jeder Jahreszeit etwas Gutes abgewinnen.
Das sagt man in Wahrheit:
Lustig, so eine hatte ich schon als Kind, die sind irgendwie echt zeitlos. Denkt man ja bei den Bollerknöpfen gar nicht. Aber kann man doch wirklich zu allem tragen, oder?
Wer war beim Kauf dabei?
Der Partner, mit dem der Träger schon ewig zusammen ist. Während der Anprobe hat dieser Partner dem anderen gefühlte Dutzend Mal irgendeine skandinavische Strickmütze von einem nebenstehenden Kleiderständer aufgesetzt und einige dicke Norwegerpullis dazugereicht, immer mit den Worten: „Den Mantel nimmst du sowas von auf jeden Fall! Aber kannst du bitte nur mal kurz mal diese Mütze/diesen Pulli dazu anprobieren, das passt so gut, da siehst du dann endgültig aus wie der tolle Typ/das schöne Mädchen aus diesem kanadischen Film!"
Das trägt er/sie gern dazu:
Die dicke Strickmütze, die er/sie dann auf Anraten des Partners im letzten Moment dazugekauft hat. Norwegerpullis und einen schönen Schal hat er/sie sich dann lieber aus dem SecondHand-Laden geholt - man muss ja immer aufpassen, dass man nicht so zurechtgeschniegelt aussieht.
Darauf freut er/sie sich im Winter:
Ausgiebige Spaziergänge mit dem oder der Liebsten, schönen Herbstfotos und lange Stunden mit Buch und zimtigem, heißem Apfelsaft hinter den beschlagenen Scheiben des Lieblingscafés.
Der Wollmantel
Was will man uns mit dieser Jacke sagen?
Der Winter ist jetzt da, ich habe die Sommerjacke auf den Dachboden gebracht und meinen Wintermantel herausgeholt.
Das sagt man in Wahrheit:
Wintermantel ist Wintermantel ist unauffällig schwarz oder grau und aus Wolle, richtig? Oder gibt es da Unterschiede?
Wer war beim Kauf dabei?
Hat er/sie vergessen. Gut möglich, dass er/sie allein in der Fußgängerzone unterwegs war und sich einfach von einem Käufer beraten hat lassen. Die haben ja tendenziell das beste Auge für so was.
Das trägt er/sie gern dazu:
Business as usual: Zur Arbeit Anzug oder Hosenanzug, eingeschlauften Schal, randlose Brille und No-Name Handtasche. Oder, wenn es mehr zu tragen gibt, den Völkl-Rucksack, den es vor einigen Jahren bei Aral für eine bestimmte Anzahl von Tankpunkte geschenkt gab ("Unglaublich, aber der ist immer noch wie neu!").
Darauf freut er/sie sich im Winter:
Wenn es am ersten Weihnachtstag bei Oma Wilhelmine Kartoffeldätscher und Ahle Wurst gibt.
Der Nicht-Mantel oder: Das Zwiebelchen
Was will man uns mit dieser "Jacke" sagen?
Wintermantel? Klingt ja wie Stützstrumpf. So was kaufe ich mir FRÜHESTENS mit 35, was ungefähr noch 87 Jahre hin sein sollte. Außerdem, wie langweilig ist das denn: Jeden Tag dieselbe Jacke anziehen.
Das sagt man in Wahrheit:
Natürlich friere ich mir den Arsch ab, aber das Geld, dass ich bei meinem erbärmlichen Nebenjob im Supermarkt verdiene, stecke ich doch nicht in eine einzige, dumpfe Winterjacke, in der ich 1. fett, 2. unbeweglich, 3. wie von Muttern eingetuckt aussehe und die ich 4. nach ein paar Mal Anziehen schon nicht mehr cool genug finde. Sind wir ehrlich: Winterjacken schlucken ganze Persönlichkeiten und für ein halbes Jahr bist du dazu verdammt, auzusehen wie all die anderen Schwachköpfe auf der Straße auch.
Wer war beim Kauf dabei?
Hat nicht stattgefunden.
Das trägt er/sie gern dazu:
Den sich allmählich in einzelne Acrylknäulchen auflösende H&M Schal aus dem letzten Jahr, Röhrenjeans oder Leggins, Stulpen und löchrige Chucks. Letztere erkennt man meist erst auf den zweiten Blick, weil sie durch die drunter getragenen Wollsocken eher nach aufgeplatzten Sofapolstern aussehen als nach Schuhwerk.
Darauf freut er/sie sich im Winter:
„This too will pass."
Text: mercedes-lauenstein - Illustrationen: Katharina Bitzl