Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Horror-Nebenjob: Die Pseudo-Psychologin

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Manche Jobs sind schlimmer als andere – in dieser Serie erzählen wir von unseren und euren schrägsten  Nebenjobs. Diese Geschichte hat unsere Leserin Luisa erlebt und uns am Telefon erzählt. 

Horror-Stufe:  4 von 10

Chef: ganz nett, aber kein Geschäftsmann

Bezahlung: Zehn Euro pro Stunde

Erlernte Skills: Verbesserung der Kummerkasten-Funktion

„2011 habe ich zwei Semester lang in Mexiko studiert. Damals war ich 21 und wie das als Studentin eben so ist, war das Geld meistens knapp. Allerdings hatte ich keine Arbeitsgenehmigung für Mexiko, was mir die Jobsuche natürlich erschwerte. Umso mehr freute ich mich, als ich auf einer Party einen Mann kennenlernte, der mir von seiner Firma erzählte. Begeistert erzählte er mir von der Seite, die so ähnlich hieß wie ‚www.gewinne-deinen-Ex-zurück.de‘ die er gegründet hatte. Dabei handelte es sich um eine deutschsprachige Seite, die er von Mexiko aus betrieb. Er suchte freie Mitarbeiter*innen, die sich als Psychologinnen ausgaben und die Hilfe-E-Mails der Kund*innen mit Ratschlägen beantworteten. Das hörte sich im ersten Moment sehr schräg an, aber da ich als Studentin im Ausland ohne Arbeitsgenehmigung nicht wählerisch sein konnte, gab ich dem Job eine Chance.

Die angepriesene Firma war in Wahrheit ein Mini-Unternehmen. Ich hatte nur eine Kollegin, eine andere Studentin aus Deutschland, die sich zu Beginn genauso wenig unter dem Job vorstellen konnte wie ich. Da es keine Büroräume gab, konnten von Zuhause oder von unterwegs aus arbeiten. Oder eben vom Zuhause unseres Chefs aus. So entwickelte sich schnell ein lockeres Verhältnis ohne Hierarchien. Das gefiel mir gut, auch wenn es mir manchmal etwas unprofessionell vorkam. Aber von Professionalität, bzw. Seriosität konnte bei diesem Nebenjob sowieso nicht die Rede sein. 

Die Geschäftsidee meines Chefs war gar nicht mal so schlecht, doch es scheiterte an der Umsetzung. Anstatt professionelle Psycholog*innen anzustellen, stellte er Studierende ein, die mit dem Gebiet überhaupt nichts am Hut hatten – vermutlich um Geld zu sparen. Ich hatte damals Politikwissenschaften studiert und ab und an einer meiner Freund*innen einen Rat gegeben, aber das beruflich zu machen, war für mich völlig neu.

„Wenn ich heute an den Job zurück denke, kann ich nicht davon erzählen ohne zu lachen“

Die Kund*innen konnten auf der Seite zwischen drei verschiedenen Sets wählen. Diese staffelten sich in der Anzahl der Mails, die geschrieben werden konnten. Das günstigste Set kostete circa 50 Euro. Die Mails waren ähnlich aufgebaut: Die Kund*innen erzählten von Trennungen, Liebeskummer und davon, dass sie unbedingt ihren Ex-Partner oder ihre Ex-Partnerin zurückgewinnen möchten und dafür Hilfe benötigten. Zum Großteil waren das Männer zwischen dreißig und vierzig.

Noch heute kann ich darüber nur den Kopf schütteln, wie verrückt – ja, nahezu besessen – manche von ihnen waren. Sie machten ihr gesamtes Glück von ihren (Ex)-Partner*innen abhängig. Ihnen riet ich, sich erstmal auf sich selbst konzentrieren und ihr eigenes Leben in den Griff zu kriegen, weil diese Abhängigkeit total unattraktiv macht und toxisch sei. Einige waren sehr verzweifelt. Das tat mir richtig weh.

Ich versuchte mir immer zu überlegen, was ich in solch einer Situation einem/r Freund*in raten würde und schrieb einen lieb gemeinten Ratschlag nach meinem besten Gewissen. Manchmal wusste aber auch ich einfach nicht mehr weiter und empfahl den Leuten, einen echten Therapeuten oder eine echte Therapeutin aufzusuchen. Ich glaube schon, dass wir einigen Leuten helfen konnten. Viele hatten einfach niemanden, dem sie ihre Probleme erzählen können. Sie waren froh, wenn ihnen jemand zuhörte.

Trotzdem kündigte ich den Job nach drei Monaten. Es gab kein ausschlaggebendes Ereignis, das dazu geführt hätte. Ich hatte nur mit der Zeit ein immer schlechteres Gefühl dabei, dass die Menschen mir ihr Innerstes zeigten und sich professionelle Hilfe erhofften, die ich ihnen nicht geben konnte.

Wenn ich heute an den Job zurück denke, kann ich nicht davon erzählen, ohne zu lachen. Ich habe als Pseudo-Psychologin für eine Website gearbeitet, die mit dem Slogan „Gewinne deinen Ex zurück“ warb. Das ist doch völlig absurd. Gleichzeitig stimmt es mich traurig, wenn ich länger darüber nachdenke, weil wir ja mit dem Seelenleben der Menschen Geld verdient und ihnen dafür etwas vorgegaukelt haben. Dennoch war es spannend, weil ich in dieser Zeit viele unterschiedliche Lebensgeschichten gehört habe und mir das für meine persönliche Entwicklung weitergeholfen hat. Ich denke, das ist der absurdeste Job, den ich gemacht habe und hoffentlich je machen werde.

  • teilen
  • schließen