Als 2000 zum ersten Mal in der österreichischen Geschichte eine rechts-konservative Regierung vereidigt wurde, protestierten Tausende vor dem Parlament, sodass die feierliche Prozedur unterbrochen werden musste. Das ist heute auch Stefans Ziel (Stefan möchte seinen Nachnamen lieber nicht nennen, er ist der Redaktion aber bekannt). Seit einem halben Jahr engagiert der 29-Jährige sich im Bündnis Tag X, dem sich innerhalb der letzten Monate immer mehr Gruppen, Vereine und Einzelpersonen angeschlossen haben. An diesem Montag, wenn die neue Regierung vereidigt wird, wollen sie in Wien auf die Straße gehen.
jetzt: Ihr wollt einen Protest auf die Beine stellen, wie es ihn im Jahr 2000 gab, als schon mal eine Angelobung gestört wurde. Wie stellt ihr euch das dieses Mal vor?
Stefan : Damals gab es sehr medienwirksame Proteste. Gegen Österreich gab es wegen Jörg Haiders Partei damals sogar noch EU-Sanktionen. Der Schreck darüber, dass eine rechtsextreme Partei zum ersten Mal in Europa an der Macht sein wird, hat Tausende auf die Straße getrieben. Der Ballhausplatz war so voll, dass die Delegation durch ein unterirdisches Tunnelsystem geleitet werden musste, weil die Menge sie nicht durchgelassen hätte. Das ist auf jeden Fall auch unser Ziel.
Warum wusste man eigentlich so lange nicht, wann genau „Tag X“ sein wird?
Bei den Koalitionsgespräche zwischen den Parteien gab es einige Knackpunkte. Die FPÖ wollte zum Beispiel eine „direkte Demokratie“ nach schweizerischem Vorbild einführen, sogenannte Volksentscheide also, die durch Stimmungsmache leicht zu beeinflussen, in ihren Konsequenzen aber katastrophal wären. Gerade im rassistischen Mehrheitsklima in Österreich könnte so eine Form der Politik eine reale Bedrohung für Minderheiten und Menschenrechte werden. Über solche Punkte mussten sich ÖVP und FPÖ einigen, erst danach wurde aus Tag X ein Datum (FPÖ und ÖVP haben sich zwar nun auf eine „Weiterentwicklung“ von Volksbegehren geeinigt, die Hürden für Volksbegehren sind und bleiben aber dezeit relativ hoch. Das aktuelle Modell soll dann erst 2022 wieder diskutiert und ggf. geändert werden; Anm. der Redaktion). Wir wussten nur, dass irgendwas zwischen dem 15. und dem 20. Dezember angepeilt wurde, also noch vor Weihnachten. Und dass der Termin zwei Tage oder eine Woche im Voraus angekündigt werden könnte, da mussten wir flexibel sein.
Wie begeistert man denn Menschen für einen Protest, bei dem man gar nicht weiß, wann er stattfinden soll?
Wir haben praktisch ins Blaue mobilisiert, haben aber auch Vorbereitungen getroffen: Schon während des Wahlkampfs hat sich abgezeichnet, dass es zu einer Koalition mit der FPÖ, also einer offen rechtsextremen Partei kommen wird. Wir wollten der allgemein spürbaren Lethargie etwas entgegensetzen. Dieser Ohnmacht gegenüber einem zunehmenden Rechtsruck. Wenn man aufhört zu hoffen, kommt das, was man befürchtet. Deshalb haben wir schon damals die Online Plattform Tag X eröffnet.
Was sind denn eure Hoffnungen und Befürchtungen, kurz: Wofür protestiert ihr?
Der Wahlkampf wurde extrem rassistisch geführt. Der rechtsextreme Charakter der FPÖ wird, seit die Partei offiziell Teil der Verhandlungen ist, aber kaum noch diskutiert. Dabei gibt es erwiesenermaßen Verbindungen zu rechtsextremen Burschenschaften und Gruppierungen. Es gibt Bilder von zukünftigen Abgeordneten, die den Hitlergruß machen und auf diesem Ballhausplatz feierlich ins Amt gehoben werden sollen. Dass solche Positionen Normalität werden und sich festsetzen, dagegen gehen wir auf die Straße.
Die ÖVP/FPÖ-Regierung diskutiert außerdem schon die Abschaffung von Sozialleistungen wie der Mindestsicherung und will gleichzeitig einen 12-Stunden-Tag für Arbeitnehmer einführen. Auf die Widersprüche des Kapitalismus, den ständigen Konkurrenzdruck und die wachsende soziale Unsicherheit antwortet die neue Regierung mit einem reaktionären Programm. Das erschreckt viele, führt aber auch zu dem Bedürfnis, etwas dagegen zu tun. Wir hoffen auf eine breite Solidarität gegen alles, was uns da erwartet. Tag X ist dafür der Auftakt.
Auf Facebook und Twitter werdet ihr ganz schön angefeindet, da wird euch immer wieder vorgeworfen, dass euer Protest antidemokratisch sei.
Das ist ziemlich dreist, aber sowas macht die FPÖ sehr gerne. Diese Aussage tut so, als dürfe man gegen gewählte Regierung nicht demonstrieren. Dann dürfte man ja gar keinen Protest mehr äußern. Das ist genau das Gegenteil von Demokratie und nur ein Versuch, die Proteste zu delegitimieren.
Aber auch die Polizei wollte anfangs unseren Protest zu unterbinden. In Österreich muss man Kundgebungen vorher anmelden und das ist nicht leicht, wenn man das Datum nicht kennt. Unter dem Motto „Ballhausroute schließen“ haben wir für jeden kommenden Tag bis Ende des Jahres eine Demo angemeldet. Die wurde aber polizeilich nicht genehmigt, weil wir als aktivistische Gruppe, die gern mal blockiert, bekannt sind. Jetzt hat das eine andere Gruppe, der Verein KZ-Verband, übernommen, mit dem wir gemeinsam vor Ort sein werden. So können wir unser Recht auf Protest jederzeit in Anspruch nehmen.
Wen erwartet ihr zu den Protesten?
Angefangen hat es mit einem Zusammenschluss aus linksaktivistischen Gruppen. Je länger die Koalitionsgespräche dauern, desto mehr werden wir und desto breiter wird der Widerstand. Es wird einen Block von den Grünen geben, Kunstaktionen, einen Fahrradkorso, einen Schülerstreik und Kundgebungen von vielen anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen. Zu den Protesten erwarten wir aber auch Menschen, die vorher noch nicht politisch aktiv waren, von der kommenden Politik aber negativ betroffen sein werden.
Wie würde ein gelungener Tag X für euch aussehen?
Wir hoffen vor allem auf die Masse der Menschen. Mit fünf angemeldeten Demonstrationszügen wird es schon mal ein ziemliches Verkehrschaos in Wien geben. Natürlich wollen wir so weit wie möglich auf den Platz vordringen und in das Prozedere eingreifen. So viele Menschen schaffen auch ein Gefühl von Hoffnung. Man spürt, dass man gemeinsam der neuen Regierung etwas entgegensetzen kann. Tag X könnte auch der Startpunkt für ein neues zivilgesellschaftliches und solidarisches Bündnis werden.