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Was macht eigentlich ... das Ozonloch?

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Ständig steht der Weltuntergang vor der Tür, gerade lungert er in Form der Schweinegrippe in der Gegend herum. Sind ein paar Jahre vergangen, versteht aber häufig niemand mehr die Aufregung von einst. Unsere Autorin fragt nach, was aus den „Mega-Themen“ geworden ist, die ihr während des Erwachsenwerdens begegneten.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

1. TAMAGOTCHI Sommer 1997, 12. Jahrgang, kurz vor den Sommerferien. Immer wenn der Schulbus anfährt, quietschen die Sechstklässler, die zu acht auf den hinteren Vierersitzen sitzen. „Ist deines schon gestorben?“ fragt ein Mädchen mit rosa Haarspange ein anderes. 1997 wurden an ungefähr zwei Millionen Minidisplays ungefähr zwei Millionen digitale Küken gefüttert, gestreichelt und spätestens nach zwei Wochen zu Grabe getragen. Piep. Piep. Im Philosophieunterricht musste darüber debattiert werden, ob die Tamagotchis demnächst Hunde und Katzen überflüssig machen, später bekamen die künstlichen Haustiere Schulverbot. Für die japanische Firma Bandai sind die Jahre des Tamagotchifiebers vorbei. Christof Classen vom deutschen Zweig der Firma erinnert sich an die Zeit, als jeder einen Tamagotchi haben wollte. „Einigen Erwachsenen hat das natürlich Angst gemacht, dass die Zeiten des Holzspielzeugs vorbei sein könnte.“ Im gleichen Jahr, in dem in Deutschland bereits 2,3 Millionen Internetanschlüsse existierten, entzündete sich an einem kleinen japanischen Küken die Angst vor der digitalen Zukunft. Leer und kalt würde sie sein, bevölkert mit Computerwesen. Tamagotchis gibt es noch. Nach einem Relaunch 2004 kann man mit der neuesten Version „Familitchi“ ganze Familien aufziehen. Allerdings fallen die Tamagotchis in den Spielzeugregalen zwischen dem übrigen digitalen Spielzeug kaum auf. Und Christof Classen sieht den Stern seines Produkts weiter sinken. Wegen der geringen Nachfrage werde die Firma das Produkt vom Markt nehmen. „Gegen eine Spielkonsole wie die Nintendo DS können wir nicht konkurrieren“, sagt er. Nur noch 200 000 Exemplare wurden im vergangenen Jahr verkauft. Allerdings kündigt er ein Comeback an. In sieben Jahren vielleicht. 2016 werden Sechstklässler dann aus ihren künstlichen Tieren Models und Rocksänger machen können. Wenn es dann noch Interesse an den bunten Plastikeiern gibt. *** 2. WALDSTERBEN Sommer 1984, Hamburg, meine Oma steht unter der Dusche, jedes Bein steckt in einem Plastikeimer. Mit dem Duschwasser, erklärt sie, kann man noch die Blumen im Garten gießen! „Mädchen“, sagt sie, „wir verbrauchen zuviel Luft und zuviel Wasser, und jetzt“, seufzt sie: „jetzt stirbt sogar schon unser Wald.“ Uwe Paar ist Forstwissenschaftler. Er arbeitet an der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt in Göttingen und ist verantwortlich für die jährlichen Waldzustandsberichte in Sachsen-Anhalt, Niedersachen und Hessen. Die Reaktion auf das Waldsterben in den 80er Jahren ist für ihn „im Grunde genommen eine Erfolgsgeschichte“. Der mit Industrierückständen angereicherte schwefelhaltige, „saure“ Regen hatte für einige deutsche Waldgebiete verheerende Auswirkungen. Baumstummel, die trostlos in den Himmel ragten schockierten die Öffentlichkeit. Apokalyptische Szenarien beschworen eine Zukunft, in der sich der deutsche Forstbestand auf ein Drittel reduziert haben würde. Uwe Paar hält die Prognosen von damals nicht für übertrieben. „Ich glaube nicht, dass unsere Waldökosysteme noch weitere 20 Jahre sauren Regen ausgehalten hätten“, sagt er. Die wichtigste Maßnahme gegen das Sterben der Bäume war der politisch gewollte, flächendeckende Einbau von Schwefelfiltern in Industrienanlagen. Dazu kamen Massenkalkungen in gefährdeten Wäldern, verstärkter Anbau von Mischkulturen statt anfälligerer Monokulturen und die Einführung von bleifreiem Benzin Mitte der 80er Jahre. Auch der Zusammenbruch des Ostblocks und dessen industrieller Produktion hat Luftverschmutzung und Belastung der Wälder vermindert. „Von Waldsterben kann man heute nicht mehr sprechen“, sagt Uwe Paar. Das bedeutet nicht, dass es rosig aussieht für Fichten, Eichen, Buchen und Kiefern: Paar fürchtet jetzt den Klimawandel als größte Bedrohung für die Wälder.


3. SEEHUNDE September 1988, Klassenfahrt in der 4. Klasse. Eine halbe Stunde schon ist das „Seehundsausflugschiff“ bei ablaufendem Wasser über Fahrwasser und Priele durch das Wattenmeer getuckert. Neben der Kasse liegt eine Broschüre „Rettet die Seehunde“. An Deck pustet der Wind unter rote, blaue und gelbe Regenjacken. Weit und breit ist kein Seehund zu sehen. 1988 erkrankten und starben 18 000 Seehunde zwischen Skagen und Amsterdam an einem Staupevirus. Robben lief Blut aus Augen, Nase und Mund, Jungtiere wurden von ihrer Mutter zurückgelassen und verhungerten. Das Sterben der Seehunde verunsichert zwei Jahre nach Tschernobyl alle, die sich Sorgen um die mitgenommene Umwelt machen. Schließlich lässt sich die Epidemie auf die massive Schadstoffanreicherung in der Nordsee zurückführen. Das von Umweltgiften geschwächte Immunsystem der Tiere hatte dem Virus nichts entgegenzusetzen. In den neu gegründeten Nationalparks befürchtete man das Aussterben der Robben, die Epidemie von 1988 blieb nicht die einzige. Auch 2002 starben die Seehunde wieder am Staupevirus, unbemerkt von der Öffentlichkeit. Die Angst ist mittlerweile verflogen. Nach beiden Epidemien hat sich der Bestand in der folgenden Saison wieder erholt. Die Tiere, die schon seit Jahrzehnten nicht mehr gejagt werden, fischen nach wie vor im kalten Nordseewasser und entzücken die Touristen auf den Beobachtungsschiffen. Eva Baumgärtner von der Seehundaufzuchtsstation Friedrichskoog glaubt, dass die Angst um die Seehunde dazu beigetragen habe, die Akzeptanz von Naturschutzpolitik zu erhöhen. „Der Ruck, der damals durch die Nordsee ging, hat auch dazu geführt, dass unsere Seehundsstation gegründet wurde“, sagt sie. Unverändert sei der katastrophale Gesamtzustand der Nordsee. Erwärmung, Belastung durch Schadstoffe und Gifte, Überfischung – darunter leiden viele Arten. Die Robben bisher nicht. Als Nahrungsopportunisten fressen sie laut Eva Baumgärtner „fast alles“, so dass ihnen noch nicht einmal das sinkende Angebot an Speisefischen etwas anhaben kann. Beim letzten Zählflug wurden mehr Robben als je zuvor in der Nordsee gesichtet. *** 4. OZONLOCH Juli 1994. „Fährst du mit dem Rad ins Freibad?“ ruft die Mutter. „Nimm Sonnencreme mit! Du weisst doch, das Ozonloch.“ Apokalyptisch waren Anfang der Neunziger die Prognosen zu den Folgen einer weiteren Ausdehnung des Ozonlochs. Missernten, Hautkrebs, Augenleiden wären zu erwarten, wenn die ultraviolette Sonnenstrahlung nicht mehr oder nur ungenügend durch die schützende Ozonschicht gefiltert würde. Das „Ozonloch“ gibt es immer noch. Etwa so groß wie die Antarktis ist der Bereich der Stratosphäre, 15 Kilometer über dem Südpol, in dem die Ozonschicht völlig zerstört ist. Aber das Loch wächst nicht weiter. Die vor allem durch Abbauprodukte chemischer Stoffe wie FCKW verursachte Ausdünnung der Ozonschicht geht zurück. Die größte Konzentration von FCKW in der Stratosphäre liegt bereits in der Vergangenheit. Von jetzt an wird sich das Loch im Himmel langsam wieder schließen. 2070 wird noch ein kleiner Rest vorhanden sein, im nächsten Jahrhundert hat die Ozonschicht wieder ihre natürliche Dicke erreicht. Multilaterale Umweltabkommen regelten zwischen 1987 und 1999 den Ausstieg aus Produktion und Verbrauch von FCKW, das vor allem als Trieb- und Kühlmittel in Alltagsprodukten wie Kühlschränken und Haarsprays verarbeitet wurde. „Das war ein atemberaubend schneller politischer Prozess“, sagt Markus Rex, Physiker am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung. Er geht davon aus, dass das Ozonloch ohne Intervention schon Mitte dieses Jahrhunderts nicht mehr beherrschbar gewesen wäre. Die Ozonschicht wäre dann überall auf der Welt so dünn gewesen wie jetzt über dem Südpol. Ein Aufenthalt in der Sonne hätte katastrophale Folgen gehabt. Doch dank FCKW-Verbot lässt sich nicht mal die Hautkrebsrate in Australien auf das Ozonloch zurückführen. Dort ist die Ozonschicht von Natur aus dünner als über dem Rest der Welt. Die Nachfahren sommersprossiger Briten und Iren sollten auch ohne Ozonloch dort nur mit Sonnenhut und Schutzfaktor 50 in die Sonne gehen.


5. BSE Mai 2001, 30 Jugendliche sitzen um die Tische, ein Segelwochenende, endlich Essen. Spaghetti. „Wo kommt das Hackfleisch her?“ fragt einer. „Egal“, sagt er, „ich nehme die Tomatensauce.“ Nachdem in Schleswig-Holstein das erste deutsche an BSE erkrankte Rind entdeckt wurde, ging im November 2000 in nur einer Woche der Fleischkonsum in Deutschland um 28 Prozent zurück. Seit Mitte der Achtziger Jahre starben tiermehlgefütterte Kühe in Großbritannien an BSE, seit Mitte der Neunziger starben auch Menschen an einer Variante der Creutzfeldt-Jakob Krankheit, die durch verseuchtes Rindfleisch übertragen wird. Aber ziemlich schnell gab es auch gute Nachrichten. BSE verbreitete sich vor allem durch die Verfütterung von Tiermehl aus Hirn und Knochenmark erkrankter Tiere. Mit dem Verfütterungsverbot gingen die Erkrankungen zurück. In Deutschland konnte bisher keine einzige Creutzfeldt-Jakob Erkrankung mit BSE in Verbindung gebracht werden. Seit Anfang 2009 wurden nur zwei BSE-Fälle bei Rindern entdeckt. Als übertrieben würde Elke Reinking vom Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit die Angst vor BSE jedoch nicht bezeichnen: „Besser einmal zuviel warnen, als zu wenig“, sagt sie und weist darauf hin, dass Creutzfeld-Jakob Erkrankungen wegen der langen Inkubationszeit auch noch kommen könnten. Trotzdem: Auf der Halbinsel Riems am Greifswalder Bodden wurden die letzten Tierversuche zur Übertragung von BSE an Rindern 2008 eingestellt. Und Steaks werden wieder genauso viele verzehrt wie vor der BSE-Krise.

Text: anke-luebbert - Illustration: Judith Urban

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