Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Ein ehrlicher Geburtsbericht

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

In dieser Kolumne geht es um Schwangerschaft und Eltern-Sein, um die Hürden, das Glück, die Mythen rund ums Thema Baby. Unsere Autorin ist Mutter einer zweijährigen Tochter. Folge sieben: Die Geburt.

Da stand ich also, mitten in einer Hauptstraße in Berlin, und hielt mich krampfhaft an einem Laternenmast fest. Wie eine Welle baute sich der Schmerz auf. Ich atmete immer lauter, ich ächzte. Und der Schmerz ebbte wieder ab. Pause. „Alles ok“, versicherte ich den Passanten, die besorgt stehengeblieben waren, „sind nur erste Wehen, die Geburtsklinik hat uns nochmal spazieren geschickt.“ Endlich, neun Tage nach dem errechneten Geburtstermin unserer Tochter, waren die Wehen losgegangen. Einen Tag, bevor die Geburt mit Medikamenten hätte eingeleitet werden müssen. Aufgeregt waren wir zur Geburtsklinik aufgebrochen, allerdings etwas zu früh. Der Abstand zwischen den Wehen war noch zu groß, bis zum Geburtsbeginn würde es noch dauern.  

Die Tage zuvor hatte ich alles versucht, um den Geburtsvorgang auf natürlichem Wege auszulösen: Ich nahm heiße Bäder, beträufelte Tampons mit Nelkenöl, ging Treppensteigen, probierte absolut widerlich schmeckenden Himbeerblättertee. „Das Einzige, das wirklich funktioniert, ist Sex“, hatte mir dann eine Ärztin in der Geburtsklinik gesagt. Wissenschaftliche Belege dafür gibt es nicht, genauso wenig wie für alle anderen Hausmittel. Warum es bei uns also schließlich einen Tag vor der drohenden künstlichen Einleitung von selbst losging? Keine Ahnung. Auf jeden Fall war ich sehr froh darüber, denn eine medizinische Einleitung kann ganz schön herausfordernd sein. Bei einer Bekannten löste sie einen Wehensturm aus, also Schmerzwellen ohne Pause.    

Bei mir kamen die Wehen nach eineinhalb Stunden Spazierengehen endlich regelmäßig genug, um einen Raum im Kreißsaal zu bekommen. Dort blieben mein Mann und ich zunächst allein. Eine Hebamme hatte ein Herztongerät an meinen Bauch angeschlossen und mir ein paar Dufttücher dagelassen, deren Gerüche schmerzablenkend wirken sollten. Wir atmeten gemeinsam durch die Wehen, er massierte meinen unteren Rücken, wie im Geburtsvorbereitungskurs gelernt. Und irgendwo behielt jemand vom Personal die Herzschläge unserer Tochter und vermutlich auch die der ungeborenen Kindern anderer Schwangerer im Blick. Eine Hebamme stieß zu uns und gab weitere Tipps für Atemtechniken oder andere Positionen. Mal kniete ich auf dem Boden, die Ellenbogen auf einem Sofa abgestützt, mal hielt mein Mann mich fest, während ich in der Hocke durch die Wehen atmete. Eine Zeit lang lag ich sogar in einer warmen Badewanne. Die Abstände zwischen den Wehen wurden immer kürzer, die Schmerzen intensiver. Mir fiel es immer schwerer, mich nicht zu verkrampfen.  

Die Eröffnungsphase ist die erste und längste der drei Geburtsphasen. Die Wehen verlaufen in einer gleichmäßigen Schmerzkurve und dauern ungefähr eine Minute. Die Pausen zwischen diesen Wellen werden immer kürzer, bis sie sich auf ein bis zwei Minuten einpendeln. Sie bewirken, dass der Muttermund sich öffnet. Um diesen Vorgang zu beschleunigen, muss die Schwangere möglichst locker bleiben. Doch obwohl das bewusste Atmen, die Positionswechsel und die Badewanne mir sehr dabei halfen, die Schmerzen auszuhalten, verkrampfte ich in den Schmerzspitzen immer stärker und empfand den starken Drang, zu pressen. In der Badewanne wand ich mich unter den Schmerzen irgendwann so sehr, dass mein Mann mir mit aller Kraft dabei helfen musste, meinen Kopf über Wasser zu halten.  

Pressen darf man erst, wenn der Muttermund vollständig geöffnet ist. Erst dann beginnt die zweite Phase der Geburt, die „Austreibungsphase“. Doch bevor es bei mir so weit war, war ich völlig entkräftet. Seit der ersten spürbaren Eröffnungswehe waren 16 Stunden vergangen, ich konnte den Pressdrang nicht mehr zurückhalten. Heute erinnere ich mich nicht mehr an die Schmerzen, ich kann sie deshalb nicht beschreiben. Doch ich weiß, dass mein Mann mich fragte, wo es weh tue, und ich einfach nur „überall“ schrie. Schließlich empfahlen die Hebammen eine PDA, eine Periduralanästhesie. Sie hemmt das Schmerzempfinden im Unterleib und sollte verhindern, dass ich weiter zu früh presse. Als sie wirkte, hatte ich plötzlich eine kleine Pause von allem. Ich lachte und scherzte, schloss kurz die Augen und atmete ganz ruhig ein und aus. Mein Mann sagte später, die Pause sei nur wenige Minuten lang gewesen. Für mich fühlte es sich an wie eine ganze Stunde voller Erholung. Dann erklärte mir die betreuende Hebamme den Wehenschreiber, und es ging weiter.

Wenn die Kopfspitze des Kindes herausschaut, beginnt eine frustrierende Phase der Geburtsarbeit

Zwar betäubt eine PDA den Schmerz, sie macht die Geburtsarbeit aber nicht weniger anstrengend. Sie bewirkte zum Beispiel auch, dass ich die Wehen nicht mehr richtig spürte: Wann ich genau mit dem Pressen anfangen musste, zeigte mir nicht mein Gefühl, sondern ein Wert des Wehenschreibers. Das zieht Geburten oft in die Länge und den Gebärenden geht die Kraft aus. In meinem Leben hatte ich noch nie so etwas Anstrengendes durchlebt. Ich war einfach nur fertig, schweißnass, mein ganzer Körper brannte – trotz PDA – und ich schrie so laut ich konnte. Mein Mann neben mir feuerte mich nicht nur an, sondern hielt mit aller Kraft meine Beine fest, damit ich besser pressen konnte. Am nächsten Tag hatte er davon Muskelkater.  

Die Hauptarbeit lag aber natürlich trotzdem bei mir. Als die Kopfspitze meiner Tochter samt schwarzem Haarschopf endlich aus mir rausschaute – ein Anblick, der meinen Mann wohl (im positiven Sinne) völlig umhaute – und die Hebamme strahlend meinte, ich solle doch auch mal fühlen, wollte ich einfach nur weiter machen. Ich wollte, dass sie ganz rauskommt. Jetzt sofort. Ich wollte, dass es vorbei ist. Ich konnte einfach nicht mehr.  

Wenn die Kopfspitze des Kindes herausschaut, beginnt eine meiner Erfahrung nach sehr frustrierende Phase der Geburtsarbeit. Jedes Pressen drückt das Kind zwar weiter nach draußen, doch für einen selbst fühlt es sich so an, als rutsche es anschließend wieder komplett zurück. „Du hast es fast geschafft, jedes Pressen könnte jetzt das letzte Mal sein“, sagte die Hebamme mir immer wieder. Irgendwann schrie ich verzweifelt zurück, dass sie aufhören solle, das zu sagen, dass sich absolut nichts bewege. Und dann, plötzlich, um 22:30 Uhr, war sie da: unsere Tochter. Erst der ganze Kopf, dann die Schultern, und dann rutschten auch ihre Füße aus mir raus. Völlig irre, wenn ich jetzt darüber nachdenke.

Ich wollte mich vorbeugen, unsere Tochter sehen, den Menschen sehen, der in mir herangewachsen war. Doch mein Mann drückte mich zurück ins Kissen, wollte nicht, dass ich sehe, was er sah. Er war panisch, weil unsere Kleine reglos und ganz lila war. Doch dann schrie sie, ihre Haut wurde mit einem Schlag rosig und sie öffnete die Augen. Ich bekam sie auf die Brust gelegt, ich weinte, ich küsste sie, küsste meinen Mann. Monate lang hatten wir auf sie gewartet, uns auf diesen Moment vorbereitet. Das Gefühl, sie endlich zu halten – ich kann es nicht beschreiben.  

Nach einigen Minuten nahm mein Mann unsere Tochter, während für mich die letzte Phase begann, die Geburt der Plazenta. Diese kann nochmal eine halbe Stunde dauern. Dabei bewirken Hormone, dass sich die Gebärmutter zusammenzieht und die Plazenta sich ablöst. Die Wunde, die dabei von der Plazenta in der Gebärmutter hinterlassen wird, blutet zunächst, verschließt sich durch das Zusammenziehen aber normalerweise schnell. Doch mein Körper war so entkräftet von der Geburt, dass dieser Vorgang nicht schnell genug ablief. Die Plazenta löste sich nicht von selbst, ich sollte mich hinhocken und in eine Flasche pusten, um mehr Druck aufzubauen. Laut meiner nachbetreuenden Hebamme keine gute Idee. Es klappte zwar, die Nachgeburt kam. Doch meine Gebärmutter zog sich so langsam zusammen, dass ich viel Blut verlor und für eine Not-OP vorbereitet wurde. 

Glücklicherweise ebbte die Blutung von selbst ab, ich musste nicht operiert werden und mein Bett wurde wieder zu meiner kleinen Familie gerollt. Es folgten einige Untersuchungen, das erste Mal stillen, und eine Nacht, in der ich fünfmal nach dem Pflegepersonal rief, weil ich unsicher war, wie ich meine Tochter richtig im Arm halten sollte und was zu tun war, wenn ich pinkeln musste. Denn wenn ich auf eines absolut gar nicht vorbereitet war, dann auf die Zeit nach der Geburt: das Wochenbett. Wie ich die ersten Tage mit Neugeborenem, Milcheinschuss und Wochenfluss zurechtkam, lest ihr in zwei Wochen, wenn die achte Folge dieser Kolumne erscheint.

  • teilen
  • schließen