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„Ich weiß, dass ich anders Politik mache als alte Männer”

Hannah Neumann ist 36 und Politikerin im Europaparlament. Als solche hätte sie gerne an der Podiumsdiskussion teilgenommen – aber nicht als „junge Erwachsene“.
Foto: EP2019 / Thierry Roge

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Die 36-jährige Hannah Neumann hat einen Doktor in Friedens- und Konfliktforschung, hat drei Kinder und sitzt seit 2019 für die Grünen im Europaparlament. Trotzdem wurde sie zu einer Podiumsdiskussion  von der Geschäftsstelle „30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“ vom Innenministerium nur als „junge Erwachsene“ eingeladen. Ältere männliche Gäste wurden währenddessen mit ihrer Funktion als „Politiker“ und „Wissenschaftler“ auf der Liste genannt. Hannah Neumann sagte daher ab. Im Interview erklärt sie, wieso.

jetzt: Hannah, du hast eine Einladung zur Podiumsdiskussion abgelehnt, weil du dort als „junge Erwachsene“ eingeladen warst. Was störte dich an der Formulierung so?

Hannah Neumann: Mein erster Gedanke, als ich die Einladung las, war: „Bitte was? Wie kommt ihr auf die Idee und meint ihr das wirklich ernst?“ Eine junge Politikerin wird direkt in die „junge Erwachsenen“-Schublade gesteckt – und nicht in die Schublade „Politiker*in“. Das ist so unnötig. Ich weiß natürlich, dass ich anders Politik mache als alte Männer. Ich rede anders, ich bin viel auf Twitter und Instagram – aber das macht ja unsere Demokratie aus: Es gibt viele verschiedene Menschen, die auf unterschiedliche Art Politik machen. Warum ein Wolfgang Schäuble dann die Bezeichnung Politiker bekommt, die ihm ja zusteht, und ich nicht, obwohl sie mir auch zusteht, verstehe ich nicht.

Du bist Politikerin. Aber würdest du dich selbst denn nicht auch als junge Erwachsene beschreiben?

Das Label „junge Erwachsene” passt nicht zu mir. Ich habe vor acht Jahren promoviert, ich bin gewählte Abgeordnete im Europaparlament. Ich bin 36 Jahre alt – meine Kinder sind mehr junge Erwachsene als ich.

War die Absage nicht ein bisschen kleinlich von dir? Kann es nicht sein, dass die Bezeichnung als  „junge Erwachsene“ nur ein Versehen war und gar nicht so auf dem Brief hätte stehen sollen? 

Selbst wenn sie nur vergessen haben die Bezeichnung wegzustreichen, dann zeigt es doch trotzdem, dass sie mich in diese Schublade

stecken wollten. Das bin ich aber einfach nicht. Sie hätten mich ja als Politikerin einladen können, aber nicht als junge Erwachsene.

Erlebst du das häufig, dass du als Politikerin nicht ernst genommen wirst?

Im Wahlkampf wurde ich sehr oft gefragt: „Wie denkst du, wird das dann als junge Frau im Parlament?“ Da dachte ich mir: Was ist denn das für eine Frage? Ich habe 15 Jahre Berufserfahrung. Nur weil alle anderen so alt sind, muss ich mich doch nicht rechtfertigen. Ich bin ja gut in meinem Beruf. Jetzt erlebe ich aber tatsächlich, dass ich oft anders behandelt werde: Ich mache hauptsächlich Außen-und Sicherheitspolitik, wo es ja ohnehin wenig Frauen gibt. Da passiert es dann oft, dass ich einen Raum betrete und ich erstmal als Assistentin oder Sekretärin wahrgenommen werde. Manchmal werde ich dann auch so angesprochen. Mittlerweile kommt das zwar seltener vor, aber es hat mehrere Monate gedauert, bis ich hier im Europaparlament ernst genommen wurde. Das musste ich mir härter erarbeiten als ältere Männer.

Geht es deiner Erfahrung nach nur jungen Frauen so? Oder erleben junge Männer ähnliches? 

Ich glaube, dass auch junge Männer nicht immer gleich so ernst genommen werden wie ältere Männer. Aber Frauen passiert es meiner Erfahrung nach viel häufiger. Das bestätigen mir auch meine Kolleginnen. Ganz oft stehen Leute in meiner Bürotür und fragen nach Frau Dr. Neumann. Dann gehe ich ins Nachbarzimmer, um sie zu suchen, komme wieder und sage: „Ich hab sie gefunden.“ Da müssen die Leute dann oft schmunzeln, manche fühlen sich ertappt. Einige entschuldigen sich dann sogar. Auf jeden Fall ergibt sich daraus immer ein ganz amüsanter Gesprächsanfang.

„Ich wollte diese Bühne nicht missbrauchen, um darüber zu diskutieren, ob ich eine Politikerin oder eine junge Erwachsene bin“

Vielleicht wäre die Podiumsdiskussion am Ende ein Ort gewesen, an dem du das mal öffentlich hättest ansprechen können?

Nein. Ich wollte diese Bühne dann nicht missbrauchen, um darüber zu diskutieren, ob ich eine Politikerin oder eine junge Erwachsene bin. Bei der Podiumsdiskussion geht es um 30 Jahre friedliche Revolution – 30 Jahre deutsche Einheit. Das Thema ist mir viel zu wichtig, als dass ich das hätte sprengen wollen. „Meine eigene“ Debatte führe ich lieber auf Twitter oder hier im Interview. Wenn sie eine junge Erwachsene auf dem Podium haben wollen, dann sollen sie doch beispielsweise eine Abiturientin einladen.

Was muss deiner Meinung nach geschehen, damit junge Frauen oder eben nicht ganz so alte Frauen in der Politik ernst genommen werden?

Es ist wichtig, dass wir mehr werden. Es muss normal werden, dass auch Menschen unter 50 Politik machen und wichtige Positionen bekleiden. Das typische Bild vom Politiker, als alter weißer Mann im Anzug, muss sich verändern. Wir jungen Menschen müssen dann auch selbstbewusst Politik machen und sagen: „Wir sind nicht weniger wert aufgrund unseres Alters oder unseres Geschlechts.” Dann muss man auch mal so eine Einladung, in der man nicht ernst genommen wird, ablehnen.

Wie hast du deine Absage erklärt?

Ich habe das Ganze zuerst auf Twitter kommentiert und dafür viel Zuspruch erhalten. Dann habe ich auch mit einem förmlichen Brief per E-Mail abgesagt und meine Position dargelegt. Diesen Brief habe ich getwittert. Es geht ja nicht nur um mich, oder um dieses eine Mal. Sondern darum, darauf hinzuweisen, dass es junge Politikerinnen gibt – aber auch, dass es viele junge Menschen gibt, die ganz wunderbare Dinge in unserem Land und für unser Land tun, und dass man auch diese mit einem solchen Label, vielleicht versehentlich, abwertet. 

Und was haben die Veranstalter*innen darauf geantwortet?

Bisher hat die Geschäftsstelle noch nicht auf die Absage reagiert, ich habe sie ja aber auch erst am 3. Juli abgeschickt.

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