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„Die Message soll lauten: Es kann euch überall treffen“

Foto: Hibat-Ullah Khelifi

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Rami Ali, 27, hat Islam- und Politikwissenschaften an der Uni Wien studiert und arbeitet seit ein paar Jahren in der Extremismus-und Gewaltprävention. Als Vorstandsmitglied des Wiener Vereins Turn versucht er, Jugendliche vor dschihadistischer Radikalisierung zu bewahren. Zum Beispiel durch das Online-Filmprojekt „Jamal al-Khatib – Mein Weg!“, das Rami Ali gemeinsam mit muslimischen Jugendlichen umsetzt, die selbst schon Erfahrung in der dschihadistischen Szene gesammelt haben. Das Projekt wird größtenteils von der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung finanziert und hat das Ziel, dschihadistischen Narrativen etwas entgegenzusetzen. Wir sprachen mit ihm über den Anschlag in seiner Heimatstadt und darüber, was jetzt zu tun ist.

jetzt: Rami, du schreibst auf Twitter, dass es in den vergangenen Tagen und Wochen zu „intensiven Anstachelungen in dschihadistischen Kanälen“ gekommen sei – und, dass dieser Anschlag daher leider nur eine Frage der Zeit gewesen sei. Was fiel dir konkret auf?

Rami Ali: Der Mord an Samuel Paty und das erneute Zeigen der Mohammed-Karrikaturen wurde sehr stark genutzt. Das Thema konnte man offenbar gut instrumentalisieren, schon allein, weil da sehr viele unterschiedliche Akteure mitgewirkt haben. Macron und Erdogan spielten sich danach beide jeweils zum vermeintlichen Verteidiger der jeweiligen Hälfte der Welt auf. Diese Polarisierung kommt dschihadistischen Gruppen sehr gelegen. Sie versuchen, sich über diesen Konflikt in den Mainstream zu schleichen und sagen, dass sie diejenigen seien, die den Propheten Mohammed verteidigen würden. Frankreich steht in deren Augen stellvertretend für den ganzen Westen, den es zu bekämpfen gilt. So wurde das auch online kommuniziert, auf unterschiedlichen Kanälen wurde dazu aufgerufen, „den Terror in die Herzen der Kreuzritter zu tragen“. Und das in einer Quantität und einem Ausmaß, wie ich es schon lange nicht mehr erlebt habe. Über verschiedene dschihadistische Gruppierungen hinweg.

Kann man über diese Kanäle einzelne Menschen identifizieren, die gezielt Hass und Feindbilder in die Köpfe junger Muslim*innen spielen?

Einzelne Organisationen, etwa Al-Qaida oder der sogenannnte IS, ja. Aber einzelne Personen, nein, keine Chance. Es werden oft Messenger wie Hoop benutzt. In der Regel sind das ausgeklügelte Netzwerke, die miteinander interagieren, da kann man unmöglich einen Initiator ausmachen. In solchen Gruppen sind ja viele drin, die nur mitlesen und das dann weiter teilen. Eine Person oder ein Land festzumachen, wo das den Ursprung nimmt, ist nahezu unmöglich.

„Es geht  darum,  das Gefühl der Angst und der Furcht zu manifestieren“

Warum glaubst du, hat der Attentäter die Innenstadt rund um das Ausgehviertel Bermuda-Dreieck gewählt?

Dschihadisten suchen sich Orte aus, an denen viele Menschen schon waren, zu denen viele eine Verbindung haben. Damit in den Köpfen der Leute der Effekt eintritt, zu sagen: „Ach, da war ich ja schon mal.“ Der bekannte Ort soll dann mit Angst behaftet sein. Die Message soll lauten: Es kann euch überall treffen, auch an Plätzen, an denen ihr euch sonst sicher fühlt.

Du schreibst auf Twitter: „Das ist der Kern terroristischer Anschläge. Seine Auswirkungen enden nicht in der Nacht, wo er stattfand – sie beginnen da erst.“ Was meinst du damit genau?

Terrorismus ist eine Kommunikationsstrategie. Es geht nicht nur darum, die Gesellschaft in unterschiedliche Gruppen zu spalten, sondern auch darum, das Gefühl der Angst und der Furcht zu manifestieren. 2005 wurden im Manifest „The Management of Savagery“ von Abu Bakr Naji, einem Strategen von al-Qaida, die Absicht beschrieben, die den Grundstein für die spätere IS-Strategie in der Rekrutierung der Dschihadisten legte: Terroristische Anschläge sollen gezielt anti-muslimische Stimmung in einem Land schüren. Diese Leute wollen, dass es in der Folge auch zu Angriffen auf Muslime kommt.  

Was bezwecken sie damit?

Die Spaltung der Gesellschaft ist nur ein Aspekt. In erster Instanz ging es dem sogenannten IS hier um die Rekrutierung von jungen Menschen. Die Übergriffe auf Menschen, die als muslimisch gelesen werden, sollten die Polarisierung verstärken und die jungen Muslime vor die Wahl stellen: Wir, die dich so nehmen wie du bist, oder die  – der Westen – die dich und deine Familie beleidigen und dich nicht in diesem Land haben wollen.

Der österreichische Kanzler Sebastian Kurz betonte am Dienstag ausdrücklich, dass nicht Muslime oder Migranten generell als Feinde angesehen werden dürfen, sondern allein Extremisten. Wirkt Kurz mit diesen Worten einer Spaltung, wie du sie beschreibst, entgegen?

Absolut. Ich war sehr überrascht von seinen Worten, weil Kurz‘ Rhetorik in den vergangenen Monaten und Jahren eine andere war. Ich finde es grundvernünftig, in einer solchen Situation nicht den Terroristen in die Hände zu spielen, sondern den gemeinsamen Kampf gegen diese Ideologie zu betonen. Damit kann viel Schaden abgewendet werden. Dass er damit aber auch rechtsextreme Kanäle erreicht, glaube ich nicht.

„Was sich durch viele Biografien von Dschihadisten zieht, sind Entfremdungserfahrungen“

Du arbeitest mit Jugendlichen in Wien zusammen, deren Eltern Einwanderer oder Geflüchtete sind, zum Teil auch aus muslimischen Ländern. Welche Auswirkungen hat dieser Anschlag auf sie?

Unter den Jugendlichen, mit denen wir gerade zusammenarbeiten, herrscht breites Entsetzen über die Tat. Sie sorgen sich, was das in der nächsten Zeit auch für sie selber und ihre Mütter, Väter, Brüder und Schwestern bedeutet. Sie haben alle schon selbst Rassismuserfahrung gemacht, und fürchten, dass es jetzt noch schlimmer werden könnte.  

Glaubst du, dass der Terrorangriff auch dazu führen kann, dass manche Jugendliche sich daran ein Vorbild nehmen?

Definitiv. Ich glaube, solche Angriffe werden auch deshalb begangen, um radikalisierten Jugendlichen zu zeigen: Schaut her, hier hat es jemand gemacht. Deshalb werden ja auch Videos und Bilder dieser Taten oft sehr offensiv verbreitet. Um Nachahmungstäter zu animieren und die Täter zu heroisieren.

Bei dem Angriff in Dresden vor einigen Wochen war der vermeintliche Täter 20, in Frankreich war er 21, jetzt ist der mutmaßliche Mörder 20 Jahre alt. Warum sind augenscheinlich vor allem junge Männer so leicht zu manipulieren, beziehungsweise zu radikalisieren? 

Grundsätzlich kann man nicht einen Grund herauspicken und sagen: Das führt bei Menschen immer zu einer Radikalisierung. Was sich aber durch viele Biografien von Dschihadisten zieht, sind Entfremdungserfahrungen, die sie irgendwann in ihrem Leben einmal gemacht haben. Wenn sie in einer emotional instabilen Phase sind, schlechte Perspektiven haben und den Sinn des Lebens suchen, dann sind das Faktoren, die eine Rolle spielen können. Oft ist auch Trauer ein wichtiger Faktor, der Wegfall einer Vorbildfigur. Wenn diese Punkte zusammenkommen, dann bildet das eine gute Angriffsfläche für Radikalisierung. Ungefähr 300 Menschen reisten aus Österreich zum sogenannten IS nach Syrien aus, das ist – im Verhältnis zur österreichischen Bevölkerungsanzahl – eine sehr große Gruppe. Ein Fünftel davon waren junge Frauen. Das ist wichtig zu erwähnen. Dschihadismus ist kein reines Männerphänomen.  

Zumindest in der letzten Zeit waren die Täter aber junge Männer. Warum?

Das sind oft Gewaltphantasien, die eine Rolle spielen. Viele wollen die Möglichkeit, diese Gewalt auch ausüben zu können. Das ist ein Grund, warum die Propagandavideos so brutal sind. Die Videos docken dabei oft an die Lebensrealität junger Männer an, imitieren Bilder und Perspektiven aus Egoshootern oder bekannten Filmen. Das ist eine hochprofessionalisierte Propaganda-Welt, die es bis heute gibt und die sich auch ständig neu erfindet. Wir müssen unsere Ressourcen darauf konzentrieren, Jugendliche mit alternativen Narrativen zu erreichen. 

Kannst du ein Beispiel für ein solches Narrativ nennen?

Was ganz stark instrumentalisiert wurde von Salafisten, war der Umgang Chinas mit den Uiguren. Da war das Narrativ: Die ganze Welt schaut zu, während Muslime in Umerziehungslager gesteckt werden. Und niemand unternimmt etwas dagegen, weil es ja nur Muslime sind. Und die Aufgabe unseres Vereins ist es dann, ein anderes Bild zu zeigen. Vom Widerstand gegen diese chinesische Politik. Wir nennen diese Form der Intervention „Solidarität von unerwarteter Seite“. Zum Beispiel gibt es in London einen Aktivisten mit orthodox-jüdischer Identität, der einmal in der Woche alleine vor der chinesischen Botschaft gegen die Internierung von Uiguren demonstriert. Den haben wir interviewt und das war mit einer halben Million Aufrufen unser erfolgreichsten Video.

Aber ist es doch trotzdem auch so, dass zwar berichtet und demonstriert wird gegen  Chinas Umgang mit den Uiguren – aber auf politischer Ebene nur wenig Druck entsteht. Erreicht man junge Menschen, wenn die das Gefühl haben, das große Ganze ändert sich eh nicht?

In jedem Fall, weil es eine Intervention ist, die dieses Schwarz-Weiß-Bild der Salafisten zerstört. Wir wollen Jugendliche empowern, sie dazu bringen, differenziert zu denken.

Werdet ihr in eurer Arbeit staatlich unterstützt?

Ja, aber hauptsächlich von der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung. Aus Österreich selbst nur sehr wenig.

Dabei wird im jüngsten Verfassungsschutzbereich Österreichs der islamistische Terror als „größte Gefahr für die Sicherheit Österreichs“ bezeichnet. Wie passt das denn zusammen?

Es passt leider überhaupt nicht zusammen. Aber das ist eine sehr politische Frage. Es ist in Österreich bei den Förderung sehr schwer Fuß zu fassen, wenn man nicht ganz auf der Linie der politisch Mächtigen ist.

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