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Frauen, kapern wir schwule Männer eure Kultur?
Liebe Frauen,
letztens lag ich mal wieder auf meiner Yogamatte und hörte Musik statt Sport zu machen. Die Playlist, die ich meistens dabei laufen habe, heißt „Gay Anthems“. 33 Stunden und 27 Minuten Whitney Houston, Cher, Anastacia – alles was, meiner Meinung nach gut ist. Und als ich da so lag und mit Beyoncé den Song Run the World (Girls) grölte, fragte ich mich: Ist das eigentlich okay für euch Frauen?
Also, ich meine jetzt nicht meine gesangliche Hochleistung. Was mich wirklich beschäftigt: Die Lieder, zu denen ich gröle, stehen eigentlich für Female Empowerment. Für die Stärke einer Gruppe, die sich gegen eine Welt auflehnt, die immer noch von weißen Männern dominiert wird. Und ich liege hier als Mann und höre die Musik, um meinen Sport aufzupeppen. Und damit fängt es erst an. In Szene-Clubs singen dutzende schwule Männer wie ich „Girls Just Want to Have Fun“. Und in Serien wie Prince Charming, die schwule Version des Bachelors, rufen sich die Männer gegenseitig kichernd „Gurl“, „Schwester“ oder auch „Bitch“ zu.
Ich gehöre gar nicht zum Frauenchor, zu dem ich mich zugehörig fühle
Geht das alles zu weit? Ein bisschen fühlt es sich für mich so an. So, als würde ich mir den Glanz des Frauseins wie ein Kostüm überstülpen, ohne das Recht dazu zu haben. Denn ich genieße zwar die Vorzüge, zum Beispiel das Gefühl der Stärke in der feministischen Musik – aber die Diskriminierung, die Frauen erleben, muss ich nicht ertragen. Klar, als homosexueller Mann bin auch ich mit Benachteiligung konfrontiert. Gerade deswegen liebe ich die Musik von Sängerinnen vermutlich so sehr. Gleichzeitig muss ich mir aber nicht anhören, dass ich mich entweder zu prüde oder zu freizügig kleide. Ich werde nicht unterbezahlt, nur wegen meines Geschlechts. Und ich muss nachts auf dem Weg nach Hause wohl kaum Angst vor Männern haben, die ein Nein nicht akzeptieren. Und trotzdem liege ich auf meiner Yogamatte und schreie Beyoncés Frage „Who run the World?“ immer wieder „Girls“ entgegen. Ganz so, als würde ich zum Frauenchor gehören, der antwortet.
Ich will gar nicht sagen, dass hetero Männer diese Musik nicht auch hören. Vielleicht tun sie das ja ständig. Heimlich, unter der Bettdecke. Aber den Club, in dem hunderte hetero Männer inbrünstig Man! I Feel Like A Woman! von Shania Twain singen, muss ich erst noch finden.
Was mich jetzt interessiert: Liebe Frauen, wie findet ihr es, wenn wir schwule Männer feministische Kultur abfeiern? Kapern wir eine Kultur, die uns nicht gehört?
Eure schwulen Männer
Die Antwort:
Liebe schwule Männer,
es ist ja nur menschlich, sich ab und an zu fühlen, als hätte jemand einem die Butter vom Brot gestohlen. Wenn die kleine Schwester abends länger wegbleiben darf als man selbst in dem Alter, wenn die Nachbarn genau dann größere Bohrungen vornehmen, wenn man Mittagsschläfchen halten will oder die Dozentin ausgerechnet dem faulsten Ei eine mündliche Eins gibt: zu kurz gekommen, ungerecht behandelt, einer guten Erfahrung beraubt. Man kennt das, man fühlt das.
In diesem Falle kann ich aber aus vollem Herzen sagen: Keine dieser niederen Emotionen kommt in mir hoch, wenn ich mich euch beim „Herabschauenden Hund“ vorstelle, „Giihhiirls juhhuust whahanna have fuu…uun...nnh“, keuchend. Nicht nur, weil ich das Bild herzig finde. Sondern weil es mich nullkommagarnicht stört, wenn Schwule oder andere queere Menschen feministische Kultur feiern.
Ich wäre ja auch schön blöd. Im Gegensatz zu Butter wird Female Empowerment nicht weniger, wenn jemand anderes davon etwas abbekommt, sondern mehr. Ganz abgesehen davon, dass natürlich alle zu der Musik Sport machen sollen, die sie am meisten motiviert: Wie toll ist es, dass deine Gay-Anthem-Liste voller starker Frauenstimmen ist? Schreit es raus, kultiviert es weiter, sagt es euren Cis-hetero-Männer-Kumpeln: Frauen sind stark, vielschichtig, kompetent – und in vielen Bereichen trotzdem noch nicht gleichberechtigt.
Wir alle müssen mehr wollen, und wir müssen es für alle wollen
Ihr schwulen Männer und wir Frauen sind eine Schicksalsgemeinschaft und waren es auch schon immer: Ihr habt nicht ins traditionelle Männerbild gepasst und euch bei uns nach alternativen Rollenbildern umgeschaut. Gleichzeitig wurdet ihr dafür abgestraft – aus frauenfeindlichen Gründen. Dahinter steckt die Vorstellung, dass Frausein und alles, was damit verbunden wird, zweitklassig ist. Bestimmt auch deswegen überschneiden sich eure Ikonen und eure Kultur auch oft mit der unseren – und umgekehrt.
Eine der schönsten Entwicklungen der vergangenen Jahre ist es, dass es nicht mehr „ihr oder wir“ heißt, sondern, dass wir zusammen für eine gerechtere und diversere Gesellschaft kämpfen. Ja, klingt nach hartem Tobak und Räucherstäbchen-Achtsamkeitsmeditationen, aber stimmt trotzdem: Mein Feminismus kann nicht bei weißen Mittelstandsfrauen enden, nur weil ich da zufällig dazu gehöre – und ihr könnt nicht nur dafür stehen, dass Homosexualität gesellschaftlich akzeptiert wird. Wir alle müssen mehr wollen, und wir müssen es für alle wollen. Und da wäre es einfach dicke kontraproduktiv, sich auf irgendwelche popkulturellen Territorial-Kämpfe zu versteifen.
Trotzdem finde ich es irgendwie lieb, dass ihr nach unserem Einverständnis fragt. Das zeigt ja eigentlich schon, dass ihr das Wichtigste verstanden habt: Lieber einmal zu oft fragen, als einmal zu wenig. Denn es stimmt: Auch wenn wir Frauen wohl im Schnitt weniger Cher-Poster an der Wand hängen haben als ihr, und in einem Madonna-Trivia-Quiz gegen euch verlieren würden, gehören eure Ikonen trotzdem auch zu uns und unserer Geschichte des Empowerments. Es gibt bestimmt Frauen, die ein klein wenig neidisch darauf sind, dass die Geschichte der Popkultur viel stärker mit der Schwulen-Szene assoziiert wird als mit dem Feminismus. Aber darüber müssen wir stehen, und ihr könnt das ja (wie ihr es hier vorgemacht habt) auch ein klein wenig mitdenken.
Übrigens: Wir stellen uns die gleiche Frage auch umgekehrt. Wir finden vieles an der schwulen Szene so spannend und bunt, dass wir gerne Teil davon sein wollen – aber nicht immer wissen, ob wir auch dürfen. „Yaaas Guurrl“ würde ich gern mal meiner besten Freundin zurufen, aber tatsächlich klaue ich da ja eher von euch als umgekehrt – ganz egal, dass meine Freundin wirklich ein Girl ist. Wir können uns ja demnächst treffen, ein Butterbrot mampfen, Shania Twain hören und das auch noch ausdiskutieren.
Ich „sashay away“ jetzt,
hochachtungsvoll
Eure Frauen