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Was verbindet Esoterik und Rechtsextremismus?

Foto: Christoph Hardt / imago images / Future Image

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Vergangenen Samstag fanden in Berlin Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen statt – organisiert vom sogenannten „Querdenken 711“-Bündnis. Als offen rechtsextrem gilt zwar nur ein kleiner Teil der Demonstrierenden, teilgenommen haben aber auch Identitäre, Reichsbürger – und Menschen, die man als Verschwörungsideolog*innen, Impfgegner*innen, Esoteriker*innen und Hippies beschreiben kann. Aber wie lässt sich diese Gemeinschaft erklären?

Die Finnlandschwedin Jenny Willner ist Dozentin für Komparatistik an der LMU. Sie unterrichtet psychoanalytische Literaturwissenschaft und forscht über Wissenschaftsgeschichte, Esoterik und politische Ideologie im 20. Jahrhundert. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, was Esoterik und Rechtsextremismus eigentlich verbindet.

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Foto: Helena Heilig

jetzt: Bei den Corona-Demos waren sowohl esoterische, als auch rechtsextreme Gruppen dabei. Hat dich diese Mischung überrascht?

Jenny Willner: Nein. Auch nicht, als sich herausstellte, dass eine Heilpraktikerin in Dreadlocks den rechten Mob vor den Bundestag gelotst hat. Ich musste an Die Mondverschwörung (2011) denken. Ein satirischer Dokumentarfilm, der sich schon ab 2005 mit der Verbindung von Reichsbürgern und Esoterikern befasst hat. Aber es ist schwierig, sich anhand von Medienberichten ein Bild von der Zusammensetzung der Demonstrationen zu machen, deren Haltungen und Überzeugungen. Es wird ja oft betont, dass es eine kleine Minderheit war, die sich als rechtsextrem versteht oder die antisemitische Plakate hochhielt. Aber je mehr andere Gruppierungen es gab, die mit sowas nichts zu tun hatten, desto erstaunlicher. Warum konnte man sich dann nicht abgrenzen? Gerade wenn es eine Minderheit war, hätte es doch gehen müssen. 

Was wäre denn eine mögliche Erklärung dafür, dass sie sich nicht abgegrenzt haben?

Schwer zu sagen. Entweder, sie haben die Notwendigkeit dazu nicht gesehen – weil sie Atemschutzmasken stärker ablehnen als sie Nazis ablehnen. Das wäre schlimm! Oder... nein, sie können ja nicht übersehen haben, dass da Reichsflaggen wehten. Ich finde keine versöhnliche Erklärung.

Das heißt, die gemeinsamen Nenner sind wichtiger?

Vermutlich. Auch wenn nicht jeder, der seine Karotten nach Mondphasen erntet, automatisch mit Nazis flirtet.

„Natürlich gibt es Menschen, die keineswegs rechts sind – aber Globuli nehmen und Heileurythmie tanzen“

Wie ist denn das Verhältnis von Esoterik zu rechtsextremer Ideologie?

Gerade in Deutschland gibt es einen starken Zusammenhang zwischen der Befürwortung alternativer Heilmethoden und dem, was man Verschwörungsmentalität nennt. Das hat zum Beispiel die Sozialpsychologin Pia Lamberty aufgezeigt, und ich glaube es sofort: Ich war in diesem Land schwanger. Da wird man mit längst widerlegten Mythen von Autismus als Ergebnis von Impfungen konfrontiert. Oder mit Hebammen, die dich dazu überreden wollen, nach der Entbindung deine Plazenta zu essen. Natürlich gibt es Menschen, die keineswegs rechts sind – aber Globuli nehmen und Heileurythmie tanzen. Sollen sie ruhig machen, muss ich nicht verstehen, an und für sich ist es ja nicht gefährlich. Was man aber verstehen muss: Über die Begründung von solchen Tätigkeiten rutscht nicht erst seit Corona etwas gewaltig nach rechts. Es gibt da eine Geschichte, und die ist vielen Leuten überhaupt nicht bekannt. 

Und wie lautet diese Geschichte?

Überschneidungen von Antisemitismus, Rassismus und Esoterik gab es schon Jahrzehnte vor dem Nationalsozialismus. Ich habe mich viel mit dieser Grauzone um 1900 befasst: In Form von Weltanschauungsliteratur, die oft ähnlich strukturiert ist wie Verschwörungstheorien. Zum Beispiel im Umfeld der Lebensreform-Bewegung, in der man Freikörperkultur und Vegetarismus propagierte – und das Impfen als eine Vergiftung sah, die natürliche Immunisierung verhindert. Für die Nazis galt Impfen später sogar als Bestandteil einer jüdischen Verschwörung. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Esoterik, Paranoia und völkischer Ideologie – aber der ist nicht geradlinig. Die Alternativmedizin und auch Teile der Reformpädagogik und der Ökologiebewegung haben diese Geschichte bis heute nie richtig aufgearbeitet. Das alles hat einiges gemeinsam mit dem, was wir jetzt sehen. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass sich jetzt alles wiederholt. Aber wie damals muss man sich fragen: Wo geht es noch wirklich um Freiräume? Und wo geht vielleicht harmloser Irrsinn in bedenklichen Irrsinn über? Wo zieht man die Grenze? 

„Problematisch wird es, sobald man ‚Natur’ mit der Hoffnung auf Erlösung verbindet“

Wann wird es problematisch mit der Naturliebe?

Problematisch wird es, sobald man ‚Natur’ mit der Hoffnung auf Erlösung verbindet. Eine Sichtweise, die den Menschen nicht als soziales Wesen versteht, sondern nur als biologisches Naturgeschöpf. Das ist das Bild des Menschen, der an der Natur und sogar an Krankheiten erstarkt – und wenn jemand stirbt, sei das immer auch naturgewollt. Spätestens wenn sich damit auch noch die Idee verbindet, dass die Bevölkerung durch vermeintlich natürliche Auslese stärker wird, sind wir bei Eugenik, Rassenhygiene, dem Überleben der Stärksten. Man kann aber auch ohne esoterischen Naturbegriff bei einem ähnlichen Ergebnis landen. In Schweden ist Alternativmedizin überhaupt nicht weit verbreitet, nur Evidenz und Zahlen zählen. Man rechnet utilitaristisch heraus, was für die Meisten das Beste ist. Und dann kommt heraus, dass es sich für die meisten auszahlt, wenn nur die Alten und Kranken sich isolieren. Das war die Corona-Strategie einer sozialdemokratischen Regierung, die in Schweden fast von der gesamten Linken unterstützt wurde – obwohl sie zu fast 6000 Toten geführt hat. Und so passt es dann doch auf eine schreckliche Art zusammen, dass man in Berlin, zwischen Reichsflaggen und Plakaten mit Trump, Putin und dem Buchstaben Q, auch die schwedische Flagge gesehen hat. In Schweden haben dafür ausgerechnet die Rechtspopulisten härtere Corona-Maßnahmen gefordert – weil sie ja gegen die Regierung sind. Es ist zum Haare raufen.

Viele Menschen, die gerne Yoga machen und meditieren, halten sich trotzdem an die Corona-Maßnahmen.

Klar, ich sollte auch mal wieder Yoga machen – für meinen Rücken. Ich erkläre aber nicht die soziale Wirklichkeit damit. Es geht um die Art, wie Leute daran hängen. Es wird gefährlich, wenn man damit einen wissenschaftlichen oder politischen Anspruch erhebt. Wenn die Weltanschauung sich mit dem Versprechen nach der Lösung all unserer Probleme verknüpft. Sigmund Freud hat übrigens mal über Spiritualität und Yoga geschrieben: Es sei überhaupt nicht bescheiden, sich nur durch das eigene Gefühl mit dem ganzen Universum verbunden zu fühlen – sondern eher größenwahnsinnig. Da ist was dran: Die Erwachsenen neigen in der Esoterik zum kindlichen Größenwahn.

„Gegen die irrsinnigen Theorien hilft keine ‚Bildung’“

Warum zeigt sich das ausgerechnet im Zusammenhang mit dem Coronavirus?

Es liegt nicht nur am Virus und an den Maßnahmen, sondern auch an der sozioökonomischen Krise, die es schon vor der Pandemie gab. Gegen die irrsinnigen Theorien hilft keine ‚Bildung’ – es ist kein bloßer Kampf der Ideen oder Argumente. Der Weltanschauungshype vor 100 Jahren gilt in der Forschung oft als Reaktion auf die Vervielfältigung der Wissenschaften. 

Dadurch entstand  in der Gesellschaft der Wunsch nach einem einheitlichen und anschaulichen Weltbild. Dieses Bedürfnis wird mit dem neuen Virus wieder akut. Es ist schwer, damit klarzukommen, dass wir wenig über Corona wissen, und dass naturwissenschaftliche Forschung erstmal zu vorläufigen Ergebnissen führt. Wesentlich sind aber auch Probleme, die nur gesellschaftswissenschaftlich erklärt werden können. Es ist doch alles furchtbar gerade: die Auflösung sozialer Sicherheitssysteme, die Zunahme prekärer Lebensläufe, auch wie der Einzelne dauernd unter Kontrolle steht, Hartz IV, Abstiegsängste. Mit den wirtschaftlichen und sozialen Folgen von Corona verschärft sich das alles. Und die neoliberale Ideologie, derzufolge man selbst für sein Glück zuständig sei, ist da auch nicht gerade hilfreich.

Warum nicht?

Das erzeugt Druck. Und bedeutet im Umkehrschluss: Du bist selbst schuld, wenn es schiefläuft. Wie auch schon vor 100 Jahren gibt es also Gründe, unzufrieden zu sein, zu protestieren. Was sich aber gerade lärmend bemerkbar macht, dieser ‚Corona-Soundtrack‘, ist eine wahnhafte Reaktion darauf. Die Not ist wirklich, aber man kommt nicht einmal an sie heran. So wahnhaft ist die Reaktion. Interessant ist übrigens wie gerade über Angst gesprochen wird.

Inwiefern?

Vor ein paar Tagen habe ich einen Artikel via Facebook gelesen – über die Gefahren, die das Virus für Schwangere und Kinder bedeuten könnte. In den Reaktionen waren hunderte Lach-Emojis. Und in den Kommentaren stand ungefähr: ‚Das ist fake, nur dazu da, um uns Angst zu machen! Aber wir haben keine Angst, wir lachen!‘ Dieses Gelächter ist brutal. 

„Dieser Hass auf die vermeintlich Ängstlichen spricht Bände“

Ist es auch ein Zeichen der Angst?

Eher der Abwehr von Angst. Und das ist oft aggressiv. Ich wurde schonmal als Mundschutzträgerin mit den Worten angefahren: „Hast du denn Angst, oder was?!“ Dieser Hass auf die vermeintlich Ängstlichen spricht Bände. Die Wut scheint zu sagen: ‚Wenn die mit der Maske im Recht ist, dann sollte ich, da ohne Maske, Angst haben. Oder mich schuldig fühlen. Das darf nicht sein. Also ist sie eine Heuchlerin, die mich klein machen will!‘ Ungefähr mit dieser Stimmung, so stelle ich es mir vor, gehen die Leute dann auf die Straße. Ich habe ein Plakat gesehen, auf dem stand: ‚Lieber tot als ein Leben in Angst‘.

Bei einer Kundgebung in München gab es auch das Plakat mit der Aufschrift „Freiheit statt Fürsorge“. 

Das ist dieser unsoziale Freiheitsbegriff. Und der führt wieder zu der Frage: Wie schützt man Menschen mit Behinderung, Alte und Erkrankte? Es spielt sicherlich mit hinein, dass Behinderungen immer auch an etwas erinnern, das für uns alle gilt, aber verdrängt wird, nämlich: dass wir aufeinander angewiesen sind. Die Idee von souveräner Freiheit ist also absurd. Sie wird aber mit Verbissenheit verteidigt. Damit hält man sich nicht nur Angst, sondern auch Trauer vom Leib. Die gesamte Situation in der Pandemie ist doch unendlich traurig, aber wohin mit der Trauer? 

Woran zeigt sich Paranoia denn im Zusammenhang mit den Demonstrationen noch?

Beim Thema Antisemitismus. Paranoia funktioniert ja über Projektion: Anstatt das System, an dem man selbst teilhat, zu kritisieren, wird die Gefahr auf jemanden projiziert. Dieser jemand muss gierig, berechnend, zersetzend, unnatürlich, pervers, vergiftend sein – ihn kann man bekämpfen, ihn darf man hassen. Nicht jede paranoide Schuldzuweisung ist antisemitisch. Aber daran anschlussfähig. Denn der Antisemitismus sitzt historisch sehr tief. Schon in den Theorien über Strippenzieher und geheime Seilschaften kommt er wieder hoch. Und das Ausmaß an auch offenem Antisemitismus bei den Demonstrationen ist das Bedrohlichste an der ganzen Sache.

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